- Der Fraktionschef der Landtags-Grünen Arndt Klocke spricht im Interview über die Corona-Krise und die politischen Folgen für das Land NRW.
- Außerdem kritisiert er das Debakel um die Leverkusener Rheinbrücke und spricht offen über seine Depression.
Die Corona-Krise hat den Klimaschutz aus der politischen Agenda verdrängt. Ist der Höhenflug der Grünen vorbei?
Das glaube ich nicht. In den jüngsten Umfragen liegen wir in NRW bei 20 Prozent. Wenn man sieht, dass wir bei der Landtagswahl 2017 um den Wiedereinzug ins Parlament gekämpft haben, können wir mit dem Wert zufrieden sein. Die Landespartei hat sich mit jetzt 20000 Mitgliedern in den letzten beiden Jahren fast verdoppelt. Und das Thema Klimaschutz kommt mit großer Wucht wieder zurück. Man muss ja aktuell nur mal an den Rhein gehen, um das zu sehen.
Wie meinen Sie das?
Wir haben jetzt einen Wasserstand, der an die Dürre vor zwei Jahren erinnert. Der Unterschied ist nur, dass der Sommer noch gar nicht begonnen hat. Dass ist sehr alarmierend. Die Klimadebatte hat nicht an Dramatik verloren.
In der Corona-Krise sind viele Menschen wieder aufs Auto umgestiegen. Ist das ein Rückschritt für den ÖPNV?
Nein. Der Umstieg war durch die Infektionswelle erzwungen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass mehr Städte Straßen für den Radverkehr gesperrt hätten. Das hätte einen Schub für die Verkehrswende bringen können. Aber die Chance wurde in vielen Rathäusern verpasst.
Was halten Sie von Konjunkturpaketen zur Überwindung der Corona-Krise?
Die halte ich grundsätzlich für notwendig, sie müssen aber an Kriterien von Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtet sein. Eine zweite Abwrackprämie für Pkw, wie nach der Finanzmarktkrise, lehne ich strikt ab.
Die Leverkusener Brücke wird erst Jahre später fertig. Wer trägt die Verantwortung?
Die liegt bei Verkehrsminister Hendrik Wüst und seinem Vorgänger Michael Groschek. Mir ist unklar, wieso zur Amtszeit von Groschek die Asbestbelastung noch nicht aufgefallen ist, obwohl die Brücke ab Herbst 2012 saniert wurde. Wüst muss erklären, wieso er das Qualitätsproblem bei dem chinesischen Stahl, das ihm seit Monaten bekannt war, so lange unter den Tisch gekehrt hat. Hier benötigen wir volle Transparenz. Auch darüber, welche Rolle der Staatssekretär von Wüst in dem Zusammenhang spielt. Der hat früher bei der Baufirma gearbeitet, die den Stahl einsetzen sollte. Das hat schon ein Geschmäckle.
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Verlangen Sie einen Untersuchungsausschuss?
Es ist noch zu früh, um das beurteilen zu können. Aber der Skandal dreht sich um ein Prestigeprojekt. CDU und FDP haben die Landtagswahl auch deswegen knapp gewonnen, weil sie versprochen haben, die Sanierung der Infrastruktur läge bei ihnen in besseren Händen. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ein Untersuchungsausschuss wäre das letzte Mittel, für Transparenz zu sorgen, wenn am Ende zu viele Fragen offen bleiben. Ausschließen will ich das nicht.
Am 13. September sind Kommunalwahlen. Ist der Termin aus Ihrer Sicht zu halten?
Wegen der Versammlungsbeschränkungen, die noch länger gelten werden, wird es schwer sein, einen fairen Wahlkampf führen zu können. Die Meinungsbildung kann derzeit nur digital stattfinden. Das bevorteilt die Amtsinhaber und ist ein Nachteil neuer Kandidaten und kleinerer Parteien. Ich befürchte, dass unter diesen Bedingungen die Chancengleichheit nicht gewahrt werden kann. Deswegen wäre es aus meiner Sicht vernünftig, die Kommunalwahl auf das Frühjahr 2021 zu verschieben. Die CDU hält an dem Termin Anfang September fest, weil sie offenbar von den aktuellen Umfragewerten berauscht ist. Union, SPD, FDP und Grüne diskutieren derzeit darüber, wie sie in der Frage weiter vorgehen wollen.
Ist schon klar, wer bei den Grünen im Land als Spitzenkandidat antritt?
Nein, das wird erst vom Parteitag im Dezember 2021 entschieden. Ich wäre dafür, diesmal mit einem Spitzenteam ins Rennen zu gehen. In Bayern und in Hessen haben die Grünen mit der Teamlösung hervorragende Ergebnisse erzielt. Auch in NRW könnten wir von einer breiteren Aufstellung profitieren.
Zur Person
Arndt Klocke wurde am 11. Februar 1971 in Bad Oeynhausen geboren. Der Politiker lebt in Köln-Nippes. Klocke war von 2006 bis 2010 Landesvorsitzender der NRW-Grünen.
Wie läuft die Zusammenarbeit von Partei und Fraktion?
Gut. Allerdings müsste die Aufgabenteilung im Umgang mit tagespolitischen Themen klarer sein.
Sehen Sie sich selbst als möglichen Spitzenkandidaten?
Die Themen Verkehr, Wohnen und Bauen werden im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen. Ich will meinen Beitrag dazu leisten, die Wähler von unseren Lösungsansätzen zu überzeugen. In welcher Rolle, entscheidet der Parteitag.
Sie haben einen mutigen Schritt gemacht, als Sie öffentlich über Ihre Depression gesprochen haben. Wie geht es Ihnen heute?
Nach der Auszeit im vergangenen Herbst fühle ich mich topfit. Ich weiß jetzt, was im Notfall zu tun ist, und das gibt mir Sicherheit. Das Problem ist immer noch, dass es zu wenig kompetente Ärzte und freie Therapieplätze gibt. Es kann nicht sein, dass man in einer akuten Notsituation drei Monate und länger auf eine Behandlung warten muss.