Leichlingen – Als ihn am Donnerstagmorgen im äußersten Norden Deutschlands die Nachrichten aus der Heimat erreichten, gab es für Herbert Reul kein Halten mehr: Schluss mit Urlaub, ab auf die Autobahn nach Hause, in die Krise. Zwölf Stunden dauerte die Heimfahrt im Auto an diesem Tag von Flensburg nach Leichlingen, wo er dank überfluteter Straßen nur unter Schwierigkeiten sein Haus erreichte, das wie so viele in der Stadt vom Stromkreis getrennt war.
Kein Strom, kein Telefon, kein Internet, die Rollladen noch zwei Tage dicht verschlossen. Strom gibt es bei ihm seit Samstag wieder bei Reuls, Internet immer noch nicht. „Das ist schon blöd, wenn du Minister bist.“
Und statt wie geplant an der Nordsee zu entspannen, ist der nordrhein-westfälische Innenminister nun wieder im Krisenmodus an Wupper, Rhein und Erft unterwegs, leitet den Krisenstab im Innenministerium, der den Einsatz von landesweit 18 600 Rettungskräften organisiert. Und erlebt hautnah, wie das Wupperhochwasser seiner Heimatstadt mitgespielt hat.
Dass die Paul-Klee-Schule, an deren Entstehung sein Vater noch über den Landschaftsverband mit beteiligt war, nun ein zweites Mal so tief im Wasser steht, ist für ihn schockierend. Überhaupt, dass es die Schulen so sehr getroffen hat. Um den Sparkassen-Anbau ans alte Rathaus, das jetzt das Sozialkaufhaus Globolus beherbergt, sei es – allein vom Gebäude her gesehen – ja weniger schade. Aber dass die Marly-Brücke womöglich nicht überlebt ...
Am wichtigsten für Reul aber ist es mitzuerleben, wie Menschen in der Not zusammenhalten. Vier Stunden lang ist er am Wochenende durch Leichlingen gegangen und hat mit den Menschen gesprochen, die als Nachbarn, Freunde, aber auch einfach als hilfsbereite Fremde mit anpackten beim Aufräumen. „Unsere Gesellschaft ist viel besser als wir oft angenommen haben und als es in den Medien dargestellt wird.“ Diese Solidarität, das verlässliche ehrenamtliche Engagement bis zur Erschöpfung hat ihn begeistert. „Das ist große Klasse!“
Weniger toll findet er natürlich Vorfälle mit Gaffern, Dieben, Plünderern. Er habe nach seinem Rundgang durch Leichlingen Polizeiverstärkung gerufen und die sei dringend nötig gewesen. „Die Polizeikräfte mussten absperren und auch Platzverweise aussprechen, damit die Leute nicht aneinander gerieten.“
Natürlich war der Innenminister auch an den dramatischen Hotspots, in Erftstadt-Blessem und an der Steinbachtalsperre. Doch überall fand er in der Tragödie diese Begeisterung für das gemeinsame Zupacken. Wurden im Vorfeld Fehler gemacht? „Natürlich werden in einer Katastrophe, die Menschen extrem fordert, Fehler gemacht. Wenn Sie jemanden kennen, der keine macht, schicken Sie ihn mir, ich stell’ den sofort ein.“
Wenn die Krise vorbei sei, werde er das Vorgehen analysieren, um aus Fehlern zu lernen. Bisher sehe er nur, dass rasch und entschlossen gehandelt worden ist, wo es erforderlich gewesen sei.
Es muss schnell gehen
Nun sieht der Innenminister Land und Bund gefordert, den Betroffenen so schnell und unbürokratisch zu helfen, wie nur eben möglich. Voraussichtlich am Donnerstag werde das Landeskabinett darüber beraten. Das Heimatministerium von Ina Scharrenbach werde sich dann um die Finanzhilfen für Städte und Gemeinden kümmern, das Wirtschaftsministerium von Andreas Pinkwart um die Betriebe und sein Innenministerium um die Privaten, die Soforthilfen und mittelfristig Aufbauhilfen benötigten.
Wie teuer das werden wird? „Kann ich nicht sagen, wir kennen ja nicht einmal ansatzweise die wirkliche Höhe des Schadens.“ Gewiss sei nur: „Das muss extrem langfristig finanziert werden. Meine Enkel werden das noch bezahlen.“
Dafür Steuern zu erhöhen, hielte er aber für einen Fehler, betont Reul. „Das würde eine zu hohe Belastung für Unternehmen wie für Verbraucher. Wir brauchen einen wirtschaftlichen Aufschwung, sonst verpufft eine Steuererhöhung und wir haben nicht wirklich höhere staatliche Einnahmen. Dann erreichen wir das Gegenteil.“