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„Es war immer dasselbe Muster“Was wir vor dem Lügde-Prozess wissen – und was nicht

Lesezeit 3 Minuten

Der Tatort auf dem Campingplatz Eichwald

  1. Fünf Monate nach Bekanntwerden des massenhaften Kindesmissbrauchs von Lügde wird einer der größten Missbrauchsskandale der vergangenen Jahrzehnte vor Gericht aufgerollt.
  2. Wir fassen den Stand der Ermittlungen und die offenen Fragen zusammen.

Lügde – Auf einem Campingplatz in Lügde soll ein alleinstehender Hartz-IV-Empfänger über Jahre hinweg ein regelrechtes System von Kindesmissbrauch etabliert haben. Die Ausmaße sind monströs. Am Donnerstag startet der Prozess am Landgericht Detmold. Drei Angeklagte müssen sich vor der 3. Strafkammer verantworten. Angesetzt sind zehn Verhandlungstage. Was wir vor dem Prozessauftakt wissen - und was nicht.

Die mutmaßliche Tat

Auf dem Campingplatz „Eichwald“ in Lügde-Elbrinxen sollen die beiden Hauptangeklagten Andreas V. und Mario S. jahrelang Kinder im Alter zwischen vier und 13 Jahren sexuell missbraucht haben. Die Anklage spricht von 34 Opfern. Heiko V., der dritte Angeklagte, soll in einigen Fällen per Livecam zugeschaltet worden sein. Im Dezember 2018 flog das Missbrauch-System durch eine Anzeige auf. Bei der Durchsuchung der Parzelle stellten die Ermittler 14 Terabyte Datenmaterial sicher, die auf kinderpornografischen Inhalt überprüft wurden – 3,3 Millionen Bilddateien, 86 300 Videos.

Die Angeklagten: Andreas V.

Der Hauptangeklagte Andreas V., 56, hauste allein auf der Campingplatz-Parzelle. Er bezog Hartz IV. Trotz der widrigen Verhältnisse erlaubte ihm das Jugendamt, eine Pflegetochter zu betreuen. V. habe das Mädchen als Köder benutzt, sagt Nebenklage-Anwalt Roman von Alvensleben. „Über sie konnte er Kontakte zu anderen Kindern aufnehmen und sich auch ihnen vergehen. Es war immer dasselbe Muster.“ Die Staatsanwaltschaft wirft V. schweren sexuellen Missbrauch in 298 Fällen vor. Der Tatzeitraum erstreckt sich von 1998 bis zur Festnahme 2018. Ein Gutachten über V.s Schuldfähigkeit hatte sein Verteidiger abgelehnt. In den Vernehmungen soll er zwar Namen von Mittätern genannt, zu den Vorwürfen gegen sich aber geschwiegen haben. Inzwischen sei er gewillt, die Taten aufzuklären.

Alles zum Thema Herbert Reul

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Mario S.

Der 34-Jährige aus Steinheim ist der zweite Hautangeklagte im Lügde-Verfahren. 162 Mal soll er laut Anklage zwischen 1999 und Januar 2019 Kinder sexuell missbraucht haben, unter anderem auf dem Campingplatz „Eichwald“. Auch bei ihm sollen die Ermittler reichlich kinderpornografisches Datenmaterial gefunden haben: 4806 Bild- und Videodateien.

Heiko V.

Der 49-Jährige aus Stade soll zwischen 2010 und 2011 an vier Sex-Livechats teilgenommen haben. Darüber hinaus sollen bei ihm 42 719 Bild- und Videodateien mit kinderpornografischem Inhalt gefunden worden sein. Heiko V. hat die Taten eingeräumt, betont aber, kein Kind angefasst zu haben. Sein Anwalt will das Verfahren daher offenbar abtrennen lassen.

Blick in den Wohnwagen des mutmaßlichen Täters

Die Opfer

Die Ermittler konnten 34 Betroffene identifizieren, Jungen wie Mädchen. 32 von ihnen sind als Zeugen geladen. Sollten sie aussagen müssen, hat das Gericht Schutzmaßnahmen angekündigt. Laut einer Sprecherin gibt es mehrere Möglichkeiten: Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, auch die Angeklagten könnten aus dem Saal geschickt werden. Zudem sei eine Vernehmung in einem gesonderten Raum mit Video-Übertragung denkbar.

Die Behörden

„Die staatlichen Sicherungssysteme haben in nahezu beispielloser Weise versagt“, sagt Nebenklage-Anwalt Roman von Alvensleben. Mehrfach hatten Eltern und Sozialarbeiter dem Jugendamt sowie der Polizei Hinweise über mögliche pädophile Neigungen von Andreas V. gegeben. Passiert ist nichts. Ein entsprechender Aktenvermerk beim Jugendamt Hameln-Pyrmont wurde sogar gelöscht, kurz bevor die Staatsanwaltschaft auftauchte. Während der Ermittlungen verschwanden bis heute spurlos 155 sichergestellte CDs und DVDs aus einem Dienstzimmer der Polizei.

Die Politik

Der Missbrauch-Fall in Lügde hat auch in Düsseldorf für Verwerfungen gesorgt. Vor allem gegen Innenminister Herbert Reul und Familienminister Joachim Stamp hat die Opposition schwere Vorwürfe erhoben. Sie hätten das Ausmaß des Falls zu spät erkannt. Die Forderungen, vor allem auch das Versagen der Jugendämter politisch aufzuarbeiten, wurden immer lauter. Nun hat der Landtag mit Stimmen von CDU, SPD, FDP und Grünen einen Untersuchungsausschuss beantragt.