Zülpich – „Diese Session ist ein Trauerspiel“, sagt Robert Frings, Präsident der Zölleche Öllege. Worte, die nicht etwa im Raum verhallen, sondern aufgezeichnet werden – in Ton und Bild. Sie sind Teil eines Videos, das die Zülpicher Karnevalisten gerade im Bachtor, eines der vier Stadttore der Römerstadt, aufnehmen. Bis zum Elften im Elften soll es fertig sein – weil es das muss. Denn pünktlich zum Sessionsstart, der in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie ins Wasser fallen wird, wollen die Zülpicher den Jecken einen Gruß mit auf den Weg in die fünfte Jahreszeit geben.
Das Video soll etwa fünf Minuten lang werden – wahrscheinlich wird am Ende die Grenze nicht ganz eingehalten werden können, denn die Repräsentanten der 18 Karnevalsvereine aus dem Zülpicher Stadtgebiet halten sich am ersten Tag der Aufnahmen nur selten an die vorgegebene zeitliche Begrenzung von etwa 15 Sekunden. „Wir werden den Vereinen einen Youtube-Link zur Verfügung stellen.
Neue Wege im Corona-Jahr
Was die Vereine dann damit machen, ist ihnen überlassen“, sagt Frings. Die Idee für das jecke Video sei nach einer Präsidenten-Versammlung entstanden und sehr schnell für sehr gut befunden worden. „Wir müssen in diesem Jahr neue Wege gehen. Und das ist der erste Schritt. Was danach noch so kommt, müssen wir sehen und abwarten“, sagt der Chef der Öllege. Das hänge auch von der Verfügungslage und der daraus resultierenden Corona-Schutzverordnung ab.
Entscheidung fiel in Absprache mit Zülpicher Stadtverwaltung
Jetzt schon irgendwas zu verkünden, sei wenig sinnvoll, zumal erst in der vergangenen Woche der Entschluss gefallen sei, alle geselligen Veranstaltungen für die bevorstehende Karnevalssession abzusagen. Dazu zählen Proklamationssitzungen, Damen- und Herrensitzungen, Kindersitzungen, karnevalistische Seniorennachmittage, Sitzungen mit und für Behinderte, Tollitäten-Empfänge, Schlüsselübergaben, närrische Treiben an Weiberfastnacht sowie After-Zoch-Partys und natürlich auch die Karnevalszüge.
Die Entscheidung fiel in Absprache mit der Zülpicher Stadtverwaltung. Deren Chef, Zülpichs Bürgermeister Ulf Hürtgen, sagte: „Ein unbeschwertes Feiern im üblichen Rahmen ist während der Pandemie leider nicht möglich. Ich zolle der einheitlichen Entscheidung aller Zülpicher Karnevalsvereine zur Absage der Veranstaltungen Respekt.“
Aus der Not haben die Karnevalisten nun eine Tugend gemacht und gehen kreativ voran. „Wir versuchen den Menschen zu zeigen, dass wir noch da sind, da sein werden“, sagt Frings, der mit seiner Präsidenten-Kette durchaus für verdrehte Augen bei Kameramann Andreas Baudis sorgt, denn das Geklimper ist auf den Aufnahmen gut zu hören. Baudis ist eigentlich Bankkaufmann und Baufinanzierungsspezialist – in diesen Tagen ist er aber auch der Steven Spielberg von Zülpich.
Ausgestattet mit Stativ, Handy, Mikrofon und Softboxen, die fürs richtige Licht sorgen, führt Baudis geschickt Regie. Unterstützung erhält er von René Bohsem, der sich unter anderem um die Verkabelung kümmert. Und darum, dass die Protagonisten an der richtigen Stelle stehen – wenige Zentimeter von der Treppe zur oberen Etage des Bachtors entfernt, direkt an der Wand. Markiert ist der Ort mit Klebeband.
„Die Absage ist allen nicht leichtgefallen“
In Euskirchen fallen sämtliche karnevalistischen Veranstaltungen aus. Das hat der Festausschuss Euskirchener Karneval (Feuka) in Absprache mit den vier Karnevalsgesellschaften nun bekanntgegeben. „Wir Euskirchener Karnevalisten hätten uns getreu dem Motto ’Wir haben’s ja gleich gesagt’ schon seit Längerem entspannt zurücklehnen, die Veranstaltungsabsagen der anderen Städte, Gemeinden und Vereine entspannt hinnehmen und das Geschehen einfach von außen betrachten können“, heißt es in der gemeinsamen Pressemitteilung.
Hinter verschlossenen Türen habe man aber bis zuletzt versucht, alternative Veranstaltungsformate und Konzepte für den Euskirchener Karneval der Session 2020/21 zu finden, die ein gemeinsames Feiern ermöglicht hätten. „Live-Streaming, wie es jetzt am 11.11. in Köln zur Sessionseröffnung umgesetzt wird, war dabei von Anfang an einer unserer Favoriten, ebenso eine Art Karnevals-Kulturnacht mit wechselnden Akteuren vor kleinem Publikum als vernetzte Veranstaltung“, sagt Stefan Guhlke vom Feuka stellvertretend.
Schlussendlich habe man sich jedoch schweren Herzens und in Abstimmung mit den beteiligten Künstleragenturen dazu entschlossen, nahezu alle Veranstaltungen ersatzlos zu streichen. Zudem wurden laut Guhlke alle Künstler-Engagements auf 2021/22 verschoben. Von der Absage sind öffentliche Veranstaltungen wie Prunksitzung, Damensitzung, Kindersitzung und karnevalistischer Seniorennachmittag, Schlüsselübergabe an Weiberfastnacht, After-Zoch-Party, Kinderzug und der Rosenmontagszug ebenso betroffen wie vereinsinterne Veranstaltungen und Empfänge mit geschlossener Gesellschaft. Eine andere Entscheidung sei weder tragbar noch vertretbar.
Die Absage sei allen Beteiligten nicht leichtgefallen, so Guhlke. Ob es private Veranstaltungen in dieser Session noch geben könne und was überhaupt während der nächsten Monate erlaubt sein werde, sei aktuell unklar. „Trotzdem appellieren wir gemeinsam nicht nur an alle Vereinsmitglieder, sondern an alle Euskirchener und an die Besucher von außerhalb, sich in diesem Jahr unbedingt an die geltenden Bestimmungen zu halten, damit wir uns gemeinsam auf eine tolle Session 2021/22 freuen können“, so Guhlke: „Wir werden nun unser Engagement auf die nächste Session konzentrieren.
Vorrangig planen wir unter der Voraussetzung, dass wir bis dahin wieder halbwegs normal feiern können, werden aber auch alternative Konzepte entwickeln und berücksichtigen – selbstverständlich immer unter der Prämisse, dass diese finanziell und sinnvoll umsetzbar sind.“ (tom)
Unvorbereitet kommt keiner die Treppe hoch. Im Kopf haben die Vereinsvertreter sich einen Text zurechtgelegt, der kann aber durchaus zwischen Probelauf und „Ernst“ variieren – so wie der Karneval eben in dieser Session sein muss: spontan, kreativ, nicht ans Drehbuch gebunden.
Jürgen Hoscheid vom Bürvenicher Karnevalsverein spricht in seinem etwa 25-sekündigen Statement den Jecken im Stadtgebiet Mut zu. „Es ist wichtig, den nicht zu verlieren. Und den Kopf oben zu halten“, sagt Hoscheid – natürlich in feinstem Bürvenicher Platt.
Den Anfang an diesem langen Videoabend im Bachtor macht aber Stefan Buning von der KG Blau-Gold Bessenich. Auch er ist deutlich länger als die vorgegebenen 15 Sekunden, macht seine Sache aber gut. Nur das mit dem Alaaf am Ende seiner digitalen Botschaft an die Jecken klappt noch nicht so richtig. Das muss ein zweites Mal aufgenommen werden. Überhaupt sorgt das „Alaaf“ für die eine oder andere Verzögerung.
Denn alles läuft nicht rund. Frings gibt das „Zöllech“ vor, die Vereins-Repräsentanten rufen dreimal „Alaaf“. So weit so gut, wenn Frings Präsidenten-Kette nicht klimpern würde oder der Öllege-Chef vor lauter Begeisterung das Alaaf nicht direkt an sein Zöllech dranhängen würde. Da die Festplatte im Smartphone aber groß genug ist, ist das letztlich alles kein Problem. Sogar das Intro des Präsidenten kann mehrmals aufgenommen werden.
Doch als es endlich im Kasten und Regisseur Baudis zufrieden ist, fällt auf, dass Frings keine weißen Handschuhe getragen hat. Ob er den ganzen Text mit Handschuhen noch mal aufgenommen hat? Das erfahren die Zülpicher Jecken erst am Elften im Elften. Fest steht nur, dass Frings mit belegter Stimme sprechen wird. Die Nicht-Session geht dem Präsidenten nahe. „Wenn Tollitäten keine Proklamation haben, die Pänz keine Kamelle, dann ist das einfach kein Karneval“, sagt er.
Doch die Jecken könnten mit kleinen Gesten die Herzen der Zülpicher erreichen. „Und sei es, wenn sie einen bunten Schal um den Hals tragen würden“, so Frings. Jedes noch so jecke Zeichen sei in dieser Zeit Gold wert – auch um seine persönliche Quarantäne, von der Frings im Intro sinnbildlich spricht, ein wenig zu versüßen.