Spielt die Angst vorm Klimawandel eine Rolle bei der Berufswahl?
Die Jugendberufsagentur Leverkusen berichtet von ihren Erfahrungen.
Trotz mancher Kritik stehen die Chempark-Unternehmen als Arbeitgeber hoch im Kurs.
Leverkusen – Jeden Freitag geht’s gegen den Klimawandel, auch Konzerne stehen in der Kritik. Die desaströse Hauptversammlung des Bayer-Konzerns im vorigen Frühjahr wurde draußen eingeleitet von Protesten der Fridays-for-Future-Bewegung. Engagierte Schüler mögen Bayer nicht, so sieht es aus. Dann sollte man da auch nicht arbeiten, müsste mancher meinen. Merkt man das in der Berufsberatung? Meiden junge Leute Unternehmen, deren Ruf angekratzt ist oder die jede Menge fossile Rohstoffe verbrauchen wie Covestro oder Lanxess?
„Bis jetzt nicht“, sagt Stavroula Tsiantes. Sie leitet die vor kurzem eingeführte Jugendberufsagentur. Dort haben sich Arbeitsagentur, Jobcenter und das Jugendamt der Stadt zusammengetan, was ein reichlich zwei Dutzend Personen umfassendes Team ergibt. Ihr Ziel: niemanden zurücklassen, egal ob und was er für einen Abschluss hat.
Nach Tsiantes’ Beobachtungen ist ökologisches Bewusstsein bei der Berufswahl ein absolutes Minderheiten-Thema: Weniger als fünf Prozent der jungen Leute strebe in Berufe und Unternehmen, in denen Ökologie eine Rolle spielt. Und ein bis zwei Prozent erkundigten sich in der Jugendberufsagentur nach dem freiwilligen ökologischen Jahr.
Das hat einige Aussagekraft: Die Agentur erreicht sämtliche Schüler, gut die Hälfte komme zusätzlich zur Beratung in die Heinrich-von-Stephan-Straße, sagt Tsiantes.
Seit Generationen vertraut
Dass Bayer und Co. offenbar kaum kritisch gesehen werden, erkläre sich womöglich aus der überragenden Bedeutung des Konzerns in Leverkusen. Es gibt Familien, die in dritter Generation „beim Bayer“ sind – auch wenn sie jetzt vielleicht für eine Abspaltung arbeiten. Die Jobs gelten nach wie vor als sicher, auch weil die großen Umbrüche bisher fast immer ordentlich abgefedert wurden. „Bayer-like“ ist nicht umsonst fest im Vokabular verankert, wenn es darum geht, Mitarbeiter auch unter anderen Firmendächern sozial abzusichern.
Diese Verlässlichkeit habe heute womöglich einen noch viel größeren Stellenwert, heißt es in der Jugendberufsagentur. Denn grundsätzlich gelte ja etwas anderes, sagt Regina Wallau, Sprecherin der Arbeitsagentur: „Die Berufe verändern sich. Dass man ein Leben lang dasselbe macht - das gibt es so nicht mehr.“ Das habe aber auch einen Vorteil, ergänzt sie: „Die Berufswahl ist keine Lebensentscheidung mehr.“
Die Jugendberufsagentur
Die Jugendberufsagentur ist ein Wunschkind der Berufsberater. Vorigen Sommer wurde sie in Leverkusen ins Leben gerufen. Weil auch das Jobcenter mitmacht, haben die Berufsberater viel besseren Zugriff auch auf Schulabbrecher und junge Leute, die keinen Ausbildungsplatz haben: Wer Hartz-IV-Leistungen beantragt, erscheint wieder auf dem Schirm der Arbeitsagentur. Das erhöht die Chance, auch schwieriger Klientel in den Beruf und auf den Arbeitsmarkt zu helfen. Die Verzahnung mit dem Jugendamt soll dafür sorgen, dass auch andere Hilfsangebote ankommen.
Die Jugendberufsagentur residiert auf zwei Etagen im Jobcenter Leverkusen, Heinrich-von-Stephan-Straße 6 a in Wiesdorf.
Das ist wohl auch besser so: Es gibt mehr als 300 Ausbildungsberufe, und die Zahl der Studiengänge ist sogar unübersehbar geworden. Und da ist es wohl auch gut, dass die Zahl der Berufsberater eben nicht mit der Zahl der jungen Leute schrumpft, sondern gleich bleibt. „Es gab, so gesehen, noch nie so viele Helfer wie jetzt“, sagt Stavroula Tsiantes. Allerdings sei Berufsberatung inzwischen auch keine Sache mehr, die nur junge Leute brauchen. Angesichts der dauernden Veränderungen sei der Berufsberater eher ein Begleiter durchs Leben.
Der Anfang ist aber besonders schwer. Tsiantes weiß, warum das Handwerk so große Probleme hat, Nachwuchs zu finden und warum es auch anderswo Facharbeitermangel gibt: Wer nach dem ersten Schulabschluss einen weiteren such, „der muss sich erst einmal nicht entscheiden“.
Allerdings sei das manchmal so eine Sache: Ein schlechter Abschluss am Berufskolleg sei eben doch weniger wert als ein guter an der Realschule. „Das schadet dann mehr als es nützt“, weiß Tsiantes. Wer sich in so eine Situation hinein manövriert hat, wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so viele Gedanken darum machen, wie eine Firma in den Augen kritischer Geister so dasteht. Vielleicht kommt aber auch das noch.