Dass Currentas Entsorgungszentrum in den Vollbetrieb geht, ist nur eine Frage der Zeit.
Nach Chemie-ExplosionSo sieht es am Leverkusener Katastrophen-Ofen bei Currenta aus
Der Geruch am Ort der Explosion auf dem Gelände im Entsorgungszentrum Bürrig weckt sofort Erinnerungen: Dort scheint derselbe chemische Stoff in die Betonfundamente eingedrungen zu sein, der noch Wochen nach der Havarie an der Sondermüllverbrennung in der Leverkusener Luft lag.
Erstmals durften sich am Donnerstagabend Mitglieder des Begleitkreises zur Wiederinbetriebnahme des Müllofens bei einem Ortstermin ein Bild von der Anlage und dem Ort der Explosion machen. Der „Leverkusener Anzeiger“ war dabei.
Bauzaun um das frühere Tanklager
Die Spuren an der Stelle zeugen von den gewaltigen Kräften, die dort beim Zerbersten von Tank 3 mit der anschließenden Explosion und dem Großbrand am 27. Juli 2021 gewirkt haben. Der Bereich des ehemaligen Tanklagers ist mit einem Bauzaun abgesperrt. Die Metallreste der Tanks sind nicht mehr da. Die Fläche erinnert an archäologische Grabungsstätten: Fast alles, ein Quadrat von 30 Meter Kantenlänge, ist mit Folie abgedeckt, an manchen Stellen sind Fundamente der Tanks oder Fliesen zu sehen.
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Die Ruinen des Tanklagers mussten lange für die Ermittler erhalten bleiben. Sieben Männer kamen bei der Explosion ums Leben, irgendwann wird vor Gericht über Verantwortlichkeiten geredet. Ein Termin dafür steht noch nicht fest.
An vielen Stellen im Asphalt und Beton sind mehrere Zentimeter tiefe Kratzer zu sehen. Nebenan die Anlage, ein hoher Turm der Rauchgasreinigung der beiden Drehrohröfen, wurde fast komplett zerstört. Ein Millionenschaden: „17,8 Millionen, um genau zu sein“, sagt Markus Jirmann aus dem Currenta-Führungsstab am Donnerstagabend. Die Anlage sei erst kurz vorher aufgerüstet worden und in Betrieb gegangen. Jetzt sieht sie notdürftig hergestellt und isoliert aus, wie in Alufolie verpackt.
Ganz anders der Tank 8, der wie durch ein Wunder unbeschädigt geblieben ist. In dem Vorratstank werden inzwischen wieder flüssige, leicht brennbare Abfälle vorgehalten, was Anlass zur Kritik war. Diese Abfälle, Lösemittel, sind der Grundstoff der Anlage, ohne die ist der Betrieb nicht zu machen. 500 Kubikmeter fasst der Tank, Currenta-Chef Hans Gennen steht neben einer neu angeschafften Maschine, nicht groß, ungefähr wie ein Eckregal. Das ist ein Wärmetauscher, mit dem will man im Ernstfall den Tankinhalt herunterkühlen, falls er sich irgendwann doch wieder einmal ungeplant erwärmen sollte.
Ein Wärmetauscher für den Ernstfall
Die Technik sei bewährt, aber in der gigantischen Currenta-Anlage noch nicht eingesetzt worden, heißt es. Ein paar Grad weniger Temperatur können den Unterschied machen. Und der Feuerwehr im Ernstfall ersparen, den Tank anzubohren und seinen Inhalt in die Umgebung ablaufen zu lassen. Was – wie man im Juli 2021 erfahren musste – ein großes Problem sein kann: Die Aufnahmefähigkeit der Umgebung für ein Gemisch aus Chemiemüll und Löschschaum ist begrenzt.
Hätte es die Tanks der benachbarten Kläranlage nicht gegeben, hätte noch viel mehr der kontaminierten Brühe in den Rhein abgelassen werden müssen. Dass das überhaupt nötig war, hat allenthalben hohe Wellen geschlagen. Bis nach Rotterdam, wo der Rhein ebenfalls als Trinkwasserquelle dient.
„Ich habe meinen besten Freund verloren“
Später wird Sicherheitsexperte Christian Jochum im Begleitkreis andeuten, dass die Möglichkeiten, wie viel kontaminiertes Gut auf dem Bürriger Gelände aufgenommen werden kann, sehr wichtig sind. Mit Blick auf die – wenigen – Tanks, die derzeit benutzt werden, reicht das Vorhandene. Womit nichts über weitere Behälter gesagt ist. Die werden später am Abend noch Thema.
Wie auch der Wärmetauscher und die Temperatur-Kontrolle. Auf die lege Currenta als Lehre aus der Katastrophe auch mehr Wert, sagt der neue Leiter des Entsorgungszentrums, Piotr Stafeij. Er hat früher ein Labor in Dormagen geleitet; über den Wechsel nach Bürrig habe er lange nachgedacht. Sieben Tote, unter ihnen Stafeijs Vorgänger, das größte Chemie-Unglück seit Menschengedenken in Leverkusen: Bürrig ist kein einfacher Arbeitsplatz. Auch das wird auf dem Rundgang deutlich. „Ich habe meinen besten Freund verloren“, sagt zum Beispiel Thomas Hermann, der im Leitstand der Anlage sitzt. „Wir werden das nie vergessen.“ Das ist ein Satz, den auch Currentas Technik-Chef Hans Gennen formuliert.
Der Vollbetrieb ist absehbar
Trotzdem: Wohl noch Ende des Jahres sollen alle vier Linien der Bürriger Sondermüllverbrennung wieder laufen. Der zweite Drehrohrofen kann nach Einschätzung von Jochum relativ zügig wieder angefahren werden: Er ist nur die etwas kleinere Version der Anlage, die vor knapp einem Jahr angefahren wurde. Das heißt: Das Sicherheitskonzept bei der Anlieferung sei schon gecheckt, sagte der Professor am Donnerstagabend im „Begleitkreis Bürrig“. Bis auf Weiteres soll die VA 2, wie der Ofen bei Currenta bezeichnet wird, aber nur als Back-up dienen. Etwa, um bei Wartungsstillständen nebenan in Bürrig, vielleicht auch im Dormagener Sondermüll-Ofen, angefahren zu werden. Noch ist das Abfall-Aufkommen in Bürrig längst nicht so hoch wie vor der Katastrophe vom 21. Juli 2021.
Ob die 200.000 Tonnen Jahreskapazität – das ist die Hälfte des gesamten nordrhein-westfälischen Sondermüll-Aufkommens – je wieder benötigt werden, sei nicht absehbar, sagte Currentas Technik-Chef Hans Gennen dem „Leverkusener Anzeiger“: „Das Abfall-Geschäft ändert sich derzeit stark.“ Es sei absehbar, dass manche Stoffe gar nicht mehr anfallen, weil sie wegen der hohen Energiepreise nicht mehr in Deutschland oder Europa produziert werden.
Keine neuen Tanks – keine neue Genehmigung
Für Currenta könnte sich diese Dynamik segensreich auswirken: Gennen geht neuerdings davon aus, dass die komplette Anlage betrieben werden kann, ohne ein neues Tanklager zu bauen. Weil es auf keinen Fall mehr dort errichtet werden könnte, wo die Katastrophe geschah, müsste Currenta für einen neuen Behälterpark ein aufwendiges, vor allem langwieriges Genehmigungsverfahren durchlaufen.
Bisher hatten Gegner des Betriebs daraus die Hoffnung geschöpft, dass ein Vollbetrieb noch lange nicht möglich sein könnte. Die können sie nun fahren lassen: „Die vorhandenen Tanks könnten ausreichen“, so Gennen. Er meint die Behälter, die etwas abseits der Öfen stehen.
Es geht also immer weiter. Die Grundsatz-Frage, ob Bürrig der richtige Standort für eine gigantische Sondermüll-Verbrennung ist, muss Gennen ebenso wenig beantworten wie Horst Büther von der Kölner Bezirksregierung. Er betont: „Die Genehmigung gilt unbegrenzt.“