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Shakespeare trifft Stephen KingAn diesen Orten laden Bücherschränke zum Stöbern ein

Lesezeit 4 Minuten

Einfach zugreifen: Dieser Bücherwagen steht im Neulandpark auf Rädern und wurde von einem Künstler gebaut. Wer will, kann schmökern und sich einfach bedienen. Unsere Autorin hat sich in Leverkusen mal umgeschaut, was die Bücherschränke so bieten.

Leverkusen – Die schwere Tür quietscht und Staub kitzelt in meiner Nase. Der Geruch alter Bücher und leicht vergilbte Seiten, die mir ihre unzähligen Geschichten zuflüstern, geben mir das Gefühl, in einem Miniatur-Antiquariat zu stehen.

Tatsächlich halte ich aber den Türgriff einer alten, zu einem Bücherschrank umfunktionierten Telefonzelle in der Hand. Von den Außenwänden lachen mich aufgemalte, lesende Mäuse und schaukelnde Katzen an. Zu meiner Rechten wünscht mir ein laufendes Buch von einem Plakat aus „Viel Spaß beim Lesen“. In den Regalen vor mir finde ich ein buntes Potpourri: Von dick bis dünn, alt bis neu und von Klassikern über Lexika bis hin zu „Toilettenkünste – oder gründliche Anweisung zur Pflege und Verschönerung der verschiedenen Körperteile“ ist alles dabei.

Freiwillige sortieren aus

Das Prinzip eines Bücherschrankes ist so einfach wie genial: Wenn man ein Buch nicht mehr benötigt, stellt man es in den Schrank. Wenn man ein Buch im Regal entdeckt, das man gerne lesen möchte, nimmt man es mit.

Auch unsere Autorin ist in Schlebusch fündig geworden.

Auch die Politik ist schon auf den Mehrwert der Tausch-Schränke aufmerksam geworden. Anfang des Jahres stellte die CDU-Bezirksfraktion einen Antrag auf einen Bücherschrank in der Neuen Bahnstadt, der von der Bezirksvertretung II auch so beschlossen wurde. „Nach einer Reihe von Gesprächen ist in der Zwischenzeit eine Anwohnerin auf mich zugekommen und auch ein Gewerbetreibender auf dem Bahnstadtgelände hätte Interesse, den Bücherschrank zu pflegen und zu kontrollieren“, berichtet Lucas Melzig, CDU-Fraktionsvorsitzender des Bezirks. Die Anschaffung sei für das nächste Jahr geplant.

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Um die Ordnung zwischen den Regalbrettern aufrecht zu erhalten, sortieren Freiwillige wie Georg Wollenhaupt regelmäßig aus. „Alle zwei Monate hole ich mit einem Hänger ungefähr 300 Bücher aus dem Schrank und bringe sie – leider – auf den Sperrmüll“, erzählt Wollenhaupt.

Georg Wollenhaupt vor dem sehr gut gefüllten Bücherschrank in der Waldsiedlung.

2012 hat der Ehrenamtler den Schrank gebaut und aufgestellt. „Es ist immer etwas los am Bücherschrank und das ist toll zu sehen“, freut sich Wollenhaupt. Laut Tobias Zeising, Entwickler der App „BuchschrankFinder“, gibt es zurzeit in Deutschland um die 3240 Bücherschränke. Mit Hilfe der App des Kölners kann man sich die Standorte auf einer Karte anzeigen lassen. Gesagt, getan: In Leverkusen werden mir gleich fünf Schränke angezeigt.

Milchige Doppeltüren

Mein erster Stopp ist der Bücherschrank in der Waldsiedlung. Mit milchigen Doppeltüren auf beiden Seiten ausgestattet, verbirgt der Bücherschrank dort einen vielfältigen Wirrwarr an Schmökern. Die leuchtend rote Schrift eines Dan Brown’s springt mir entgegen, ein altes Französischbuch „Découvertes“ und ein Weltatlas im untersten Regalbrett erinnern mich an meine Schulzeit. Ich finde erstaunlich viel Bekanntes wie „Das fliegende Klassenzimmer“, Shakespeare oder Stephen King.

Illona Schumacher aus Schlebusch durchkämmt die Regale neben mir auf der Suche nach einem Kinderbuch für ihren Enkel. Sie besucht die Bücherschränke in der Waldsiedlung und im Neulandpark regelmäßig. Kinderbücher seien in letzter Zeit leider weniger dabei. Zu ihren besonderen Fundstücken gehören Biografien von Guido Westerwelle und Senta Berger. „Ich finde, dass nichts Geschriebenes weggeworfen werden sollte. Wenn die Bücherschränke aber als Deponie für die Bücherleichen der Leute ausgenutzt werden, ist das ärgerlich“, erklärt sie. Im Wildpark Reuschenberg wartet der nächste Bücherschrank auf mich: Eine umfunktionierte Telefonzelle. Die Auswahl dort ist wesentlich geringer. Mir fällt auf, dass ich einige Autoren erneut entdecke: Johannes Simmel und John Grisham scheint es in Bücherschränken gut zu gefallen.

Kleine Zeitmaschine

Auch hier wirkt der Inhalt wie eine kleine Zeitmaschine: „Wie funktioniert das? Krankheiten“ sowie etliche Lexika und Enzyklopädien erinnern an die Zeit vor Google und Co. Trotzdem finde ich unter der leichten Staubschicht auch hier einige Schätze: „Das Parfum“ reiht sich neben kunstvollen, ledernen Buchrücken ein. Wer es lieber ordentlich, strukturiert und sauber mag und auf eine fachkundige Beratung zählt, der ist in einer Bücherei oder Bibliothek besser aufgehoben.Für Buchleser, die gerne stöbern, sich auf die Suche nach versteckten Schätzen machen wollen und sich von vergilbten Seiten oder Leserillen nicht stören lassen, ist ein Bücherschrank hingegen genau das Richtige.

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