Das rote Rad ist ein Leverkusener Klassiker
Älter als das BayerkreuzMit dem roten Rad wurde Leverkusen Fahrradstadt
Der Sommer ist die Zeit der Radfahrer. Zeit, sich mit einem Ur-Leverkusener Phänomen beschäftigen: mit dem roten Bayer-Rad. Wenn das ginge, müsste es eigentlich unter Denkmalschutz gestellt werden, denn als eigenständig fester Bestandteil der Firma gibt es dieses Rad länger als das Bayerkreuz und als die Stadt Leverkusen.
Für beide Dinge, Kreuz und Rad, dürfte die Behauptung nicht übertrieben sein, dass nur wenige andere Dinge stärker mit Leverkusen identifiziert werden. Das Rad war eine Erfolgsgeschichte und sie ist aus heutiger Sicht unbedingt nachahmenswert: Niemand kann heute errechnen, wie viele Tonnen Treibhausgase diese frühe Leverkusener Idee der Atmosphäre erspart hat.
1898, vor 126 Jahren, waren die von der Belegschaft zurückzulegenden Strecken im Werk offenbar so zeitraubend lang geworden, dass sich die Direktion unter Theodore Böttinger mit der Anschaffung von Fahrrädern beschäftigte. Um 1900 wurde die Werksfeuerwehr mit den später berühmten roten Rädern ausgestattet, deren Erst-Angriffstrupp auf den Qualitätsrädern schneller zum Einsatz kam.
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Ob die Räder wegen ihrer Feuerwehr-Herkunft die rote Lackierung bekommen haben, ist noch unerforscht, allerdings legte sich die Direktion schon 1905 fest, dass alle zu den Farbenfabriken gehörenden Räder rot (Farbton Ral 3002) zu lackieren seien, zur Unterscheidung zu den Privaträdern. Seit 1907 gibt es die Reparaturwerkstatt.
Im Ersten Weltkrieg mussten die Leverkusener Farbenfabriken die Räder ans Militär abgeben. Seit 1920 sind die roten Räder auch außerhalb des Werks erlaubt. „Fabrikfahrräder“ durften laut Mitteilung an die Abteilungs- und Bürovorstände „in dienstlichen Angelegenheiten auch außerhalb des Fabrikgeländes“ benutzt werden. Noch vor wenigen Jahren standen während Mittagspausen manchmal Hunderte dieser Räder in der Wiesdorfer Fußgängerzone. Ab 1921 durften keine Privaträder mehr mit ins Werk genommen werden, die Regel wurde später wieder gelockert, natürlich nur mit Sondererlaubnis.
Die Zahl der roten Räder wuchs: 1935 bekam die Kaiser-Wilhelm-Allee einen ersten Radweg. Vom Pförtner zwei, vorbei am alten Wiesdorfer Bahnhof und durch die Kolonie III und Küppersteg gab es ab 1936 eine breite und sichere Rad-Komfortroute nach Opladen: eine wieder zurückgebaute Infrastruktur, von der Leverkusener Radler heute träumen. Die Werksräder machten Leverkusen in seinen frühen Jahren zur Fahrradstadt.
Gab es ab den 1950er-Jahren wiederholt auch in der Zeitung Klagen über die Fahrradflut (Werksräder und private), stieg im darauffolgenden Jahrzehnt die gut verdienende Bayer-Belegschaft ins Auto um, was keinesfalls eine Verbesserung im Berufsverkehr bedeutet haben dürfte. Dennoch blieb das Werksrad mit der gelben Stange (nur die durften auch außerhalb des Werks gefahren werden) ein Statussymbol.
1961 hieß es in der Zeitschrift „Unser Werk“: „Fast alle RR-Fahrer (RR=rote Räder) können sich ein Auto leisten. Aber zum Werk fahren sie mit dem RR. Auto fährt heute jeder!“ Das RR-Fahren sei eine Art von Understatement, hieß es. Der Nachteil: Man könne damit schlecht zur Dienstzeit in einen Park fahren und nichts tun. Übrigens bekamen nicht nur Vorgesetzte ein Werksrad, jeder, der einen sinnvollen Betriebszweck nachweisen konnte, bekam eins.
Unklar ist, weshalb das rote Rad laut Unterlagen aus dem Bayer-Konzernarchiv noch in den 1960er-Jahren grundsätzlich keinen Gepäckträger hatte. Wollte man so verhindern, dass das Rad im Chemiewerk als kippeliges Transportmittel verwendet werden konnte?
1999 gab es einen Wandel: Die Doppelstange war passé, zum Entsetzen geschichtsbewusster Nutzer schaffte man schwedische Räder der Marke Monarc an. Das waren ausschließlich Damenräder mit tiefem Einstieg, damit fahren Männer nicht gerne herum, weshalb es bald wieder andere Fahrräder gab. Die alte „Doppelstange“ kam nach und nach in den Schrott, es sollen aber einige gerettet worden sein. Auch in der Fahrradwerkstatt fühlt man sich offenbar der Tradition verpflichtet: Die roten Räder, die noch intakt sind, werden nach Möglichkeit ordentlich erhalten.
Auch wenn das rote Rad vom Bayer in der Stadt bisher noch kein Denkmal bekommen hat, besungen wurde es: Henning Krautmacher widmete dem Verkehrsmittel 1981, noch mit seiner Gruppe „Locker vom Hocker“, mit dem Lied „Dat rude Rad vom Bayer“ eine B-Seite.
Wie es um die Werksräder heute steht, lesen Sie in einem weiteren Artikel.
Zahlen
1932 gab es 648 Räder, 1941: 1200, 1945 noch 1028 Stück. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren 620 Räder verschwunden. Diebstahl von Werksrädern war von Anfang an ein Thema, in Kriegszeiten, mutmaßte man, wurden die Räder alleine wegen der Reifen gestohlen: Gummi war rar. 1979: 6500 Werksfahrräder müssen zum Tüv, bei Stichproben des Werkschutzes wiesen einzelne Fahrräder erhebliche Mängel auf. Über einen Umtausch entscheidet nur der Zustand, nicht das Alter des Fahrrades. Ende 1982 zählte man 7454 Werksräder, 2001 8000.