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Zweiter Bahnring um KölnWie sich das Rheinland bis 2040 wandeln soll

Lesezeit 6 Minuten
Land Region ballonfahrt

Die Region müsse mit den vorhandenen Flächen in Zukunft sehr sorgfältig umgehen, meint Jens Grisar.

  1. Jens Grisar ist beim Verein Region Köln/Bonn für die Stadt- und Raumentwicklung verantwortlich.
  2. Im Interview spricht er über das Konzept für das Jahr 2040, Entlastungen der Metropolen und neue Aufgaben für das Umland.

Herr Grisar, drei Jahre lang haben sich Stadtplaner, Verkehrsexperten, Architekten, Landschaftsplaner damit beschäftigt, wie wir im Rheinland nach 2040 leben werden? Jetzt liegt das Konzept auf dem Tisch. Also: Wie werden wir leben?

Jens Grisar: Es ist uns gelungen, ein räumliches Strukturbild für die Entwicklung der Region bis 2040 zu zeichnen. Das war die Aufgabe.

Das ist schön. Aber was haben die Menschen im Rheinland davon?

Zum Beispiel die Erkenntnis, dass wir in einer Region, in der 2040 deutlich mehr Menschen leben werden, die alle hier wohnen und arbeiten möchten, mit den vorhandenen Flächen sehr sorgfältig umgehen müssen.

Und wie soll das gehen?

Vor allem durch Umbau, Verdichtung und Nachnutzung von Flächen. Auch wenn das nicht reicht. Es wird neue Siedlungen geben müssen. Die entscheidende Frage ist: Wo und wie?

Jens Grisar

Jens Grisar verantwortet beim Verein Region Köln/Bonn die Stadt- und Raumentwicklung.

Wo und wie?

Das muss anders laufen als bisher. Wir dürfen allein schon aus Klimaschutzgründen möglichst wenig Flächen verbrauchen und müssen uns bei neuen Siedlungen deshalb am vorhandenen Verkehrsnetz orientieren, also an bereits durch den öffentlichen Nahverkehr gut erschlossenen Lagen.

Bauministerin Ina Scharrenbach hat schon ein Programm aufgelegt – „Bauland an der Schiene“. Hat sie das bei Ihnen stibitzt?

Das passt natürlich sehr gut zu unserem Konzept. Wir müssen sehen, wo wir in einem bestimmten Radius um das vorhandene und dann möglicherweise erweiterte Schienennetz Potenziale für Wohnen und Gewerbe erschließen können.

Sie fordern einen zweiten Bahnring um Köln, obwohl der vorhandene modernisiert werden muss.

Das haben wir ganz bewusst gemacht. Wir müssen jetzt über die Projekte hinausdenken, die im Bundesverkehrswegeplan bis 2030 stehen. Wenn München nicht weit im Vorfeld der Olympischen Spiele 1972 die Stammstrecke für die S-Bahn gefordert und geplant hätte, wäre sie nie gekommen und die Region hätte sich niemals so entwickeln können. Die Erkenntnis mit dem zweiten Bahnring haben wir den vier Planungsteams zu verdanken. Die haben für uns über den Tellerrand hinausgeschaut und gesagt: „An bestimmten Stellen verstehen wir euch einfach nicht.“ Das hat uns neue Perspektiven eröffnet.

Welche?

Wir haben das Schienennetz in den vergangenen 30 Jahren auf wenige Zentren ausgerichtet. Das geht so nicht mehr. Wir müssen mehr in einem Netz denken und so die Knoten entlasten. Allen voran Köln.

Was heißt das nun konkret für Köln und die Region?

Um Köln und Bonn zu entlasten, muss es für den Schienenfernverkehr leistungsstarke Umsteigemöglichkeiten auf Stadtbahnen und andere Verkehrsträger geben: in Kerpen-Horrem, am Flughafen Köln/Bonn und in Leverkusen. Damit der rechtsrheinische Verkehr auch rechtsrheinisch bleibt und den Kölner Knoten nicht zusätzlich belastet. Wir müssen die Verkehre in der Region umweltverträglich und klimaschonend abwickeln. In den eher ländlich geprägten Regionen, wo sich das auf der Schiene nicht rechnet, kann das der Schnellbus sein. Und so könnten wir jetzt alle Bereiche durchgehen.

DER AUSGLEICH DER REGIONEN

1) Das Rheinland ausbalancieren

Dass jede Region alles macht, muss ein Ende haben. Das Strukturbild 2040 plus schlägt einen Ausgleich vor. Die Regionen müssen sich unterschiedlich entwickeln. Es gibt eigene Konzepte für die Rheinschiene, das Bergische Rheinland, Ville und Börde.

2) Flächen sparen

Der Umbau und die intelligente Nutzung vorhandener Flächen für Wohnen, Gewere und Industrie hat Vorrang vor der Erschließung neuer Gebiete – aus Klimaschutzgründen. Erweiterungen sollen vor allem an bestehenden und neu geplanten Bahntrassen entstehen.

3) Die Verkehrswende vorantreiben

Auf den Autobahnen werden Transit- und regionale Verkehre getrennt, die A 3 und die A 61 als Hauptrouten für den Durchgangsverkehr ausgebaut. Fernverkehrshaltepunkte in Kerpen-Horrem, Leverkusen und am Flughafen Köln/Bonn sollen die bisherigen Hauptbahnhöfe Köln, Düsseldorf und Bonn sowie Köln-Messe/Deutz und Siegburg/Bonn entlasten.

Zur Person

Jens Grisar (49) ist der Projektleiter für integrierte Stadt- und Raumentwicklung beim Verein Region Köln/Bonn.

Die Wirtschaft zum Beispiel. Das Rheinische Revier steht mit dem absehbaren Ende der Braunkohle-Förderung vor einem schwierigen Strukturwandel.

Da sind mit dem Kohlekompromiss ja bereits viele Projekte für die gewerblich-industrielle Entwicklung entlang der Erft und im Tagebau-Umfeld in Planung und die dafür notwendigen Strukturfördermittel vorhanden. Die Region ist ja glücklicherweise wirtschaftlich sehr breit aufgestellt. Der rechtsrheinische Korridor eignet sich gut für die Ansiedlung von Dienstleistungen, urbaner Produktion, Gewerbe und Industrie im Übergang zwischen Rheinschiene und Bergischem Land. Der Swistbogen im Linksrheinischen an der A 61 ist ideal für die Landwirtschaft und grüne Technologien. Und bei allem dürfen wir die Großstandorte der Chemie, Pharmazie und Autoindustrie nicht vernachlässigen. Sie sind die Stützpfeiler der Region. Und brauchen eine leistungsfähige Infrastruktur.

Aber es gibt nicht überall Wachstumsregionen im Rheinland.

Richtig. Bei 1400 Dörfern im Oberbergischen kann heute keiner sagen, wie das in 20 Jahren aussehen wird. Da haben wir die Idee der Raumgemeinschaft entwickelt. Wir nehmen an, dass nicht alle Versorgungsfunktionen in jedem dieser Ortschaften aufrechterhalten werden können. Da muss man interkommunal agieren. Beispielsweise bei der Baulandentwicklung an den richtigen Orten. Oder bei der Mobilität. Im Grunde gilt das vom Grundsatz her für alle 61 Kommunen in der Region. Viele Herausforderungen lassen sich nur noch interkommunal bewältigen. Und es muss nicht jeder alles machen.

Die Klimaschutzdebatte ist seit einem Jahr das Thema schlechthin. Hat das die Arbeit am Konzept „Rheinland 2040 plus“ noch beeinflusst?

Tagesaktuell nicht. Das Thema war von Beginn an da und wichtig. Daher haben wir verzahnt mit dem Konzept an einer Klimawandelvorsorgestrategie für die Region gearbeitet. Zudem: Wir haben ja kein Wachstumskonzept vorgelegt mit dem Ziel, der Region für bestimmte Bereiche bis 2040 Wachstum quasi zu verordnen. Wir wissen aber, dass weite Teile stark wachsen werden. Deshalb geht es darum, sinnvoll und räumlich ausgewogen zu steuern, wie man das Wachstum bei allen Prognose-Unsicherheiten raumverträglich unterbringen kann. Heute kann doch keiner sagen, ob Köln bis 2040 um 70.000 oder 170.000 Menschen wachsen wird. Das ist die Spannbreite. Nichts tun heißt ja nicht, dass nichts passiert. Wir hatten schon Beispiele für Kommunen, die einfach keine neuen Baugebiete mehr ausgewiesen haben. Da sind dann die Mieten gestiegen und die Immobilienpreise explodiert und das wird zu einem Problem für die angestammte Bevölkerung. Deshalb reden wir von einer Region in Balance.

Was heißt das genau?

Wir machen hier einen Vorschlag, wie man den erhöhten Wohnbedarf neben den anderen Ansprüchen nach Freiraum, Gewerbe und Industrie organisieren kann. Verknüpft mit der Mobilität. Ob das dann so kommt, wird man sehen. Wenn wir aber an einer S-Bahn-Haltestelle, am besten noch in einem Gebiet mit Wohnungsbestand, eine Entwicklung verorten, haben wir auf keinen Fall etwas falsch gemacht.

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Wir würden etwas falsch machen, wenn wir für eine fiktive Einwohnerzahl von 300.000 Menschen die entsprechenden Hektar an Freiflächen irgendwo zur Verfügung stellen, weil wir keine bessere Lösung gefunden haben. Nein. Wir zeigen eine Strategie und Prinzipien und auch Räume, die sich für eine weitere Entwicklung eignen, wenn sie denn stattfindet.

Und wenn alles doch ganz anders kommt?

Das ist kein statisches Konzept. Wir werden damit jetzt in die Region gehen, in die Politik, in die Verwaltungen und diskutieren. In zwei Jahren soll es dann fortgeschrieben werden. Und wir wollen es natürlich auch in konkrete Projekte umsetzen. Es darf da natürlich keine Konkurrenzen und Dopplungen zu anderen Programmen beispielsweise aus den Strukturhilfen für das Rheinische Revier geben. Man kann sich aber gegenseitig stützen und beflügeln. Integrierte Programme und Konzepte sind mittlerweile Voraussetzung, um Fördermittel zum Beispiel der Europäischen Union zu bekommen. Wir haben diese Programme und sind damit anderen Regionen in Deutschland ein Stück voraus.