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InterviewLeverkusens Arbeitgeber-Chef: „Wir haben keine Zeit mehr“

Lesezeit 8 Minuten
Andreas Tressin, Geschäftsführer der Unternehmerschaft und des Arbeitgeberverbands Rhein-Wupper, hier mit deren Vorsitzenden Marc Kretkowski und Arndt Krebs

Andreas Tressin, Geschäftsführer der Unternehmerschaft und des Arbeitgeberverbands Rhein-Wupper, hier mit deren Vorsitzenden Marc Kretkowski und Arndt Krebs (von links)

Ampel-Aus, Trumps Wiederwahl, Schuldenbremse, Arbeitszeit, Tarife: Andreas Tressin sieht die Unternehmen in einer sehr schwierigen Lage.

Herr Tressin, nach der Wiederwahl von Donald Trump wird viel von Zöllen gesprochen. Müssen Chefs von exportierenden Unternehmen noch mehr zittern?

Andreas Tressin: Sollte Donald Trump seine handelspolitischen Ankündigungen wahr machen, steht der deutschen Wirtschaft eine harte Zeit bevor. Ein Handelskrieg könnte nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft über vier Jahre bis zu 180 Milliarden Euro kosten. So exportieren insbesondere der Maschinenbau, die Pharmaindustrie und die ohnehin schon angeschlagene Autoindustrie umfangreich in die USA. Auf der anderen Seite muss Trump aufpassen, dass sein Protektionismus nicht letztlich auch der eigenen Industrie schadet. Denn viele Branchen in den USA sind in ihren Wertschöpfungsketten zur Verbesserung ihrer eigenen Produktivität auf unser Know-how zwingend angewiesen und müssten damit zur Realisierung die Preiserhöhungen tragen. Ich persönlich sehe das alles deshalb nicht ganz so dramatisch. Umso wichtiger wird aber jetzt vor allem sein, dass die EU-Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten schnellstmöglich finalisiert werden. Denn vor allem unsere Industrie dürfte von großen Wachstumsimpulsen profitieren. Unabhängig hiervon wäre das größte Freihandelsabkommen der Welt auch geopolitisch die richtige Antwort auf einen etwaigen Zollkrieg. Und schließlich würde die Idee, dass Wohlstand immer dann entsteht, wenn Länder das produzieren und exportieren, was sie am besten können, noch einmal einen ganz neuen Schub erhalten.

Die Konjunkturkrise hat großen Anteil am Ende der Ampelkoalition. Was wurde falsch gemacht und was brauchen die Unternehmen jetzt? Subventionen?

Aus meiner Sicht war weniger die Konjunkturkrise als vielmehr die fehlenden Antworten für den wirtschafts- und finanzpolitisch richtigen Weg das Ende der Ampelkoalition. Die Ampel hatte ganz einfach nicht nur keine Kraft, sondern letztlich auch nicht den Willen für eine dringend notwendige Wirtschaftswende. Stattdessen versuchte der Kanzler immer wieder, mit seinem Sirenengesang die Wirtschaft und die Bevölkerung zu betören und prognostizierte mit der Transformation blühende Landschaften. Die Ängste und Sorgen der Unternehmen fanden kein Gehör, sodass die Ampel immer mehr an Glaubwürdigkeit verlor. „Die Klage ist das Lied des Kaufmanns“, kein anderer hat diesen Satz so sehr verbreitet wie der aktuelle (Noch-)Kanzler. Hinzu kommt, dass die staatliche Finanzierung der Transformation mittlerweile völlig in Trümmern liegt. Die Unternehmen erwarten nun endlich einen großen Wurf einer wirtschaftspolitischen Zeitenwende und keine Kleinteiligkeit.

Also eine Subventions-Bazooka?

Nein. Was sie jetzt brauchen, sind keine weiteren Subventionsfeuerwerke, sondern mutige Strukturreformen für international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, die niedrigere Energiepreise, Steuern und Abgaben, Bürokratieabbau, eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und Anreize für eine Steigerung von privaten Investitionen beinhalten. Denn Fakt ist und bleibt, dass die Unternehmen nur dann eine Zukunft in Deutschland haben, wenn sie erwarten können, dass sie auch nachhaltig Erträge am Standort erwirtschaften können. Wir brauchen sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft eine mentale Zeitenwende im Sinne eines „Economy First“. Denn Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts.

Es ist absehbar, dass eine neue Regierung erst irgendwann im Frühjahr steht. Kann man so lange warten?

Im Klartext: Alle Parteien müssen in den Realitäten einer mittlerweile dramatischen Standortkrise nun endlich auch einmal ankommen, Farbe bekennen und die zuvor beschriebene Angebotspolitik abliefern. Denn was die Unternehmen mittlerweile nicht mehr haben, ist Zeit. Auch wenn der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz klarstellt, vor der Neuwahl werde es keine Wirtschaftswende mehr geben, sollte er dringend beim Thema Senkung der Netzentgelte noch einmal prüfen, ob man sich nicht doch noch die Hand reicht. Diese massiv gestiegenen Kosten belasten die Unternehmen nämlich aufs Äußerste. Sie brauchen also jetzt Entlastung. Nicht zuletzt, weil bei einer seit Monaten rückläufigen Auftragslage immer häufiger Liquiditätsengpässe auftreten und das Eigenkapital zunehmend aufgezehrt wird. Kapital, was die Unternehmen im Übrigen unbedingt für die Transformationsprozesse brauchen.

In der Metallbranche sieht man die Krise derzeit am deutlichsten, etwa bei VW oder Ford. Trotzdem gab es in der letzten Tarifrunde ordentliche Steigerungen. Wie verkraften das die Unternehmen hier in der Region?

Die Automobilindustrie und damit auch VW und Ford steckt fest in der aktuellen Gemengelage aus tiefgreifender Transformation, schwacher Konjunktur, aber auch und insbesondere viel zu hohen Arbeitskosten. Fakt ist, dass in der gesamten Metall- und Elektro-Industrie seit 2015 die Arbeitskosten um fast 30 Prozent gestiegen sind, während im Schnitt kein Produktivitätswachstum erzielt wurde. Die Folge sind kräftig gestiegene Lohnstückkosten, welche die internationale Wettbewerbslage der Unternehmen massiv verschlechtert haben. Erschwerend fällt ins Gewicht, dass in der konjunkturellen und strukturellen Krise immer mehr Unternehmen so langsam die Barmittel ausgehen. Besser wäre also gewesen, wenn man sich ausschließlich am Produktivitätsanstieg orientiert hätte und der liegt aktuell an der Nulllinie.

Wer weniger arbeitet, muss mit weniger Verdienst auskommen.
Andreas Tressin zu Arbeitszeitverkürzung

Der Abschluss mit einer Steigerung von 5,5 Prozent in zwei Stufen bei einer Laufzeit von 25 Monaten geht also zweifellos an die Grenzen des Erträglichen. Er ist nur deshalb vertretbar, weil er den Unternehmen zumindest Planungssicherheit gibt und Betriebe in wirtschaftlich schwieriger Lage die Möglichkeit haben, automatisch von der Einigung abzuweichen. Das Wichtigste aber ist, dass die Tarifvertragsparteien in der derzeit äußerst schwierigen Lage fähig zu einem Kompromiss waren und damit gesamtwirtschaftliche Verantwortung gezeigt hatten.

Wirtschaftswissenschaftler reden immer häufiger über die mangelnde Produktivität in Europa und in Deutschland. Müssen wir alle nur mehr arbeiten und dann läuft’s wieder?

Tatsache ist, dass wir nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft bis 2030 mehr als drei Millionen Menschen weniger in Arbeit haben. Uns fehlen damit 4,2 Milliarden Arbeitsstunden. Die muss man ausgleichen, sonst bekommen wir in der Wertschöpfung ein riesengroßes Problem. Was mich bei der Arbeitszeitdebatte immer wieder stört, ist der Irrglaube, dass man mit weniger Arbeit immer zugleich auch die gleiche Wertschöpfung erzielt. Richtig ist, wer weniger arbeitet, muss mit weniger Verdienst auskommen – oder zumindest belegen, dass seine Leistungen entsprechend steigen. Zu letzterem fehlt jedoch der Beweis sowohl aus der Praxis als auch aus der Wissenschaft. Unstreitig ist nämlich, dass wir in den vergangenen drei Dekaden nur sehr geringe Produktivitätszuwächse hatten. Und das wird sich kurzfristig auch nicht bessern, weil wir mitten in umfänglichen Transformationsprozessen stecken, die zunächst einmal in der Umsetzung nicht nur Geld kosten, sondern auch und vor allem Ressourcen binden. Zur Wahrheit gehört auch, dass wir alle wieder mehr Leistungsbereitschaft und Verantwortung zeigen müssen, wenn wir unsere Besitzstände erhalten wollen.

Ein zentraler Streitpunkt ist die Klimapolitik. Für die Grünen ist das ein Schlüssel für neuen Wohlstand, andere wollen den Umbau bremsen. Was ist besser?

Mittlerweile hat sich nach meiner Wahrnehmung die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine erfolgreiche Energiewende durchaus als Schlüssel für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort gesehen wird. Die Energiewende könnte Deutschland als Wirtschaftsstandort mit Sicherheit attraktiver machen: Denn mit grünem Strom und nachhaltig erzeugter Energie sind wir weniger abhängig von ausländischen Lieferanten und sichern so unsere Versorgung. Gleichzeitig schaffen wir Wertschöpfung vor Ort und verringern Energie-Zahlungen ins Ausland. Der Ausbau der Erzeugungskapazitäten, die Modernisierung des Netzes und Fortschritte bei der Energieeffizienz werden jedoch für eine erfolgreiche Energiewende unabdingbar sein, gleiches gilt für ein unerlässliches Mindset zur Technologieoffenheit bei allen Transformationsprozessen der Dekarbonisierung. Was der Wirtschaft so schwer zu schaffen macht, ist die fehlende Planungssicherheit bei der Umsetzung. So fehlt ein konkreter Masterplan für die einzelnen Schritte zur Umstellung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045. Es wird leider nach wie vor kein Wert darauf gelegt, die einzelnen Bausteine der Transformation aufeinander abzustimmen. So ist bis heute völlig unklar, wie alles ineinandergreifen soll. Hier fehlt es in der Politik ganz einfach an einem professionellen Projektmanagement.

Zum Schluss noch einmal zur Ampel und ihrem Dauer-Streitthema Schuldenbremse: Kann die so bleiben? Oder hat sie die deutsche Wirtschaft ausgebremst?

Zunächst einmal sei darauf hingewiesen, dass empirisch nicht belegt ist, dass die Schuldenbremse eine Investitionsbremse ist. Im Gegenteil, die Investitionen Deutschlands sind nach Einführung der Schuldenbremse sogar stärker gestiegen als in den Jahrzehnten davor. Dafür aber konnte der Trend steigender Staatsschulden durch die Einführung der Schuldenbremse erstmals nachhaltig gebrochen werden, was zu geringeren Zinsausgaben geführt und den heutigen Ausgabenspielraum erhöht hat. Fakt ist aber auch, dass der Staat, obwohl er doppelt so viel Geld hat wie vor 20 Jahren, nicht in der Lage ist, seine Kernaufgaben zu finanzieren. Deshalb gilt es in erster Linie einmal, die Ausgaben im Haushalt zu priorisieren und zu schauen, was sich einsparen lässt. Wenn man dann feststellen sollte, dass es für dringend notwendige Investitionen für Infrastrukturen, Dekarbonisierung und Förderung privater Investitionen und dem Ausbau der Bundeswehr Finanzierungslücken gibt, muss man überlegen, ob man die Schuldenbremse neu justiert oder Sondervermögen schafft.

Mir persönlich ist die Debatte viel zu sehr aufgesetzt und zu akademisch. Letztlich geht es doch vorrangig um die Frage, wie wir zukünftig Sicherheit herstellen und den Standort Deutschland mit dringend notwendigen Investitionen attraktiver machen können, um Wohlstand zu sichern. Die eigentliche Herausforderung ist doch die, wie man bei etwaig notwendig werdenden Reformen der Schuldenbremse oder für die Schaffung von Sondervermögen, die hierfür verfassungsrechtlich notwendige Zweidrittel-Mehrheit im Parlament erreichen will. Davon, ob die Parteien jetzt ganz schnell zu einem konstruktiven Umgang miteinander finden, wird also vieles abhängen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Die Lage am Wirtschaftsstandort Deutschland ist jedenfalls dramatisch und weitere Zeitpolster haben die Unternehmen nicht mehr.


Andreas Tressin, 66, ist Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands und der Unternehmerschaft Rhein-Wupper. Beide haben ihren Sitz in der Neuen Bahnstadt Opladen.