- Der Leverkusener Michael Schreckenberg schreibt Romane über Katastrophen. Angesichts der aktuellen Situation, scheinen ihm manche Kapitel derzeit zur Realität zu werden.
- Um seine Leser auf andere Gedanken zu bringen, verschenkt Schreckenberg jetzt Kurzgeschichten.
- Im Interview erzählt der Autor, wie er mit der Informationsflut umgeht und welche Bücher jeder im Moment lesen sollte.
Leverkusen – Der Leverkusener Autor Michael Schreckenberg ist bekannt für Romane, in denen die Menschheit von Katastrophen heimgesucht wird – und schenkt allen Lesern in Coronazeiten Kurzgeschichten, um auf andere Gedanken zu kommen. Im Interview spricht der Autor über das Gefühl, durch das Virus plötzlich in einem Buch gelandet zu sein – und darüber, wie das Happy End aussehen würde, wenn er es schreiben könnte.
Herr Schreckenberg, auch Sie sind wegen des Coronavirus mit Ihrer Familie derzeit daheim. Kommen Sie als Autor in Zeiten wie diesen entsprechend mehr zum Schreiben?
Tatsächlich sagte noch vor einer Woche ein Produzent zu mir, ich sei als Autor für diese Situation doch geradezu trainiert. Aber: Für mich ändert sich ja nicht viel. Ich sitze einfach Zuhause in meinem Arbeitszimmer und schreibe. Und das habe ich auch vor einem halben Jahr schon gemacht. Der einzige Unterschied, was meine Arbeit angeht: Die Recherchereisen fallen weg.
Sie haben bereits Romane wie „Der Finder„ geschrieben, in denen es – wenn auch in wesentlich extremerer Form – um eine Welt im Ausnahmezustand geht. Arbeiten Sie gerade an etwas Ähnlichem, beziehungsweise denken Sie angesichts dieser Pandemie an ein solches Thema?
Nein. Ich arbeite, Gott sei Dank, an anderen Dingen. Und wenn ich an etwas zum Thema Seuchen oder dergleichen sitzen würde, dann gäbe es in Zukunft für eine Weile sicherlich keinen Markt dafür, weil die Menschen wegen Corona einfach zu viel davon hätten. Eine gute Freundin von mir hatte sich gerade zuletzt vorgenommen, etwas über die Pest zu schreiben und sich viel in entsprechende Recherche zu Pandemien gestürzt. Aber das kann sie jetzt erstmal vergessen. Das will jetzt sicherlich keiner mehr lesen.
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Viele Menschen sagen, sie hätten derzeit den Eindruck, in einem Endzeit-Film oder -Roman gelandet zu sein. Sprich: Das, was sie sich bislang nur in der Fantasie vorstellen konnten, ist plötzlich Realität.
Das ist in gewisser Weise wahr. Wobei man trotzdem unterscheiden muss. Eines vorweg: Jeder, wirklich jeder tote Mensch ist ein toter Mensch zu viel. Das steht außer Frage und ist schrecklich. Aber man muss festhalten: Glücklicherweise sind die Szenarien in Büchern zu diesem Thema dann doch noch wesentlich schlimmer und extremer. Egal ob in Stephen Kings „The Stand“, das ich schon zigmal gelesen habe und das für mich eines der wichtigsten Bücher ist, oder in „Leere Welt“ von John Christopher. Diese beiden fallen mir angesichts der Situation am ehesten ein. Stephen King wurde kürzlich übrigens schon genau deswegen auf seinen Roman angesprochen – und twitterte im Internet: „Nein, Leute, das, was gerade passiert, ist nicht »The Stand«!“ Letztlich ist es so: In diesen Romanen bleibt nach einer Katastrophe jeweils nur ein Bruchteil der Menschheit übrig – und der Rest stirbt. Jetzt ist es glücklicherweise umgekehrt.
Könnten Sie derzeit überhaupt an einem Buch zu solch einem Thema arbeiten?
Ich sage mal so: Wenn ich an einer Geschichte arbeite, dann bin ich ganz in ihr und lasse mich nicht von außen beeinflussen. Mein Problem in solch einem Fall wäre ein anderes: Ich bin Recherche-Fanatiker. Und derzeit wird man ja überall zugeworfen mit Statistiken und Zahlen, mit wissenschaftlicher Literatur und Erfahrungsberichten aller Art. Ich sitze gerade vor meinem Rechner und bin umgeben von all diesen Zahlen des Robert-Koch-Instituts und der Johns-Hopkins-Universität. Und würde ich gerade an einem entsprechenden Roman arbeiten, dann wäre ich wahrscheinlich „Lost in Recherche“ und käme gar nicht zum Schreiben, weil ich immer das Gefühl hätte, dass das, was ich da schreibe, schon nicht mehr aktuell ist.
Diese Informationsflut zu Corona ist ein guter Aspekt: Fühlen Sie sich manchmal davon überrollt? Ich kenne Menschen, die abends den Fernseher bewusst ausschalten, wenn die Nachrichten kommen.
Ich kann mich nicht ganz abkoppeln. Dazu habe ich zu sehr mit Medien zu tun. Aber ich versuche schon, zu filtern. Ich versuche vor allem gute Nachrichten aufzunehmen und über soziale Plattformen auch nur gute Nachrichten zu verbreiten. Und die gibt es ja durchaus.
Sie sprechen es an: Seit einigen Tagen schenken Sie den Menschen im Internet jeden Tag eine Kurzgeschichte. Was ist die Idee dahinter?
Ich mache das gemeinsam mit einer sehr engen Freundin aus Wien – der Drehbuchautorin Sarah Wassermair. Wir haben uns beide überlegt: Was können wir in dieser Situation, die sich immer mehr zuspitzt, tun? Denn wir sehen uns ja in der Tradition der Geschichtenerzähler. Und als solche ist es unsere Aufgabe, die Moral ein wenig zu heben. Zu helfen, dass sich die Menschen gut fühlen. Und so hat sie unter anderem eine sehr schöne Kindergeschichte ins Netz gestellt. Ich wiederum steuere seitdem mal Heiteres bei. Und mal Kurzgeschichten, die den Lesern vielleicht etwas Angst machen. Aber eben nur so, wie es eine gute Geschichte tun soll. Ganz anders,als es in der Realität derzeit wegen des Virus der Fall ist.
Welches Mutmachbuch würden Sie den Menschen derzeit zur Lektüre ans Herz legen?
Die Scheibenwelt-Romane von Terry Pratchett. Die sind sehr lustig und drehen sich um ganz andere Themen als wir sie derzeit um uns haben. Oder „Good Omens“ von Pratchett und Neil Gaiman. Darin geht es zwar um einen Weltuntergang – aber auf eine völlig andere, schwarzhumorige Weise.
Gesetzt den Fall, Sie würden einen Roman über die derzeitige Pandemie schreiben – wie sähe dann darin Ihr Happy-End aus?
Die Zeit der Krise würde nicht zu lange dauern. Und vor allem würde ich das aufgreifen, was sich derzeit ja tatsächlich abzeichnet: diese Solidarität. Dieses neue Bewusstsein für andere. Denn im Moment sehen wir wieder stärker das Gute in den Menschen. Wir sehen, dass eben nicht die Banker dieser Welt systemrelevant sind, sondern die Menschen, die als Krankenhelfer, Lastwagenfahrer, Supermarktkassierer und dergleichen arbeiten. Zudem würden die Leute in meinem Roman nach der Krise all den Rechtspopulisten eine Absage erteilen, die einem dann wieder Angst machen wollten, etwa vor Flüchtlingen. Sie würden ihnen entgegnen: „Nee, lasst mal. Wir haben gerade Angst genug gehabt. Das könnt ihr euch sparen.“