In Opladen musste eine onkologische Praxis schließen.
Das Klinikum Leverkusen hat Anteil an der Sache, die vor dem Landessozialgericht in Essen landete.
Für Hunderte Patienten ist das eine Katastrophe, vor allem zu dem jetzigen Zeitpunkt.
Leverkusen – Nach einem erbitterten juristischen Kampf hat ein Gericht, letztlich auf Betreiben des Leverkusener Klinikums, entschieden, dass die einzige onkologische Praxis in Opladen, in der meist Chemotherapien verabreicht wurden, schließen musste.
Krebspatienten stehen ohne Arzt da
Die Folgen für die Patienten sind kaum zu ermessen: Die Kassenpatienten unter den 480 Krebskranken müssen sich neue Onkologen suchen. Viele befinden sich inmitten einer Therapie, manche wurden seit zwölf Jahren von ihrer Ärztin Dr. Christina Reddemann versorgt. Die Schließung ihrer Praxis hat keine medizinischen Gründe – es geht letztlich um viel Geld.
Wohin mit den Patienten?
Christina Reddemann, die seit über einem Jahr vor Gerichten um ihre Praxis kämpft, sagt: „Ich weiß jetzt nicht, wohin mit den Patienten. Ich habe gestern acht Stunden telefoniert und konnte nur vier Patienten an andere Stellen vermitteln. Auch ins Klinikum, in die dortige onkologische Praxis, aber da wollen nicht alle hin. Andere müssen jetzt zum Beispiel nach Köln oder Solingen fahren, aber nicht jeder ist ja mobil.“
Von ihren Patienten sind 90 Prozent Kassenpatienten. Es wurden Briefe an die Minister Jens Spahn, Karl-Josef Laumann und an Karl Lauterbach geschrieben. Patienten sollen regelrechte Bittbriefe an die Kassenärztliche Vereinigung geschrieben haben.
Arztwechsel bedeutet Gefahr
Was ein Wechsel der Praxis für Krebspatienten während einer Chemo-Behandlung bedeutet, ahnen alle, die das einmal miterlebt oder gar selbst durchgestanden haben: Da Chemotherapien in der Regel stark aufs Immunsystem drücken, versuchen Patienten schon in normalen Zeiten aus Angst vor profanen Erkältungen, öffentliche Verkehrsmittel zu meiden. Reddemann fragt: „Wie konnte das Gericht diese Entscheidung bloß in Zeiten von Corona durchziehen?“ Der Beschluss des Landessozialgerichts Essen, der das Ende für ihre Praxis bedeutet, erreichte die Ärztin am 8. April und sie musste schnell handeln. Die Ärztin und ihre vier Mitarbeiterinnen sind jetzt arbeitslos.
Reviere für Mediziner
Die Hintergründe sind in den Regeln der Zulassungsverfahren für Arztpraxen zu suchen – oder genauer in deren juristischer Auslegung. In der Welt der niedergelassenen Mediziner gibt es so etwas wie Reviere. Die Entscheidung, wie viele Fachärzte jeder Disziplin in der Stadt zugelassen werden – man nennt die Zulassungen Sitze – fällt der Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung (KV).
Ärzte: Zwei Praxen notwendig
Dort befand man, dass zwei freie onkologische Praxen neben der onkologischen Ambulanz im Klinikum nicht zu viel für Leverkusen seien. Der Leverkusener KV-Vorsitzende ist der Augenarzt Thomas Eusterholz. Er sagt: „Aus Gründen der Patientenversorgung ist die Praxis von Frau Doktor Reddemann unverzichtbar. Mich persönlich belastet die Schließung sehr.“ Aber er kann an dem Beschluss nichts ändern.
Vor April 2018 gab es nur einen Ort in Leverkusen, wo Krebspatienten Chemotherapien bekommen konnten. In zwei Praxen, beide lagen am Klinikum. Neben der onkologischen Ambulanz, einer Abteilung des Krankenhauses, gab es eine freie onkologische Praxis, im Ärztehaus rechts an der Einfahrt zum sogenannten Gesundheitspark. In dieser Praxis waren Christina Reddemann und ein weiterer Arzt angestellt.
Klinikum war konkurrenzlos in Leverkusen
Die Praxis war Teil des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), das zu Winfried Leßmanns Medizin-Konzern Med 360° gehörte. Leßmann verkaufte das MVZ mitsamt der onkologischen Praxis 2017 ans Klinikum, das so zum einzigen Anbieter dieser umsatzstarken Chemo-Behandlungen in Leverkusen wurde.
Angeblich gab es zwischen Christina Reddemann und ihrem neuen Arbeitgeber, dem Klinikum, bald Probleme – sie eröffnete deshalb ihre eigene Praxis in Opladen. Dazu legte sie vorschriftsmäßig ihren Sitz als Onkologin in der alten Praxis im MVZ nieder, denn Facharzt-Sitze sind an den Ort und an Ärztin oder Arzt gebunden. Gleichzeitig genehmigte ihr die KV einen neuen Sitz für Opladen, die Praxis befindet sich im Gebäude des Remigius-Krankenhauses.
Wohin darf die Praxis?
Aus Patientensicht war das nicht schlecht, denn es gab jetzt zwei Anlaufstellen für Chemotherapien in der Stadt. Die Juristen des Klinikums sehen die Sache anders: Der Facharzt-Sitz sei an die Praxis auf dem Klinikumgelände gebunden und gehöre nicht Frau Reddemann. Als Ergebnis dieses Streits ist nun die Opladener Praxis geschlossen worden. Das Klinikum steht gut da: Den lukrativen Chemo-Markt hat es ganz alleine für sich, zumal die eigene Krankenhaus-Apotheke ab sofort alle Chemotherapien für Leverkusen liefern kann: Christina Reddemann bezog die Medikamente von einer freien Apotheke.
Rein juristisch entschieden
Klinikum-Chef Hans-Peter Zimmermann bestreitet gar nicht, dass es ums Geld geht, er sagt aber auch: „Das ist absolut unglücklich, für die Patienten ist das der Gau. Wir, das Klinikum, haben das MVZ einschließlich der Zulassungen erworben.
Und es waren beide Parteien, die in Kauf genommen haben, dass das jetzt rein juristisch entschieden wurde. Davon kann ich mich auch nicht frei machen.“
Der Leverkusener Lungen-Facharzt Norbert Mülleneisen, der mit im Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung sitzt, findet drastischere Worte: „Das Verhalten des Klinikums empfinde ich als Kriegserklärung gegen uns Fachärzte.“