Laut Zukunftsagentur Rheinisches Revier könnte die Wertschöpfung der Region deutlich sinken. Damit der auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg klappt, müssen neue Arbeitsplätze im Vordergrund stehen, sagt ZRR-Geschäftsführer Bodo Middeldorf.
Interview zum Umbau Rheinisches RevierFehlen bald 2 Milliarden? „Wenn dieser Betrag ausfällt, wird das auch der Bäcker an der Ecke merken“
Herr Middeldorf, bis zum vorgezogenen Kohleausstieg verbleiben noch knapp sieben Jahre, wenn wir mal großzügig sind und vom Jahresende 2030 ausgehen. Sie sind der Chef der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) und müssen das wuppen. Da muss Ihnen doch angst und bange werden?
Bodo Middeldorf: Klar ist, dass die Bundesregierung jetzt sehr schnell handeln und endlich die Kraftwerksstrategie vorlegen muss, damit die Versorgungssicherheit der energieintensiven Industrie garantiert ist. In NRW brauchen wir mindestens fünf wasserstofffähige Gaskraftwerke, von denen drei im Rheinischen Revier stehen könnten. Der RWE-Konzern steht in den Startlöchern. Weisweiler und Neurath bieten sich als Standorte an. Dort verfügt man über die gesamte Infrastruktur. Es macht keinen Sinn, ein Gaskraftwerk auf die grüne Wiese zu setzen, das wäre in der Kürze der Zeit gar nicht zu schaffen. RWE könnte morgen investieren, wenn die Bedingungen klar wären. Darauf warten wir jeden Tag, weil das für die energieintensiven Industrien hier im Rheinischen Revier und in ganz NRW überlebenswichtig ist.
Über wie viele Jobs reden wir eigentlich, wenn es um den Strukturwandel im Rheinischen Revier geht? Da geistern völlig unterschiedliche Zahlen durch die Welt.
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Wir reden über 50.000 Beschäftigte, die im Rheinischen Revier direkt in der energieintensiven Industrie arbeiten. Von den 7500, die noch bei RWE arbeiten, sind etwa 5000 über Bundesmittel abgesichert. Bei den Zuliefererbetrieben arbeiten noch einmal mindestens genauso viele. Wir werden ab Anfang der 2030er Jahre jährlich rund zwei Milliarden Euro an Wertschöpfung verlieren. Wenn dieser Betrag ausfällt, wird das im Zweifel auch der Bäcker an der Ecke merken. Deshalb müssen wir das durch neue Einkommensquellen kompensieren.
Dafür stehen Fördermittel des Bundes von 14,8 Milliarden Euro bereit. Oder könnten die angesichts der prekären Haushaltslage des Bundes in Gefahr geraten?
Nein. Darüber müssen wir uns keine Sorgen machen. Zumal sie aus unterschiedlichen Finanztöpfen der verschiedenen Ressorts kommen, von Wirtschaft über Verkehr und Umwelt bis hin zu Kultur und Sport.
Zum Trödeln wie in den vergangenen zehn Jahren sei jetzt keine Zeit mehr, sagt Silke Krebs, Staatssekretärin im NRW-Wirtschaftsministerium und Vorsitzende Ihres Aufsichtsrats. Das muss man als Kritik an der ZRR verstehen, oder?
Nein, es geht vielmehr darum, die bisherigen Verfahren ehrlich auf den Prüfstand zu stellen und den Gesamtprozess zu beschleunigen. Wichtig ist es aber auch, uns stärker zu fokussieren, um die Wirkung der einzelnen Maßnahmen zu erhöhen. Ich will jetzt kein Forschungs-Bashing betreiben, weil Forschung langfristig unsere einzige Chance ist, hier zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen. Aber die Kritik der Kommunen im Rheinischen Revier, sie seien zu Beginn bei den Projekten im Vergleich zu den Forschungseinrichtungen benachteiligt worden, sehen wir. Deshalb haben wir 2023 das Fördersystem vom Kopf auf die Füße gestellt. Das war schon ein Kraftakt.
Anfangs haben wir mit öffentlichen Aufrufen viele gute Ideen eingesammelt, aber am Ende mussten wir feststellen, dass vieles davon fördertechnisch nicht umsetzbar war. Das hat zu viel Frust geführt. Bei der Projektauswahl achten wir jetzt sehr genau darauf, dass die Projekte in einem engen Zusammenhang mit der Region stehen und fördertechnisch machbar sind.
Was haben Sie verändert?
Statt offener Aufrufe wird es in Zukunft Förderangebote des Landes geben, bei denen die Rahmenbedingungen festgelegt und für alle Beteiligten von Anfang an klar sind. Das kombinieren wir mit einem vorlaufenden Dialog mit potenziellen Interessenten und Vorhabensträgern in der Region. Das Land wird den Prozess mit einem Meilensteinplan begleiten. Dieser Plan zeigt auf, wann und wie die Ziele aus dem Reviervertrag 2.0 auf dem Weg bis 2030 umgesetzt werden. Das sind insgesamt 26 Meilensteine, die sich zum Beispiel auf das Innovations- und Transfergeschehen im Rheinischen Revier beziehen. Aber auch auf Maßnahmen zur Klimaanpassung und wie sich die Attraktivität des Wirtschafts- und Lebensstandortes steigern lässt. Wie die Verkehrsinfrastruktur und der Mobilitätsangebote ausgebaut, Tourismus, Kultur und Sports gestärkt oder die digitale Infrastruktur schneller ausgebaut werden können. Damit bindet sich das Land auch politisch an den Prozess und das ist gut für die Region.
Aber Sie nehmen schon Einfluss, oder?
Das tun wir. Wenn wir den Strukturwandel bis zum Jahr 2030 bewältigen wollen, müssen die Arbeitsplätze im Vordergrund stehen. Deshalb setzen wir sehr viel stärker auf die Förderung wirtschaftsnaher Infrastrukturen, um die Unternehmen bestmöglich unterstützen zu können. Sie sind es, die am Ende die Arbeitsplätze schaffen. Im Fokus steht dabei etwa die Entwicklung neuer Gewerbegebiete. Hier wird es in Abstimmung mit uns in Kürze ein Förderangebot geben, mit dem die Erschließung, Planung und zu einem bestimmten Anteil auch der Erwerb einer Gewerbefläche möglich sein wird. Das ist eine entscheidende Bedingung sowohl für ansässige als auch für ansiedlungswillige Unternehmen. Daneben gehören auch Gründer- und Technologiezentren dazu, Verkehrsinfrastrukturen und Aus- und Weiterbildungseinrichtungen.
Sind Sie nicht schon viel zu spät dran? Die Entwicklung von Gewerbegebieten dauert viele Jahre.
Das wissen wir. Zwischen fünf und acht Jahren wird man schon brauchen. Aber wir waren nicht untätig und haben bereits 60 strukturrelevante Gewerbestandorte im Rheinischen Revier definiert, die alle auch im Entwurf des neuen Regionalplans der Bezirksregierung Köln ausgewiesen sind. Wenn wir zehn davon bis 2030 auf den Weg bringen, wäre das ein echter Erfolg. Das kombinieren wir mit einer internationalen Ansiedlungsoffensive. Insofern ist Strukturwandel auch das klassische Geschäft eines Wirtschaftsförderers.
Wir konzentrieren uns dabei vor allem auf das Kernrevier und knüpfen inhaltlich an vorhandene Strukturen an. Zum Beispiel mit der Modellfabrik Papier in Düren, bei der es um die Unterstützung der heimischen Papierindustrie geht. Bei all diesen Aktivitäten arbeiten wir mit kompetenten Partnern zusammen. Die internationale Vermarktung etwa übernimmt die Landeswirtschaftsförderung NRW.Global Business. Um die Entwicklung der geretteten Dörfer kümmert sich vor allem die Starke Projekte GmbH des Landes. Wir pfuschen uns da nicht ins Handwerk, sondern stellen einen engen Austausch sicher.
Zur PersonBodo Middeldorf ist Geschäftsführer der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR). Der ehemalige Politiker und Diplomvolkswirt war von 2017 bis April 2021 FDP-Landtagsabgeordneter und zuvor zehn Jahre Geschäftsführer der Bergischen Struktur- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft.