Drei Jahre nach der Flut kämpfen Klara und Helga Lagier immer noch darum, den Mühlenhof wieder aufzubauen. Sie haben viele Unterstützer.
Drei Jahre nach der FlutWarum der Wiederbau des Mühlenhofs in Lommersum so zäh verläuft
Der Verfall ist nicht zu übersehen. Streben stützen die schiefen Fachwerkwände, aus denen der Lehmputz bröckelt. Durch die fast blinden Fenster kann man einen Blick in die früheren Wohnräume werfen, in denen es nicht mal mehr Dielen oder Putz an den Wänden, geschweige denn Möbel gibt.
Und wenn der Besucher gerade traurig wird, kommt ein blondes Mädchen aus der Stalltür, am Strick einen ebenfalls blonden Haflinger. Stillvergnügt zuckeln Kind und Pferd davon, Richtung Weide, vorbei an einer verschwenderisch blühenden Pflanze, die am Mauerwerk emporrankt. Was denn nun? Lost Place oder Bullerbü? Elend oder Idylle? Für Angelika Kohlgraf stellt sich die Frage nicht. Für sie ist der Mühlenhof bei Weilerswist-Lommersum schlicht ein magischer Ort.
Die Frauen aus Lommersum haben viele Unterstützer
Und deshalb haben sie und die vielen anderen Unterstützer sich fest vorgenommen, ihn zu erhalten. Damit Helga Lagier und ihre Mutter Klara wieder ein normales Zuhause haben werden. Auch wenn es dauert und wenn dafür noch einige Hürden genommen werden müssen. Die Flut hat Familie Lagier, in deren Besitz der Mühlenhof seit Generationen ist, hart getroffen.
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Helga Lagier kann ganz genau zeigen, wie hoch das Wasser stand: bis knapp vor die Ställe, in denen die Pferde und Ponys in Sicherheit waren. Währenddessen strömte die braune Brühe schon durch die Fenster in die Wohnräume. Die befanden sich im Haupthaus der jahrhundertealten Mühle und im Anbau. Wie alt sie tatsächlich ist, kann Helga Lagier nicht sagen. Das Rheinische Amt für Denkmalpflege hat die alten Eichenbalken angebohrt, um festzustellen, von wann sie stammen. Das Ergebnis steht noch aus.
Die Frauen schlafen in Containern und leben im Reiterstübchen
Seit dem Hochwasser schlafen Klara Lagier, die mittlerweile 97 Jahre alt ist, und ihre 61-jährige Tochter im Container. Jede hat ihren eigenen Schlafcontainer, am Tag ist das Reiterstübchen Küche, Wohn- und Esszimmer. Unmittelbar daneben geht der Betrieb auf dem Pferdehof weiter.
Neun Pensionspferde betreut Helga Lagier neben ihren eigenen sechs. „Gestern hatte ich um 23 Uhr Feierabend“, erzählt sie. „Und um 5.30 Uhr klingelte wieder der Wecker.“ Sie ist froh, dass ihr viele freiwillige Helfer zur Seite gestanden haben und immer noch stehen. Angelika Kohlgraf, die sich um die Organisation kümmert, hat als Kind selbst bei Lagiers Reiten gelernt. Und nicht nur Reiten: „Hier lernen die Kinder auch Verantwortungsgefühl und Miteinander.“
Und damit das so bleibt, hat sie den Kampf mit der Bürokratie aufgenommen. Wo es eigentlich hakt, können die Frauen nicht wirklich sagen. Mal fehle ein Gutachten, mal eine Bescheinigung. Die man aber nur bekommt, wenn man ein Gutachten hat. Für das man wiederum eine Bescheinigung braucht.
„Ich habe mir abgewöhnt, mich aufzuregen“, sagt Helga Lagier. Sie hat beantragt, das Fachwerkhaus unter Denkmalschutz zu stellen. Das hat geklappt. Dadurch gibt es einerseits finanzielle Unterstützung, andererseits strengere Regeln, was die Restaurierung angeht. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat sich mittlerweile der Sache angenommen und ruft zu Spenden auf.
Ein Kalender von 2021 hängt noch in einem Raum des Mühlenhofs
„Als die Wände der alten Mühle trockneten, konnten wir quasi zugucken, wie sie sich zur Seite neigten“, berichtet Angelika Kohlgraf. Mittlerweile ist das Gebäude gesichert, Streben stützen es von außen und innen, Stempel tragen die Kölner Decke mit ihren verputzten Balken. Stellenweise hat sich die Decke komplett von der Wand abgehoben, dazwischen klafft ein breiter Riss. In einem Raum hängt noch ein Kalender aus dem Jahr 2021.
Wo sich die Küche befand, kann man noch erkennen: Dort steht ein Kohleofen. „Um den Ofen tut es meiner Mutter so leid“, sagt Helga Lagier. Aber Klara Lagier habe einen starken Willen. „Sie ist eine unglaublich starke Frau“, bestätigt Ulla Dichans, die sich ebenfalls für den Mühlenhof engagiert. „Und sie strickt immer noch super Strümpfe“, fügt sie lachend hinzu.
Der erste Abschlag der Wiederaufbauhilfe ist ausgezahlt
Eine Elementarversicherung hatte Familie Lagier für ihr Anwesen nicht abgeschlossen. Also wurde Wiederaufbauhilfe beantragt. Der erste Abschlag für den Anbau sei ausgezahlt. Der Architekt, einer der vielen ehrenamtlichen Unterstützer, überarbeite gerade die Pläne. Die sollten in der kommenden Woche eingereicht werden, um eine Baugenehmigung zu bekommen.
Und wenn die vorliegt, dann kann es losgehen. Aber immer noch nicht mit der alten Mühle, sondern mit dem Anbau, der aus den 1960er-Jahren stammt. Der soll optisch etwas in den Hintergrund treten, um dem historischen Fachwerkbau mehr Raum zu lassen. Wenn der Anbau bewohnbar ist, dann „hat die Familie wenigstens schon mal einen Teil, in dem sie sich zu Hause fühlen kann“, hofft Angelika Kohlgraf.
Noch ein Winter, in dem sie mit dem Rollator über den Hof vom Schlafcontainer ins Reiterstübchen geht, um dort den Tag zu verbringen, ist Klara Lagier eigentlich nicht zuzumuten. Der Raum ist schlecht isoliert, die alte Dame friert schnell. Sie hat ein Leben lang gearbeitet, das hat körperliche Spuren hinterlassen. Geistig ist sie völlig fit, in ein Heim zu ziehen, kommt für sie nicht infrage. 1961 ist die Seniorin auf den Mühlenhof gekommen, sie will ihn nicht verlassen.
Also kämpfen Mutter und Tochter weiter um den Fortbestand des Familienbesitzes, um den Reiterhof, um ihre Vorstellung vom Leben. In der Hoffnung, dass hier noch Generationen von Kindern den Umgang mit Pferden lernen können. Wer helfen möchte, kann sich per E-Mail beim Mühlenhof melden.