AboAbonnieren

„Niemals trafen wir es besser“Schlebuscher erinnert sich an die Jugend im Christophorushaus

Lesezeit 4 Minuten
Die Abbrucharbeiten am Christophorushaus in Schlebusch haben begonnen.

Die Abbrucharbeiten am Christophorushaus in Schlebusch haben begonnen.

Das Haus in Schlebusch wird abgerissen. Vor Jahrzehnten war es ein Junggesellenheim.

Klaus Rosin erinnert sich noch genau an das linke Fenster auf der Rückseite des Christophorushauses in Schlebusch. Durch das Fenster, vor dem jetzt ein orangefarbener Baucontainer steht, konnte man vor Jahrzehnten problemlos ein- und aussteigen. Damals half dabei kein Container, sondern grüne Mülltonnen vor dem Fenster. Aber dazu später mehr.

Um die Zukunft des Hauses an der Von-Diergardt-Straße 7 in Schlebusch hatte es kontroverse Diskussionen gegeben. Zuletzt hatte es die Caritas als sozialtherapeutische Einrichtung für sucht- und alkoholkranke Menschen betrieben. Die neue Eigentümerin, die Kölnerin Patricia Weinert, reißt das Gebäude ab und baut ein Mehrfamilienhaus mit 14 Wohneinheiten und Tiefgarage. Vier Wohnungen davon sollen günstiger vermietet werden. In der Leverkusener Politik hatte es erhebliche Diskussionen über die Aufhebung der Bindung für soziale Zwecke für dieses Haus gegeben.

Durch das linke Fenster, unter dem der Container jetzt steht, ist Klaus Rosin immer gestiegen, als er Ende der 50er-Jahre dort lebte.

Durch das linke Fenster, unter dem der Container jetzt steht, ist Klaus Rosin immer gestiegen, als er Ende der 50er-Jahre dort lebte.

Klaus Rosin kennt das Haus wie wohl nur wenige Menschen noch in Leverkusen. Dem 85-Jährigen liegt etwas am Gebäude an der Von-Diergardt-Straße 7. Denn als er 18 Jahre alt war und in Leverkusen ins Berufsleben startete, zog er dort ein – ins „Junggesellenheim“, wie es damals hieß, und wo sein Arbeitgeber junge Mitarbeiter unterbrachte, die Schwierigkeiten hatten, eine Wohnung zu finden.

„Die Unterbringung für uns als junge Leute war genauso schwierig wie jetzt im Jahr 2024“, erinnert sich Rosin. 1957 war das, als dort Jugendliche und junge Erwachsene bis zum Alter von 21 Jahren einzogen. Entweder in ein Doppel- oder ein Einzelzimmer. Das Doppelzimmer kostete 35 Mark im Monat, dafür war es komplett eingerichtet: mit Betten, Tisch, Stühlen, Kleiderschränken und Waschbecken mit kaltem und warmen Wasser. Geduscht wurde im Keller. Zwischen 200 und 300 Mark hätten er und seine Kollegen damals verdient, sagt Rosin.

Die Kochkunst aller Bewohner hielt sich sehr in Grenzen.
Klaus Rosin

Einen Groschen habe man in einen Automaten werfen müssen, um die Herdplatten nutzen zu können. Dafür gab es dann für eine gewisse Zeit Energie. Rosin sagt: „Die Kochkunst aller Bewohner hielt sich sehr in Grenzen.“ Eierspeisen, geröstetes Brot, Tütensuppen und Kartoffeln – das seien die Spezialitäten gewesen.

Klaus Rosin erinnert sich auch noch an den Gemeinschaftsraum im ersten Stock. Der Hausvater, ein Herr Peters, hatte in den Räumen immer mal wieder größere Feste organisiert. Auch auf der Terrasse wurde gefeiert. Allerdings ganz anders, als sich das junge Menschen heute wohl vorstellen, meint Rosin. „Wir waren schon spießig“, sagt er, als er durch den Bauzaun auf die ehemalige Terrasse schaut, und lacht. Die Haustüre wurde sogar um 22 Uhr verschlossen, schließlich durfte man damals nach 22 Uhr nicht ohne Erwachsene auf die Straße. „Heute wäre das Freiheitsberaubung, das empfanden wir so nicht.“

Das Haus mit der auffälligen Fassadenbegrünung vor genau einem Jahr.

Das Haus mit der auffälligen Fassadenbegrünung vor genau einem Jahr.

Wollte man länger wegbleiben, konnte man sich zwar beim Herbergsvater einen Schlüssel besorgen, „die beste Möglichkeit jedoch war eine andere“, sagt Rosin. Womit wir wieder bei den grünen Mülltonnen wären. Die nutzte offenbar der Großteil der Bewohner des Christophorushauses als Ausstiegshilfe: „Vor allem an den Wochenenden konnten wir unser Zimmerfenster niemals verschließen, das wusste jeder im Haus und wurde sehr oft genutzt. Wir selbst wussten nie, wer gerade durch das Zimmer huschte.“

Irgendwann war es aber vorbei mit dem geheimen Ein- und Ausgang. Das Hauspersonal habe beim Putzen Fingerabdrücke auf den verschmutzten Fensterbänken entdeckt, die in die falsche Richtung zeigten. Der Hausvater wollte, dass die Fenster von nun an verschlossen bleiben. Klar, dass das nicht funktionierte. Deshalb wurden die Tonnen irgendwann weggestellt.

Zwei- bis dreimal im Jahr organisierte der Heimleiter Treffen mit anderen Heimen, wo auch Mädchen untergebracht waren. Die Frauen kamen mit dem Bus aus Köln und wurden um 22 Uhr wieder zurückgebracht. „Wir vergnügten uns mit Tanzmusik über Schallplatten oder mit einem Akkordeonspieler.“ Und am Ende gab es immer eine Polonaise durchs Haus.

„Niemals in unserer Jugend trafen wir es besser“, sagt Klaus Rosin, das Haus sei immer ein besonderes gewesen, auch in seiner letzten Funktion. Rosin lebt noch immer in der Von-Diegardt-Straße. „Auch ich bin nun sehr alt und fühle einen Schmerz. Nun verschwindet das Haus in der Unendlichkeit und in die Geschichte von Schlebusch.“