Kurz nach der Flutkatastrophe 2021 besuchte Mona Neubaur Euskirchen. Nun kehrte sie als Vize-Ministerpräsidentin zurück – und staunte.
Mit BildergalerieMinisterin Mona Neubaur schaute sich den Wiederaufbau in Euskirchen an
Mehrmals schon hatte sich Bürgermeister Sacha Reichelt am Fassanstich der Euskirchener Kirmes versucht – mit eher bescheidenen Erfolgen. Am Freitag benötigte er nur drei Schläge, da war das erste Bier zapfbereit. Ob es an NRW-Landesministerin Mona Neubaur (Bündnis 90/Die Grünen) lag? Ob jetzt die gebürtige Bayerin oder der Namensgeber der Maikirmes, der heilige Donatus, die Finger im Spiel hatte – egal: O'zapft is! Die Kirmes ist eröffnet und das erste Kölsch ging an die stellvertretende Ministerpräsidentin von NRW.
Doch vor dem Vergnügen war Arbeit angesagt. Wobei der Kalender eines Kabinettsmitglieds auch durchaus weniger vergnügliche Termine aufweisen dürfte als ein Spaziergang an einem sonnigen Freitag durch die Euskirchener Fußgängerzone – und das in illustrer Begleitung. Mit dabei waren MdL Klaus Voussem, Vertreter des Einzelhandels, der IHK und des Euskirchener Stadtrats. Auch Neubaurs Kabinetts- und Parteikollege Oliver Krischer ging mit. Er hielt sich aber höflich im Hintergrund.
Kurz nach der Flutkatastrophe, damals noch nicht als Ministerin, hatte Neubaur schon mal Euskirchen besucht. „Heute kann ich nur sagen: Hut ab!“, erklärte sie nun, fast drei Jahre nach dem Hochwasserereignis. Nicht nur, dass so viele Einzelhändler die Kraft zum Neuanfang gefunden haben, sondern dass sie auch die Chance nutzten, ihre Geschäfte so zu modernisieren, dass sie dem Online-Handel etwas entgegensetzen können, habe sie sehr beeindruckt, lobte die Ministerin.
Alles zum Thema Mona Neubaur
- Versorgungssicherheit Neue Gaskraftwerke fehlen – Warum NRW den Kohleausstieg 2030 nicht packen kann
- NRW-Check Wählerinnen und Wähler sind so zufrieden wie nie mit Landesregierung
- Studie Klimaneutrale Chemie bis 2045 möglich
- Posse im NRW-Wirtschaftsministerium Neuer Top-Beamter ist nur für drei Fahrer zuständig
- Job-Abbau bei Ford in Köln „Eklatanter Fehler, den die Mitarbeiter ausbaden müssen“
- NRW-Konjunktur Wirtschaftswachstum im Land halbiert sich
- „Ukraine muss gewinnen“ Demo in Köln fordert mehr Waffenlieferungen an die Ukraine
Mona Neubaur lobt Euskirchener für den Aufbau nach der Flutkatastrophe
„Die Menschen in Euskirchen haben sich nach dem schrecklichen Hochwasser im Juli 2021 Stück für Stück in die Normalität zurückgekämpft“, sagte Neubaur: „Die Kraft der Natur hat tiefe Wunden gerissen, die noch immer nicht verheilt sind. Ohne den bis heute andauernden Einsatz, ohne ein breites gesellschaftliches Engagement und einen starken Zusammenhalt vor Ort wäre der Wiederaufbau nicht möglich gewesen.“
2021 hatte Neubaur auch das Schuhhaus Lange an der Neustraße besucht. „Der Boden war aufgebuddelt, sonst war nix“, erinnerte sie sich an damals. Am Freitag nun sah sie einen durch und durch modernisierten und digitalisierten Laden, in dessen Keller wieder Regale voller Schuhe stehen und – sehr zur Freude der Klimaschutzministerin – die Steuerungseinrichtung einer Wärmepumpe zu sehen ist.
„Ich bin ein Fan davon“, erklärte Inhaber Christian Lange, der nach eigenem Bekunden nicht auf das Wiederaufbauprogramm des Landes zurückgreifen musste, weil seine Versicherung den Schaden abgedeckt habe.
Bürgermeister Sacha Reichelt berichtet über Pläne der Stadt
Knapp 100 Geschäfte seien in der Euskirchener Innenstadt durch das Hochwasser beschädigt worden, so Lange, also nahezu alle. Das Ministerium habe 15 Millionen Euro als Wiederaufbauhilfe in Euskirchen bewilligt, gab Neubaur bekannt. Die meisten Schäden haben aber die Versicherungen beglichen, so der Euskirchener CDU-Landtagsabgeordnete Klaus Voussem: „Wir hatten ja mit mehr Anträgen gerechnet.“ Den Steuerzahlerinnen und -zahlern soll's recht sein.
Das und der Zusammenhalt in der Stadt haben wohl dazu geführt, dass Neubaur an diesem Freitag eine weitgehend wiederaufgebaute Ladenstraße besichtigen konnte. Dennoch: Nicht überall hat es so gut geklappt wie in der Euskirchener Innenstadt.
„Ganz spurlos ist es nicht an den Leuten vorbeigegangen“, stellte Nils Jagnow von der Industrie- und Handelskammer Aachen mit einem Blick auf den gesamten Kreis Euskirchen fest. Die Zahl der Wiederaufbau-Anträge der IHK-Mitglieder sei aber auch geringer als anfangs gedacht, so Jagnow weiter: „Wahrscheinlich wegen der guten Versicherungslage.“
Die Folgen der Flut sind längst nicht vollständig beseitigt
Dass die verheerenden Folgen der Flut noch längst nicht vollständig beseitigt sind, wurde die Ministerin gewahr, als sie auf den Trümmerhaufen blickte, der vom früheren City-Forum übrig geblieben ist. Noch sei nicht abschließend beschlossen, was aus dem Areal nun werden soll, erläuterte Bürgermeister Reichelt den Gästen aus Düsseldorf: „Es ist aber weitgehend Konsens, dass wir ein bisschen wenig Grün in der Innenstadt haben und dass das ein Bereich sein könnte, um eine abwechslungsreiche Grün- und Wasserfläche entstehen zu lassen.“
Als Ministerin, die auch für Klimaschutz zuständig ist, sei ihr eine solche Planung natürlich sehr willkommen, so Neubaur: „Wer heute eine Innenstadt gestalten kann, muss berücksichtigen, dass die Sommer heißer sind und dass es häufiger Flutregen geben wird.“
Es sei gut, wenn Politik und Gesellschaft an einem Ort, an dem die Menschen es vor drei Jahren so schmerzhaft erlebt haben, was passiert, „wenn die Klimakrise diese Starkregenereignisse verursacht“, die richtigen Lehren daraus zögen.
Kritische Töne wurden bei dem Rundgang kaum laut – im Gegenteil: „Erstmal müssen wir uns bei Bund und Land bedanken, dass uns dieses Wiederaufbauprogramm zur Verfügung gestellt wurde“, sagte Reichelt im Gespräch mit dieser Zeitung über das 13-Milliarden-Hilfspaket für NRW. Allein 200 Millionen Euro umfassen die Maßnahmen im Wiederaufbauplan der Stadt Euskirchen. Das Geld fließe zum jeweiligen Projektstand auch pünktlich, stellte Reichelt fest.
Dehoga-Chef Patrick Rothkopf sieht Euskirchen auf einem guten Weg
Von leichten Lichtblicken in der Gastronomie berichtete auch Patrick Rothkopf, Kreischef des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, dessen Mitglieder die Krisenkaskade von Corona über Flut bis hin zu Inflation und Arbeitskräftemangel so richtig hart getroffen hat.
Es sei immer noch schwierig, so Rothkopf: „Aber die Entwicklungen sind natürlich zu begrüßen. Wenn mehr los ist in der Stadt und der Einzelhandel floriert. Je mehr Aufenthaltsqualität geschaffen wird, umso besser funktioniert auch die ganze Stadt.“ Euskirchen sei da auf einem guten Weg, so der Dehoga-Chef.
Anschließend traf sich Neubaur mit Vertretern der Feuerwehr, den Wohlfahrtsverbänden und anderen Vertretern der Zivilgesellschaft wie dem Rotary Club Euskirchen-Burgfey. Dessen Projektleiter Hochwasserhilfe, Günter Nieuwenhuis, lobte das Land: „Die Hilfe und der Wiederaufbau ist in NRW viel besser als in Rheinland-Pfalz. Was da passiert, ist ein Trauerspiel.“ Er mahnte aber auch: „Wir brauchen ein Konzept, wir müssen besser aufgestellt sein. Beim nächsten Mal wird die Spendenbereitschaft nicht so groß sein. Und es wird ein nächstes Mal geben.“
Die Furcht vor einer weiteren Katastrophe ist immer präsent
Dorothee Meidling, Beraterin Hochwasserhilfe bei der Diakonie Euskirchen, befand, dass die Fristen für die Hilfen zu kurz seien: „Wir werden auch in zehn Jahren noch Fälle haben, die dringend unterstützt werden müssen“, sagte sie und verwies auf den jüngsten Starkregen. „Dann kommen sämtliche Erinnerungen wieder hoch.
Die psychische Belastung ist immer noch immens – und sie wird es auch bleiben“, so Meidling, die die Zusammenarbeit der Wohlfahrtsverbände seit der Flut lobte: „Vorher hat jeder sein eigenes Ding gemacht. Die Flut hat die Zusammenarbeit deutlich verbessert.“
Das wolle sie mit nach Düsseldorf nehmen, entgegnete Neubaur. „Das, was die Wohlfahrtsverbände geschafft haben, nämlich in der Sache zusammenzuarbeiten – das kann für die Politik nur ein Vorbild sein“, sagte die Ministerin, die auch wissen wollte, was sich im Bereich der Feuerwehren verbessert hat. Thomas Smarsly war in der Flutnacht und den Tagen nach der Katastrophe Einsatzleiter.
„Wir müssen dafür sorgen, dass nicht alles so bürokratisch ist. Wir müssen die Spontanhelfer einbauen können, ohne irgendwelche Hürden und Bedenken aus dem Weg räumen zu müssen“, sagte er. Seit der Hochwasserkatastrophe habe sich bei der Euskirchener Feuerwehr viel getan, berichtete er. Die Ausstattung mit Notstromaggregaten an den Feuerwehrgerätehäusern sei ein Beispiel, so Smarsly.
Alle Teilnehmer waren sich einig: Aus der Katastrophe von vor drei Jahren müsse gelernt werden, Ausruhen auf dem Erreichten sei nicht angebracht. Dafür sei noch zu viel zu tun – und die nächste Herausforderung könnte morgen schon kommen. Auch diese Botschaft nehme sie mit in die Landeshauptstadt, versprach Neubaur.
Die Euskirchener Kirmes ist bis Montag geöffnet
Nachdem Tobias Hopmann, Leitender Pfarrer von Euskirchen, die Geschichte der Donatus-Kirmes berichtet und Bürgermeister Sacha Reichelt Gottes Segen für den Fassanstich mit auf dem Weg gegeben hatte, schritt dieser zur Tat.
Die ersten gezapften Biere gingen an NRW-Ministerin Mona Neubaur und Landrat Markus Ramers. Die Euskirchener Donatus-Kirmes läuft noch bis Montag um 22 Uhr. Am Samstag öffnet die Kirmes um 12, am Sonntag um 11 Uhr. Montag dann wieder um 12 Uhr.