Ein Besuch in der Kläranlage in Leverkusen-Bürrig, die kaum jemand kennt.
Leverkusener AbwasserWas alles in Bürrig aus dem Rohr kommt – und was nicht
Das Bild, wie der Umschlag mit den Geldscheinen in der Toilette verschwand, wird der ältere Herr sicher nie mehr vergessen. Unbemerkt muss das Kuvert zuvor beim Hinsetzen in die Kloschüssel gefallen sein, vielleicht aus der Gesäßtasche.
Jedenfalls muss der Pechvogel wohl Kenntnisse über das Kanalnetz gehabt haben, denn er wusste, wo sein Geld wieder zum Vorschein kommen würde: in Bürrig in der großen Kläranlage des Wupperverbands. Dort erlaubte man ihm, an der ersten Reinigungsstufe zu stehen, dem Rechen, und darauf zu warten, dass der Zaster dort wieder auftauchen würde.
Heute steht der Abwassermeister Werner Pöllinger, der Herr über die elf Kläranlagen des Wupperverbands, an der ersten Klärstufe und erläutert deren Funktion: Alle paar Minuten ziehen zwei Rechen automatisch eine Ladung Festes von den Rosten, die schräg im Abwasserstrom der Stadt stehen – ein grobes und eins etwas feiner, mit einem Zentimeter Abstand zwischen den Stäben.
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Obwohl es sicher jeder heute wissen müsste, scheint die schlechte Angewohnheit nicht ausrottbar zu sein, Essensreste, Zigarettenkippen und Kunststoffteile im Klo zu entsorgen. Das Feste landet sofort in einer Presse. Zurzeit laufen hier 1400 Liter Abwasser jede Sekunde ein, es ist ein normaler Vormittag mit Nieselregen. Das Gemisch aus Abwasser und Regenwasser, das die Leverkusener Kläranlage gerade aufnimmt, stammt aus Leichlingen, Burscheid, aus Schildgen und großen Bereichen Solingens sowie aus ganz Leverkusen. Die Brühe ist braun, Braun ist die beherrschende Farbe der Abwasserreinigung.
Nach den beiden Rechen wird zuerst der Sand aus dem Abwasser entfernt. Selbst große Steine werden im Kanal mit durchgespült und große Gegenstände aus Metall, die irgendwie in den Kanal gelangen, kommen in Bürrig an. Dann gibt es eine Störung in der Anlage und man muss das Stück mit einer Art Enterhaken herausfischen. Aber meist ist es feiner Sand. Der setzt sich im zweiten Becken ab, im Sandfang.
„Wir sehen hier, wenn am Kanalnetz größere Baumaßnahmen laufen“, sagt Pöllinger, dann komme mehr davon. Sand und Steine liegen unten, Fett schwimmt bekanntlich. Im Abwasser ist so viel Fett, dass sich am Fettabscheider schnell ein Abfallcontainer damit füllen lässt. Diese braune Fettmasse kann man auch riechen, wenn man Schnupfen hat. Dennoch ist die hellbraune Masse ein Wertstoff. „Das hier geht in die Kosmetikindustrie“, sagt der Meister.
Bis hierher strömt und wirbelt das Abwasser wild, im großen runden Vorklärbecken soll die Brühe erstmals zur Ruhe kommen. Das kreisrunde Becken, mit einem Durchmesser größer als eine Wettkampfbahn lang ist, ist wie ein riesiger Trichter aufgebaut, in dem das feine Sediment langsam in der Mitte nach unten rutscht.
In der Mitte steht der sogenannte Königsstuhl, die Rotationsachse, dort wird der braune Schmodder abgesaugt. Es gibt zwei von den großen Becken, eins wird gereinigt, wenn das andere gefüllt ist. Die sechs Mitarbeiter reparieren und warten die Anlage ohne viel Einsatz von Fremdfirmen. Das erhöht die Betriebssicherheit ebenso, wie die Tatsache, dass die zwischen 1968 und 1971 gebaute Anlage notfalls ohne Computer gefahren werden kann.
Das Becken ist das Revier der Vögel. Ein großer Schwarm Krähen flattert ab und zu hektisch auf, Möwen kreischen, dass man meint, man sei in einem Nordseehafen. Es sind Lachmöwen, die nur im Winter nach Bürrig kommen.
Das Leverkusener Abwasser hat dann konstant mindestens sieben bis zehn Grad, im Sommer 17 bis 20 Grad. Die Vögel sitzen auf allen Vorsprüngen und Geländern, die Krähen gucken konzentriert ins Wasser, Möwen schwimmen und alle bedienen sich und picken nach essbaren Bröckchen im Wasser.
Currenta besorgt den Rest
Zwar heißt das 6400 Kubikmeter große Becken Vorklärbecken, aber es ist schon die letzte Behandlungsstufe des Wupperverbands. Danach verschwindet das Wasser im Kanal und fließt einen halben Kilometer zu Currenta in die biologische Klärung, wird dort mit dem Abwasser aus dem Chemiewerk vermischt und von Bakterien weiter gereinigt.
Zurzeit plant der Wupperverband eine eigene biologische Reinigungsstufe. Das Grundstück in Bürrig neben der Deponie ist dafür groß genug, möglicherweise wird man die Kläranlagen trennen, denn: Wenn die Städte ihr Abwasser selbst komplett reinigen, könnte das billiger werden, als im Verbund mit dem Chempark-Unternehmen.
Die Kläranlage liegt am Fuß der Deponie und nahe an der Sondermüllverbrennungsanlage. Bei der Explosion 2021 ist aber nichts weiter passiert, außer, dass die Mitarbeiter erst nicht raus konnten.
Der Mann, der seine Geldscheine im Klo verschwinden sah, habe erfolglos mehrere Stunden neben dem Rechen gestanden.
Vielleicht waren sie schon im Abfallcontainer. Genauso wie die vielen Eheringe, nach denen Pollinger am Telefon gefragt wurde. Die häufigsten Wertgegenstände, die in Leverkusener Aborten beim Abziehen verschwänden, und die Besitzer gerne noch in der Kläranlage retten würden, seien Gebisse. Bisher wurde noch keins wiedergefunden.