Für NRW-Innenminister Herbert Reul war der Beitritt Leichlingens zum Netzwerk „#Sicher im Dienst“ ein Heimspiel.
„Anpöbeln, bespucken“Innenminister Herbert Reul startet Sicherheitskampagne in Leichlingen
Sich beschimpfen, beleidigen und bedrohen lassen wollen die Mitarbeitenden der Leichlinger Stadtverwaltung nicht. Sie wehren sich gegen Übergriffe, Hass und Hetze und wollen sich vor verbalen und tätlichen Angriffen schützen. Deshalb hat sich die Stadt jetzt als eine der ersten Kommunen im Rheinland dem landesweiten Präventionsnetzwerk „#Sicher im Dienst“ angeschlossen.
Mehr als 460 Behörden, Organisationen und Verbände sind bereits Mitglied der 2022 begründeten und rasant wachsenden Initiative. Aber der Beitritt der Blütenstadt war auch für den hier wohnenden Innenminister Herbert Reul (CDU) so bedeutend, dass er am Donnerstag mit einer kleinen Delegation persönlich zur feierlichen Unterzeichnung der Beitrittsurkunde kam – eine Ehre, die nicht jedem Bündnispartner zuteilwird.
„Es ist schon etwas Besonderes, so etwas in seiner eigenen Heimatstadt zu begründen“, bekannte der Leichlinger bei seinem Besuch im Ratssaal. An der Wand neben ihm hing dabei in der Ahnengalerie der Stadt das Porträt seines Vaters Karl Reul, Ehrenbürgermeister der Stadt und Amtsinhaber der Ära von 1975 bis 1994.
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Bürgermeister Frank Steffes (SPD) freute sich über den prominent besetzten Anlass und begrüßte Reul bei seinem Heimspiel, für das der Minister noch einmal aus Düsseldorf zurückgekommen war. Mit seiner Wagenkolonne und begleitet von Sicherheitskräften und Streifenwagen fuhr der Minister pünktlich um 11.30 Uhr am Rathaus vor. „Ich bin hier, um den Beitritt meiner Heimatstadt zu unterstützen und aktiv daran teilzuhaben“, erklärte er.
Leichlingen ist also früh dabei in dem Netzwerk, das Beschäftigte des öffentlichen Dienstes vor Gewalt schützen soll. Erst im vergangenen Monat ist der NRW-Landtag beigetreten. Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel ist Botschafter für die Initiative im Rheinland. Die Regierungspräsidien Köln und Düsseldorf folgen erst noch. Seit Dezember ist das städtische Klinikum Leverkusen Mitglied, wo Pflegepersonal, Ärzte und Rettungsdienste ebenfalls unter der zunehmenden Aggressivität der Menschen leiden.
Auch in der Leichlinger Verwaltung wissen die Beschäftigten, was Reul meint, wenn er von der zunehmenden Gewalt in Behörden, auf den Straßen und in den sozialen Netzwerken spricht. „Wir sind in einer ganz schwierigen, merkwürdigen Situation“, sagte Reul: „Egal wo man hinhört, Störungen Gewaltanwendung und Bedrohungen sind überall. Anpöbeln, Beschimpfen, Bespucken sind für viele im öffentlichen Dienst fast schon Normalität. Wir wollen, dass das nicht hingenommen wird. Wir wollen ein Zeichen setzen. Das ist der Grund, warum wir heute hier sind.“
Der Personalrat der Stadtverwaltung hat den Beitritt zu dem Bündnis angeschoben. Dessen Vorsitzende Susanne Winkelhoch berichtete von „vielen Sorgen und Nöten der Beschäftigten“. Meist bleibe es bei verbaler Gewalt, bei Beleidigungen, Drohungen. „Aber auch das macht etwas mit den Menschen, ist eine psychische Belastung“, sagte sie. Zahlenmäßig erfasst worden sind Zwischenfälle bislang nicht. Aber Vorfälle im Dienstalltag gäbe es genug, um sich das nicht länger bieten zu lassen.
Mitarbeiter werden als unfähig beschimpft
Kolleginnen und Kollegen würden als unfähig beschimpft, sobald etwas nicht laufe, seien im Bürgerbüro schon bespuckt worden. Außendienstler des Ordnungsamtes und Vollstreckungsbeamte seien als Zielscheiben besonders gefährdet. Neuerdings klagen auch die ehrenamtlichen Feuerwehrleute über Beschimpfungen und Behinderungen. Ein früherer Sozialamtsleiter ist einmal tätlich angegriffen worden. Ein Mann marschierte mit Baseballschläger ins Rathaus.
„Irgendetwas stimmt zurzeit in unserer Gesellschaft nicht. Der Ton verroht, Übergriffigkeiten nehmen verbal und körperlich zu, Aggressionen greifen um sich. Auf Social Media erleben wir von morgens bis abends Attacken“, pflichtete Steffes Reul bei: „Da müssen wir etwas tun.“ Er, der selbst sogar zu Hause bereits bedroht werde, wolle die Gewalt gegenüber seinen Bediensteten als verantwortlicher Dienstherr nicht tatenlos hinnehmen.
Keine Scheren auf dem Schreibtisch
Mit Hausverboten und Anzeigen, Coachings für die Bewältigung von Konfliktsituationen, Zugangsbeschränkungen und Sensibilisierung der Mitarbeitenden für Gefahrensituationen versucht die Verwaltung Schlimmes zu verhindern. Die Telefone haben eine Notruf-Funktion, mit denen im Ernstfall Hilfe alarmiert werden kann. Bei Kundenbesuchen keine Scheren oder Brieföffner auf dem Schreibtisch liegen zu lassen, gehört zu den Tipps, die leider nötig sind.
Und auch mit weiteren Präventivmaßnahmen hat die Stadt Leichlingen bereits viele Empfehlungen aus dem Handlungskatalog der Initiative „#Sicher im Dienst“ vorbildlich erfüllt, wie deren Koordinator Andre Niewöhner von der Kreispolizeibehörde Coesfeld bei der Unterzeichnung der Beitrittsurkunde lobte. So lasse man niemanden mehr unkontrolliert durchs Rathaus laufen, erläuterte Steffes: „Die Leute werden am Eingang abgeholt und begleitet, Termine müssen über die Online-Buchung vereinbart werden.“
Schwierige Gespräche sollen nie allein und nie außerhalb der Öffnungszeiten geführt werden. Im Sozialamt ist ein monatlicher „Pay Day“ eingeführt worden, an dem Empfänger von Unterstützung einzeln ins Büro begleitet werden. Einen Vorteil habe die Leichlinger Verwaltung: „Wir haben die Polizei im Haus, der Bezirksdienst sitzt direkt nebenan – die sehen das und die kommen auch raus, wenn es nötig ist“, berichtete Steffes. Die Erfahrungen, Selbsthilfe-Tipps, Schulungsangebote und Informationsmaterialien des Präventionsnetzwerks „#Sicher im Dienst“ sollen fortan auch in der Heimatstadt von NRW-Innenminister Reul dafür sorgen, dass die Zustände friedlicher werden.