Leverkusen – Gerade ist die Ampel angetreten. Was muss sie tun, damit sich die Überschrift des Koalitionsvertrags „Mehr Fortschritt wagen“ erfüllt?Andreas Tressin: Mit dem Narrativ im Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ kann sich sicherlich zunächst einmal jeder identifizieren. Die neue Regierung will erkennbar Aufbruchstimmung entfalten und man will ihr ja auch gerne einen guten Willen für eine notwendige Modernisierung unterstellen.
Aber gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Im Moment fehlt zum Narrativ nämlich noch ein schlüssiger und valider, vor allem transparent durchfinanzierter Businessplan. So bleiben im Koalitionsvertrag leider viel zu viele Maßnahmen lediglich beschrieben, es fehlt aber der konkrete Weg. Deshalb kann die Leitlinie – wie vom Präsidenten der Landesvereinigung der Unternehmerverbände Nordrhein-Westfalen, Arndt Kirchhoff, gefordert – nur lauten: „Konkret werden, Loslegen, Tempo machen.“
Denn es dürfte doch mittlerweile völlig unstreitig sein, dass wir in Deutschland sehr viel schneller werden müssen – und zwar überall: beim Ausbau der digitalen Netze, in der Verkehrsinfrastruktur, beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, von smarten Netzen, von neuen Speichertechnologien und beim Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Das wird natürlich nur mit massiven Innovationen zu schaffen sein. Dafür müssen wir aber jetzt bei Planungs- und Genehmigungsverfahren mal endlich massiv aufs Tempo drücken.
Ich befürchte, dass der eigentliche Lackmustest bei der Ausgestaltung des neuen Geschäftsmodells Deutschland uns erst noch bevorsteht. Vor allem die Frage, welche Leitlinie bei den konkreten Umsetzungsmaßnahmen in wirtschafts- und ordnungspolitischer Hinsicht Priorität haben soll. Beziehungsweise, wer in der Ampel hierfür die Deutungshoheit für sich reklamieren wird. Sollte es hier nicht ganz schnell zu einem Grundkonsens kommen, ist bei der Umsetzung ein großes Veränderungswirrwarr oder gegenseitiges Misstrauen programmiert.
Der neue Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht von „lernender Politik“. Was muss er lernen?Nicht nur der Wirtschaftsminister, sondern alle Koalitionäre müssen ganz einfach zu der Erkenntnis kommen, dass eine wettbewerbsfähige Wirtschaft das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts ist und ohne eine Erneuerung der wirtschaftlichen Grundlagen und ohne leistungsstarke Unternehmen weder der Klimawandel bewältigt noch unser Sozialstaat finanziert werden kann.
Denn nie war eine starke Wirtschaft wichtiger als jetzt: Die Schulden der Corona-Krise müssen abgetragen, die Sozialsicherungssysteme nachhaltig finanziert und unser Land auf die Bewältigung neuer Krisen vorbereitet werden. Es müssen dafür im Strukturwandel neue Arbeitsplätze geschaffen, Investitionen gestemmt und durch Innovationen Nachhaltigkeit vor allem konsequenter umgesetzt werden. Dafür brauchen die Unternehmen Rahmenbedingungen, die nun endlich auch zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit führen, denn auf vielen Feldern hinkt die deutsche Politik hier der Weltspitze viel zu deutlich hinterher. Das Verwalten vergangener Erfolge reicht schon lange nicht mehr aus.
Eine Agenda 2030, wie jüngst von der BDA und dem BDI gefordert, die auf nationaler wie internationaler Ebene die Wettbewerbsfähigkeit von Standort, Unternehmen und Arbeitsplätzen steigert, muss deshalb Maßstab allen politischen Handelns sein. Die Ampel muss bei der Umsetzung ganz einfach den Mut haben, neue Freiheiten nicht nur für die Unternehmer, sondern auch für die Beschäftigten zuzulassen.
Ebenso wie die Stärkung der Eigeninitiative, denn das würde nicht nur den Betrieben im globalen Wettbewerb helfen, sondern auch den Beschäftigten bei der Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Zusätzliche Kostenbelastungen der Unternehmen verbieten sich in dem zuvor beschriebenen Beziehungsgeflecht von selbst.
Christian Lindner startet mit einem Haushaltstrick, mit dem er 60 Milliarden Euro umwidmet. Eine gute Idee?Zumindest wird das Vorgehen von Verfassungsrechtlern als verfassungsrechtlich problematisch angesehen, weil die Mittel für die Pandemiebekämpfung vorgesehen waren. Nun sollen sie für Klimainvestitionen in den kommenden Jahren genutzt werden. Da fehlt dann in der Tat der Bezug zur Notlage, mit der die Aussetzung der Schuldenbremse begründet wurde.
Zum anderen verstößt der Nachtragsetat gegen das Jährlichkeitsprinzip, also den Grundsatz, dass ein Etat immer nur für ein Jahr gelten soll. Dieses Prinzip gilt auch in einer Notlage wie der Pandemie. Völlig losgelöst von den verfassungsrechtlichen Bedenken widerspricht die von Lindner vorgenommene „Umwidmung“ der von ihm stets selbst erhobenen Forderung nach Transparenz und Solidität politischen Handelns.
Wagen wir einen Blick in das gerade begonnene Jahr. Was sehen Sie 2022, nachdem 2021 dann doch nicht so gut gelaufen ist wie gedacht?Die Prognosen für das Jahr 2022 gleichen derzeit einem Blick in die Glaskugel. Sicher ist, dass gar nichts sicher ist, erst recht nicht in der Pandemie. Die Unternehmen haben ihren Optimismus und ihre Zuversicht tendenziell noch nicht verloren. So erwarten laut einer Umfrage im Spätherbst des Instituts der deutschen Wirtschaft fast die Hälfte der Unternehmen für das kommende Jahr eine höhere Produktion oder Geschäftstätigkeit, nur 15 Prozent erwarten einen Rückgang.
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Ganz entscheidend für eine positive Entwicklung aber wird sein, ob das ständige Stop-and-Go des Wirtschaftslebens 2022 endlich ein Ende findet. Der Sachverständigenrat und das IW sehen in den derzeitigen Produktionsbeeinträchtigungen in Folge gestörter Transport- und Lieferketten und der damit einhergehenden Kostenschocks jedenfalls erhebliche Risiken für die Konjunktur.
Unabhängig hiervon wird das Wirtschaftswachstum auch 2022 immer wieder mit den jeweiligen Corona-Realitäten konfrontiert sein. Und leider hat sich aufgrund der verschärften Coronalage die Stimmung der Unternehmen zum Weihnachtsfest weiter verschlechtert, vor allem bei den konsumnahen Dienstleistern und dem Einzelhandel. Es muss deshalb oberstes Ziel bleiben, einen Lockdown zu verhindern. Mehr denn je werden pragmatische Lösungen gefragt sein, wie wir Wirtschaft erlauben können. Nicht die härteste Maßnahme sollte entscheidend sein, sondern die sicherste. Klar muss sein, dass es zum Impfen keine Alternative gibt.