Am Samstag gibt es wiederum eine Gedenkminute in Bürrig. Die Dortmunder Staatsanwaltschaft ermittelt weiter gegen vier Personen.
Drei Jahre danachLeverkusen wartet noch immer auf den Prozess zur Explosion im Chempark
Drei Jahre nach dem Unglück laufen Ermittlungen gegen vier Mitarbeiter der Anlage wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und des fahrlässigen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion. Eine Anklage, die zu einem Gerichtsverfahren führen würde, wurde nach wie vor nicht erhoben. Bei dem Unglück am 27. Juli 2021 verloren sieben Männer – darunter der Betriebsleiter – ihr Leben, 31 wurden verletzt.
Am Samstag, dem dritten Jahrestag der größten Chemie-Katastrophe in Leverkusen mindestens nach dem Zweiten Weltkrieg, wird beim Betreiber der Bürriger Anlage einmal mehr der Opfer gedacht. Currenta hat die Beschäftigten im gesamten Chempark zu einer Schweigeminute um 9.37 Uhr eingeladen. Das ist die Minute, in der Tank 3 zerplatzte und einen Großbrand auslöste. Geraume Zeit nach dem Unglück wurde in Sichtweite des Tanklagers, von dem die Explosion ausging, ein Gedenkort eingerichtet. Dort sind an Stelen die Namen der Opfer aufgeschrieben, drumherum wurde eine Hecke gepflanzt.
„Das tragische Explosionsereignis wird vielen Kolleginnen und Kollegen für immer im Gedächtnis bleiben“, heißt es vom Betreiber des Entsorgungszentrums. Umso wichtiger sei es, „dass wir an diesem Tag zusammenkommen, uns gegenseitig Halt geben“.
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Dessen ungeachtet ist die Anlage größtenteils wieder am Netz, von voller Auslastung kann aber keine Rede sein. „Aufgrund des nach wie vor eingeschränkten Abfallportfolios und der konjunkturellen Lage unserer Kunden wird die Anlage indes nur im Teillastbereich gefahren“, sagte auf Anfrage Maximilian Laufer, Sprecher bei Currenta.
Zuvor waren unter Begleitung des renommierten Chemie-Sicherheitsfachmanns Christian Jochum die Arbeitsabläufe am Sondermüllofen analysiert worden. Monatelang hatten sich der Professor und weitere Fachleute in die Prozesse vertieft. Mit dem Ergebnis, dass längst nicht mehr jeder Chemie-Abfall in Bürrig angeliefert und in einen der beiden Drehrohröfen geschüttet werden darf. Grob gesagt, werden nur noch Abfälle aus Betrieben angeliefert, die früher mal zum Bayer-Konzern gehörten.
Nur ein Tanklager ist noch nicht wieder in Betrieb
Als letzter Schritt steht nun an, ein anderes Tanklager anzuschließen. Es wurde 2009 gebaut und hat deutlich mehr Abstand zu den Öfen als das, von dem vor drei Jahren die Katastrophe ausging. Der Behälterpark mit der Nummer 4173 besteht aus acht Tanks mit einem Gesamtvolumen von 1200 Kubikmetern, bisher ist nur einer in Betrieb. Christian Jochum und seine Experten sind in einem Gutachten am 14. Juni zu dem Ergebnis gekommen, dass die Anlage angeschlossen werden kann. Jetzt hat die Kölner Bezirksregierung das Wort.
Was die strafrechtliche Aufarbeitung der Katastrophe angeht, sind indes noch viele Schritte zu gehen. Bis November 2023 war die Kölner Staatsanwaltschaft noch dafür zuständig. Damals hieß es, dass die Zeugenvernehmungen weitgehend abgeschlossen seien. Die komplexen Auswertungen technischer Unterlagen durch Sachverständige sowie interner und externer E-Mail-Kommunikation nähmen aber noch geraume Zeit in Anspruch. Auf diese Erkenntnisquellen sei die Staatsanwaltschaft zur Bewertung des Sachverhalts zwingend angewiesen. Diesen Job müssen jetzt Spezialisten in Dortmund machen. Dort ist seit November 2023 die „Zentralstelle für die Verfolgung der Umweltkriminalität“ angesiedelt.
Weshalb die Ermittlungen immer noch nicht in einer Anklage gemündet sind und wann damit zu rechnen ist, lässt die Staatsanwaltschaft offen. Die Verjährungsfristen für das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion liegen bei fünf Jahren, für fahrlässige Tötung bei zehn Jahren.
Ein Gutachten nennt die Ursache für ziemlich genau
Aus den bisher veröffentlichten Gutachten ist bekannt: Die Explosion ist auf eine Selbstzersetzungsreaktion eines in Behälter 3 des Tanklagers gelagerten flüssigen Abfalls der Firma FMC Agricultural Solutions a/s (FMC) in Dänemark zurückzuführen. Laut veröffentlichter Gutachten ist gesichert, dass man den Abfall bei Currenta über der Selbsterwärmungstemperatur gelagert hatte. Deshalb entstand im Tank, erst langsam, dann exponentiell, ein plötzlicher Überdruck und der Behälter schließlich zerknallte.
Der Tank war zu der Zeit zu 28 Prozent gefüllt. Zuvor hatte die Nachtschicht versucht, den sich langsam erwärmenden Tankinhalt unter Zugabe von kühlem Heizöl zu beruhigen. Die Werksfeuerwehr bekam erst durch die Explosion Kenntnis von Problemen in der Anlage, sie war weder vorsorglich alarmiert noch zur Kühlung des Tanks hinzugerufen worden.
Inhaltlich hält die Staatsanwaltschaft mit allen Fakten hinterm Berg. Aus unbestätigter Quelle ist zu hören, dass man den potenziell gefährlichen Stoff aus Dänemark gezielt bei Currenta angenommen haben könnte, weil seine chemischen Inhaltsstoffe im Verbrennungsprozess dabei geholfen haben könnten, Beigaben einzusparen, die man sonst hätte zukaufen müssen. Die Wahrheit wird man hoffentlich im Prozess erfahren.
Der Knall war selbst in der Kölner Innenstadt zu hören. Um Punkt 9.37 Uhr flog durch den entstandenen Druck zuerst der Deckel von Tank 3 in hohem Bogen 400 Meter weit durch die Luft. Aus dem Tank quoll ein zunächst weißer Rauchpilz – mehrfach so hoch, wie die Schornsteine der Anlage in Bürrig. Binnen Sekunden verfärbte sich der Pilz schwarz. Dieser Rauchpilz stand für zwei Stunden über Bürrig, erst wenige Minuten vor 12 Uhr schienen die Feuerwehren den Brand wenigstens soweit unter Kontrolle zu bekommen, dass die schwarze Wolke vom Brandort aus keinen Nachschub mehr bekam, sie fiel in sich zusammen.
Im wahrsten Sinne: Aus der Wolke fielen kleine Teile der Anlage, wie von der Hitze hochgerissene Isolierschaumstoffe und große Rußteile. In Bürrig sorgte das bis heute für große Aufregung. Den Analysen nach sollen die Niederschläge nicht gesundheitsgefährdend gewesen sein. Der eigentliche Rauchpilz wurde weit in die Höhe gerissen, sodass in Leverkusen, abgesehen vom „Fall-out“, kaum etwas vom Rauch zu spüren war.
Als erster Feuerwehrmann war übrigens der Leiter der städtischen Berufsfeuerwehr, Hermann Greven, vor Ort. Er hatte sich zufällig in der Gegend aufgehalten und sah grauenvolle Szenen am Tanklager.