AboAbonnieren

Currenta in LeverkusenWie der Leverkusener Chempark britische Renten sichert – und für Kritik sorgt

Lesezeit 5 Minuten
Immo Filzek steht an der Einfahrt zum Entsorgungspark von Currenta. Er wohnt im selben Stadtviertel, in dem die Müllverbrennung steht und die Sondermülldeponie liegt. Foto: Ralf Krieger

Immo Filzek steht an der Einfahrt zum Entsorgungspark von Currenta. Er wohnt im selben Stadtviertel, in dem die Müllverbrennung steht.

Mit kleinen Beiträgen sparen Menschen in aller Welt für die Rente. Und finanzieren dadurch oft auch Wirtschaftsprojekte, die sie nicht gutheißen.

Wenn in Leverkusen-Bürrig Chemiemüll aus Europa verbrannt wird, ist das gut für die britische Pensionärin Alix Otten. Denn während sie noch arbeitete, sparte sie einen Teil ihres Gehalts als Betreuerin in einer Tageseinrichtung für Erwachsene mit Lernbehinderung oder psychischen Erkrankungen. Jeden Monat legte sie einen kleinen Beitrag beiseite und investierte in den Pensionsfonds des Großraums Manchester.

Läuft das Geschäft in Leverkusen, ist die Rente in Großbritannien sicher

Ohne dass die 74-Jährige es ahnte, investierte der Fonds das gesammelte Geld indirekt auch in die Chemiemüll-Verwertung in Leverkusen. Läuft dort das Geschäft, ist also die Rente in Großbritannien sicherer. Es ist ein Teil der globalisierten Wirtschaftswelt: Finanzinstitutionen sammeln weltweit Geld, das sie wiederum rund um den Globus investieren. Seit einigen Jahrzehnten vermehrt auch in Infrastruktur wie etwa Chemieparks.

Die Nachteile der Investition von Alix Otten und Zehntausenden anderen Kleinsparer erlebt der ehemalige IBM-Manager und Unternehmensberater Immo Filzek in Bürrig. Ursprünglich, sagt der Leverkusener Chempark-Anwohner Filzek, seien die Verbrennungsanlage und die angrenzende Deponie nur für Abfälle aus der Bayer-Welt gebaut worden. Jetzt stört ihn, dass der internationale Finanzinvestor Macquarie da herausholt, was zu holen ist.

„Was die Investoren tun, tun sie nicht für die Leute hier, sie tun es für den Profit.“ Zum Geschäftsmodell gehöre, auch Sondermüll aus Europa abzunehmen. „Und wir kriegen den ganzen Kram hier in Leverkusen verbrannt – oder endgelagert“, sagt Filzek.

Um 9.37 Uhr wird Leverkusen von einer Explosion erschüttert

Gestank aus dem Entsorgungszentrum ist Filzek gewohnt als Anwohner. Was aber am 27. Juli 2021 dort geschieht, hat eine andere Dimension. Um 9.37 Uhr wird Leverkusen von einer Explosion erschüttert und wenig später von einer gewaltigen Rauchsäule überschattet. Ein falsch gelagerter, aus Dänemark importierter Chemie-Abfall hat sich über Stunden erhitzt, was zu einem exponentiellen Temperatur- und Druckanstieg und schließlich zur Katastrophe geführt hat.

Nach der Explosion kommt es zum Großbrand, sieben Menschen sterben, 31 werden verletzt. „Wir wussten gleich, dass etwas Schlimmes geschehen ist“, sagt Filzek. Die Ermittlungen gegen vier Angestellte von Currenta laufen noch, mit einer Klageschrift ist wohl frühestens im Herbst zu rechnen.

Filzeks Nachbarin Currenta bietet in Leverkusen auf 480 Hektar Fläche für rund 200 Chemie-, Pharma- und Technologiebetriebe Dienstleistungen an, kümmert sich um die Logistik, betreibt ein Kohlekraftwerk auf dem Gelände, stellt Strom und Wasser bereit – und entsorgt im Bürriger Entsorgungszentrum chemischen Müll. Die Chemie-Riesen Lanxess und Covestro, der Titandioxid-Produzent Kronos Titan und der dänische Kabelhersteller NKT gehören zu den Großindustriellen am Standort. Insgesamt 34.342 Mitarbeiter im Chempark listet Currenta.


Diese Recherche ist Teil einer Kooperation des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Radio Leverkusen mit Correctiv und The Bureau of Investigative Journalism (TBIJ), zwei gemeinnützigen Medien, die sich durch Spenden finanzieren. Mehr unter correctiv.org


Currenta ist aus Bayer hervorgegangen, wurde 2002 ausgegliedert und fünf Jahre später in Currenta umbenannt. Bayer hielt bis 2019 60 Prozent, Lanxess, ebenfalls eine ehemalige Bayer-Tochter, 40 Prozent. Dann gingen Currenta und mit ihr die drei Chemparks in Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen an Macquarie Infrastructure and Real Assets (Mira), eine Fondstochter der australischen Investmentbank Macquarie.

Über diese Tochter investiert Macquarie Geld von Versicherungen und Pensionsfonds in Industrieunternehmen, so auch von Alix Otten.

80 Millionen flossen vom Pensionsfonds zu Macquarie

Während ihrer Berufslaufbahn war es ihre Aufgabe, Hilfsbedürftigen beim Essen zu helfen, mit ihnen spazieren zu gehen, sie zum Schwimmen oder Einkaufen zu begleiten. Otten arbeitete zeitlebens in Teilzeit, war alleinerziehend und zeitweise noch Pflegemutter.

Als sie noch arbeitete, zahlte sie in den Greater Manchester Pension Fund ein. Vom Pensionsfonds erhält sie seitdem jeden Monat 314 Pfund, was etwa 365 Euro entspricht. Hinzu kommt ihre staatliche Rente in Höhe von umgerechnet knapp 160 Euro.

Alix Otten, eine britische Rentnerin mit Kurzhaarfrisur und Brille, lächelt in die Kamera

Alix Otten

Der Greater Manchester Pension Fund hat 80 Millionen Dollar in den Macquarie European Infrastructure Fund 6 gesteckt, der von Mira gemanagt wird. Von dem Gewinn, den Currenta erwirtschaftet, lebt Otten also in Teilen.

„Wenn ich mein Geld aus diesem Investment abziehen könnte, abheben könnte, würde ich das tun, aber ich glaube nicht, dass das möglich ist“, sagt Rentnerin Alix Otten, die im Zuge der Recherche erstmals von ihrer Verbindung zu Currenta erfahren hat. „Ich bin sehr, sehr wütend darüber.“

Die Arbeit von Correctiv und TBIJ zeigt auf: Rund 200 Rentenkassen aus Großbritannien und Nordamerika unterstützen mit dem Geld der Anlegerinnen und Anleger in großem Stil Erdöl-Projekte oder Kohle- und Gaskraftwerke auch in Deutschland.

So bekam der Chemiekonzern Evonik über Umwege Geld von Lehrkräften aus Texas, Gewinne der Erdöl-Raffinerie Bayernoil fließen auch in die Pensionen Beamter aus South Yorkshire. Britische Pensionsfonds investieren laut TBIJ rund zehn Milliarden Pfund weltweit in fossile Brennstoffe, obwohl viele von ihnen deutliche Klimazusagen gemacht haben.

Currenta ist wenig auskunftsfreudig

Die Entscheidungen dieser Firmen sind oft konfliktreich. In Folge der Explosion vor zwei Jahren darf Currenta derzeit in Leverkusen noch keine flüssigen Abfälle aus dem Ausland verbrennen. Bis heute haben weder Currenta noch die Behörden mitgeteilt, welche 47 brennbaren Flüssigkeiten zurzeit überhaupt wieder in der Anlage verfeuert werden dürfen. Der Konzern ist wenig auskunftsfreudig.

Ein weiterer Punkt, der in der Stadt zu erheblichem Widerspruch gegen die Geschäfte Currentas geführt hat, ist die Verlängerung der Genehmigung zur Grundwasserförderung: Fast 100 Millionen Kubikmeter Grundwasser will das Unternehmen laut einem gestellten Antrag jedes Jahr fördern dürfen. In Dormagen linksrheinisch ist es noch mehr: Auf beiden Rheinseiten wollen die Chemparks insgesamt 350 Millionen Kubikmeter abpumpen. Der Rhein transportiert diese ungeheure Wassermenge in 42 Stunden – bei normalem Wasserstand. Kritik entzündet sich auch an der beantragten Genehmigungslaufzeit von 30 Jahren.

Currenta gibt an, man benötige das viele Grundwasser hauptsächlich als Kühlwasser. Ein weiterer Anlass für Kritik: Statt dass Wärme zurückgewonnen wird, heizt das Unternehmen das eh schon warme Rheinwasser weiter auf. Täglich lässt Currenta viele tausend Kubikmeter Prozesswasser in den Rhein ab, im Sommer ist das Abwasser oft auf zwischen 20 und 30 Grad erwärmt, wie aus öffentlich zugänglichen Quellen des Landes NRW hervorgeht.

Alix Otten sagt: „Wissen Sie, ich möchte nichts tun, was den Menschen oder dem Planeten schadet.“