Leverkusen – Keine Frage: Diese Ausstellung ist eine, die nicht nur tatsächlich eigens für diesen Ort der Kunst konzipiert wurde. Räumlich gesehen. Sie ist auch eine Ausstellung, die thematisch absolut perfekt in dieses Museum Morsbroich passt, denn: Eröffnet wurde es 1951 ja explizit als Haus für moderne, zeitgenössische Kunst.
Die ist in den meisten Fällen nicht zuvorderst der Ästhetik verschrieben, sondern vor allem der politischen Intention. Und „Der Katalysator – Joseph Beuys und Demokratie heute“ ist nun politisch durch und durch. Womit schonmal feststeht: Morsbroich setzt ein gehöriges, ein dickes symbolisches Ausrufezeichen im Beuys-Jahr 2021.
Aktivist und Herausforderer
Der Künstler, der am 12. Mai 100 geworden wäre, wird in der Schau als Aktivist und Herausforderer der Autoritäten, als Brandbeschleuniger der Aktionskunst und des gesellschaftskritischen Engagements sowie als Inspiration für die Künstlergeneration nach ihm gezeigt. Sprich: nicht historisch. Sondern in all der Aktualität, die Beuys’ Kunst auch 35 Jahre nach seinem Tod noch besitzt. Und es ist durchaus tragisch zu nennen, dass fürs Erste niemand ins Museum darf, um sich von Beuys und knapp 20 weiteren Künstlerinnen und Künstlern, wenn man so will, katalysieren, mitreißen zu lassen.
Es ist dies die einzige, gleichwohl nicht selbst verschuldete Schwäche dieser Schau. Schließlich funktioniert das Aufrührerische und erfolgt das politisch motivierte Handeln durch reale Unmittelbarkeit. Nicht durch die nun allein mögliche virtuelle Betrachtung der Gezeigten.
„Straßenaktion“ von 1971
Beuys’ „Straßenaktion“ aus dem Jahr 1971 – damals diskutierte er auf der Kölner Hohe Straße mit Passanten über dem Begriff der Demokratie – ist dokumentiert in Bildern und Tonbandaufnahmen und ergänzt durch schwere Steinklötze, die nicht nur an die Straße als den Ort der Begegnung gemahnen, sondern auch Bilder eines Straßenkampfes heraufbeschwören. Seine „Halbzeit“ wiederum war damals schon eine monumentale Aktion – und ist es auch heute noch. Es ging um die Schaffung einer großen Begegnungsstätte für Künstler- und Bürgerschaft in Krefeld, um die Wiederbelebung eines industrieverseuchten Feldes in Hamburg.
Und vor allem um die Anpflanzung von 7000 Eichen in der „Dokumenta“-Stadt Kassel, folgend der Handlungsmaxime „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“. Beton wurde aufgerissen. Die Natur bahnte sich ihren Weg und zeigte den menschlichen Egomanen, dass ihrer aller Macht irgendwann endet. Es war die Metapher für eine Veränderung aus der Gesellschaft heraus. Im Schloss entschied sich Kuratorin Ania Czerlitzki dafür, diesen Beuys-Aktionen das komplette Erdgeschoss freizuräumen.
Dem Aufbegehren gewidmet
Im Jagdzimmer sowie der oberen Etage sind sodann die Beiträge der übrigen Künstlerinnen und Künstler zu finden. Allesamt Installationen und dokumentierte Performances, die nicht beliebig, sondern dem Aufbegehren gewidmet sind.
Mario Pfeifer filmte Interviews mit Personen, die neurechte Positionen vertreten. Was ungeheuerlich ist, denn: Nicht viele sind bereit, mit Menschen zu reden, die letztlich nichts anderes als Menschenfeindlichkeit an den Tag legen. Pfeifer montierte daraus ein Video, das ohne jede Relativierung der geäußerten Ansichten einer Dämonisierung entgegenwirkt und zeigt, was politischer Diskurs mitunter eben auch bedeutet: die Auseinandersetzung mit Gegnern, die schlichtweg da sind und nicht ignoriert werden können.
Wüste Gedankenwelten
Henrike Naumann stellte mit Billigmöbeln und grenzwertigen Einrichtungs-Accessoires, bis hin zur an der Wand hängenden Jagdflinte, Wohnungen von Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern nach. Vereinsamung und Isolation und das damit verbundene Abdriften in die wüstesten Gedankenwelten schwingen hier überall mit.
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Alex Wissel und Jan Bonny nehmen mit ihrer Installation „Rheingold“ aus übergroßen Zitronen und blinkenden Eurozeichen nicht nur den Aufstieg und Hochstapler-Fall des Kunsthändlers Helge Achenbach aufs Korn. Sondern auch den protzige Orgien feiernden Künstler Jörg Immendorf, der einst ein abstruses Goldporträt von Ex-Kanzler Gerhard Schröder schuf – ausgerechnet in einer Zeit, in der dieser Hartz IV auf den Weg brachte. Ein Abgesang auf die Integrität in Politik und Kunst. Und die belgische Künstlerin Tracy Rose wird per Video dokumentiert in ihrem expressiven Straßenprotest gegen die nur unzureichend aufgearbeitete Kolonialgeschichte Europas.
All das ist aufrüttelnd, hoch interessant, amüsant. Und anzunehmen ist: Joseph Beuys hätte er gefallen, dieser „Katalysator“.
Alle Informationen zur bis zum 29. August geplanten Ausstellung sowie die virtuellen Aktionen rund um „Der Katalysator“ sind auf der Internetseite des Museums zu finden.
www.museum-morsbroich.de