Leverkusen – Als spätestens in den 1970er-Jahren der Lastwagen zum Maß aller Dinge in der Logistik wurde, legten Unternehmer und Manager reihenweise ihre Gleisanschlüsse still. Früher waren so gut wie alle großen Industrie- und Gewerbegebiete ans Schienennetz angeschlossen. Dann aber entstanden Gewerbegebiete und Industrie auf der grünen Wiese, die nur durch einen wahren Rattenschwanz an Lastwagen funktionsfähig sind. Auch heute noch, zum Beispiel in Burscheid.
Doch möglicherweise ändern sich die Zeiten auch wieder. Einzelne Container, die sich im Schienennetz ihren Weg autonom suchen, sind in der Erprobung und bei der Bahn lief kürzlich eine größere Werbeaktion: Neubau und Reaktivierung werden mit viel Geld gefördert. Firmengleise könnten wieder kommen, auch weil die Bahn einfach viel sauberer ist als der Straßenverkehr.
Wer hat in Leverkusen noch einen Gleisanschluss?
Nur wenige sind erhalten und nur einer wurde in den vergangenen Jahren neu gelegt: Beim Instandhaltungswerk für Gleisbaumaschinen der Deutsche Plasser in Opladen. Dort kommt man naturgemäß nicht ohne Anschlussgleis aus.
Quasi das Gegenteil von Instandhaltung betreibt Bender-Recycling: Dort verschrottet man Lokomotiven und ganze Züge, die übers Firmengleis angeliefert werden.
Auch ausgediente schwere Transformatoren kommen manchmal über diesen Weg an die Robert-Blum-Straße, für die Anlieferung von Schrottautos oder anderem Metall ist dieser Anschluss unbedeutend.
Die schweren Transformatoren, die Bender zerlegt, könnten zum Beispiel aus dem dritten Opladener Betrieb kommen, der noch Anschluss ans Eisenbahnnetz hat: aus dem großen Umspannwerk Opladen am Hauweg; ehemals gehörte es RWE, heute betreibt es Amprion. Dort liegt ein Gleis zwischen dem Werk und der Schnellbahn-Strecke Köln - Duisburg, der eigentliche Anschluss ist aber besonders: Eine "Zungen- und herzstücklose Abzweigung" nennen ihn Eisenbahner. Denn sie wird nur für eine Nacht eingesetzt, wenn ein Tausch der bis 400 Tonnen schweren Transformatoren angesetzt ist. Die Hauptstrecke wird dann gesperrt, ein Anschlussstück eingesetzt und verschweißt. Nach dem Tausch wird das Gleisstück wieder entfernt und die makellose, weil weichenlose ICE-Strecke wird im Morgengrauen wieder freigegeben - eine teure und logistisch komplexe Arbeit, die zuletzt im Januar 2020 beim Trafo-Tausch gemacht wurde, aber die Wartungskosten für eine Weiche wäre offenbar für Amprion noch teurer.
Den mit jetzt 123 Jahren ältesten und mit 6,1 Kilometern längsten Gleisanschluss Leverkusens besitzt der Chempark, vormals Bayerwerk. Der Anschluss sei für den Betrieb wichtiger denn je, sagt ein Bayer-Eisenbahner und eigentlich ist er der einzige verbliebene Gleisanschluss, auf dem regelmäßig Waren, meist in Kesselwagen verfrachtet werden. Das Schienennetz im Werk wird derzeit sogar noch ausgebaut.
Das Anschlussgleis liegt auf Kölner Gebiet zwischen Flittard und Mülheim. 30 000 bis 35 000 Wagen pro Jahr passieren im Durchschnitt jährlich das Rolltor in Flittard. Die Strecke führt auf einer eigenen Brücke in Stammheim über die B 8, hat zwei beschrankte Bahnübergänge und drei unbeschrankte. Obwohl die "Bayer-Bahn" ordentlich rumpelt, wurde 2019 ein 84-jähriger Radfahrer überfahren.
35 Kilometer Gleise im Werk
Im Werk liegen 35 Kilometer Gleise, die über 175 Weichen verknüpft sind. Die äußere Schleife reicht bis an die Werksmauer an der Wiesdorfer Hauptstraße. Die Anlage besteht aus zwei großen Verzweigungen, den Gleisharfen. Sackgleise führen zu einzelnen Betrieben, 75 Prellböcke verhindern, dass die Tankwagen zu weit rollen.
Täglich fahren planmäßig drei Güterzüge aus dem Bahnhof Bayerwerk aus. Das ist der so genannte "Bayer-Express", den Flittarder gut kennen, weil er mehrmals täglich vom Werksbahnhof Leverkusen eine weite Runde durch Mülheim, rund um Köln über die Südbrücke nach Dormagen fährt. Auch der Verschiebebahnhof Gremberg wird angefahren. Von Dormagen wird das Werk in Uerdingen angefahren. Dann geht die Runde rückwärts.