Leverkusen – Ein Rückblick auf die Kultur im Corona-Jahr 2020 fällt mehr als je zuvor vorhersehbar aus. Denn: Die Kultur stand weitgehend still. Und die Worte der zurückschauenden Protagonisten dürften somit niemanden überraschen. In Leverkusen sagt Thomas Helfrich, Chef der Bayer-Kultur: „Grundsätzlich war es ein furchtbares Jahr. Das kann man drehen und wenden, wie man will.“ Und Biggi Hürtgen, Leiterin der „Kultur-Stadt-Lev“ (KSL), dem zweiten großen Player vor Ort, ist verbal nur wenig zurückhaltender, wenn sie 2020 einschätzt als „sehr, sehr spezielles Jahr. Eines nach dem wir hoffen, dass so eines nicht mehr wiederkommt“.
Verwaiste, leere Säle
Wie überall lag eben auch in Leverkusen alles brach, als im Frühjahr der erste Lockdown begann. Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen, Ausstellungen – abgesagt. Bei Bayer blieb das Erholungshaus leer. Bei der städtischen Kultur verwaiste der große Saal des Forums. Die freie Künstlerszene zog sich, quer durch alle Sparten, zurück. Das Ensemble des Hitdorfer Matchboxtheaters konnte das 25-jähriges Bestehen des eigenen Kult-Schauspielhauses nicht feiern.
All diejenigen, die es mit der Musikschule halten, mussten auf die Sause zum 90. Gründungstag der Einrichtung verzichten, an der zudem der Unterricht lange Zeit entfiel. Es gab kein Sommerfest vor dem Jazzclub „topos“, keinen Guildo Horn’schen Schlager-Rock unterm Bierbörsenzelt. Im „Scala“-Club fanden weder Musik noch Comedy statt. Das Museum Morsbroich durfte seine Pforten nicht mehr öffnen und schloss die Kunst ein.
Eine Farce für alle
Und selbst als später im Jahr Veranstaltungen für eine kurze Zeit wieder möglich waren, blieben diese bei aller berechtigten Freude aufgrund von Abstandsregelungen und Zugangsbeschränkungen doch eine Farce für jeden, der die schönen Künste so liebt, wie sei sein müssen: frei zugänglich. Kurzum: Das Virus bremste nicht nur die Bildung in den Schulen aus. Es traf auch die persönliche, die durch private Passion gesuchte Bildung des Geistes.
Und doch gab es 2020 auch Lichtblicke. Momente, in denen die Kultur in der Stadt – oder besser: deren Aktive, deren Träger und Multiplikatoren – der Krise durchaus beeindruckend trotzten. Weil sie nämlich immer schon das wussten, was spätestens seit Corona alle wissen: Kultur ist lebensnotwendig und unverzichtbar. Thomas Helfrich drückt das so aus: „Spätestens zu der Zeit, als Veranstaltungen zwischendurch wieder stattfinden konnten, war es sehr spannend zu sehen, wie konstruktiv Veranstalter und auch Zuschauer mit der Situation umgingen.“ So ein Miteinander und derart viel Zuspruch wie Verständnis habe er „selten zuvor“ erlebt. Denn: „In normalen Zeiten ist man ja eher mit allem Möglichen unzufrieden.“ Das sei nun anders gewesen. „Für die Kultur gab es eine große Solidarität. Und das war ein wichtiges Signal. Das Jahr 2020“, ist sich der Bayer-Kulturchef sicher, „hat somit ihren wahren Stellenwert noch einmal gezeigt.“
Alle rückten zusammen
Biggi Hürtgen pflichtet dem bei: „Es haben alle sofort reagiert. Alle sind enger zusammengerückt.“ Nicht zuletzt bei der Veranstaltung „Kultur ist sicher“, zu der sich Anfang November Leverkusener Kulturschaffende im Erholungshaus einfanden, um ein Zeichen für die eigene Sache zu setzen, habe man das gesehen.
Nun könnte man unken, dass dieses Solidaritätsding ja auch nur eine arg euphemistische Sicht auf eigentlich schrecklich schlimme Dinge ist. Der Blick durch die rosarote Brille des Selbstbetrugs auf jene hässliche Fratze, die einem da in Wirklichkeit entgegen grinst. Indes: Es blieb eben nicht dabei. Es ging weiter. Viele Kunstbeflissene in und aus Leverkusen machten aus der Not tatsächlich eine Tugend und nutzten die Zeit, die sie durch die entfallenen Veranstaltungen plötzlich hatten, um sich anderweitig aufzustellen. Die Mitglieder des Kunstvereins „Spektrum“ etwa versteigerten Bilder im Internet.
Autoren und Autorinnen wie Christian Linker oder Maren Gottschalk übertrugen Lesungen im Internet. Fabian Stiens gelang es in Kooperation mit der Bayer-Kultur und dem WDR, die renommierten Jazztage erstmals komplett als Live-Stream-Festival im Netz zu veranstalten und somit jedem Zuschauer zumindest optisch die direkte Nähe zu den Musikern zu schenken. Sängerin Luisa Skrabic bescherte den Leverkusenern Hofkonzerte unter freiem Himmel. Zur „Leverkusener Weihnacht“ versammelten sich kurz vor Jahresende hiesige Prominente wie Wilfried Schmickler, Pit Hupperten oder Henning Krautmacher im „Scala“, um die im Internet Zuschauenden aufs Fest und eine hoffentlich bessere Zukunft einzustimmen.
Spielfreie Zeit genutzt
Und auch die Bayer-Kultur sowie die KSL als Hauptanbieter von Kultur vor Ort bündelten die Kräfte. Die KSL schaffte es, zwischen den beiden Lockdowns 17 Veranstaltungen binnen zweier Monate durchzuziehen. „Das war eine tolle Leistung“, sagt Biggi Hürtgen. Zudem nutzten sie und ihr Team die „freie“ Zeit, um im Forum sowohl den Bühnenboden als auch die Lichttechnik zu erneuern, was bedeutet: Wenn es irgendwann wieder losgeht, dann auch richtig. Zudem habe man bei der KSL laut deren Chefin erkannt, wie vielseitig die eigenen Räumlichkeiten genutzt werden könnten, als politische Gremien wie der Kulturausschuss in den großen Terrassensaal umzogen oder eben dort die Präsentation der Kommunalwahl stattfand.
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Die Bayer-Kultur wiederum beendete das über Dekaden gepflegte Konzept des Jahresprogramms und stellte ihr „stART“-Festival vor, das im Frühjahr 2021 erstmals – auf welche Art auch immer – in Leverkusen als zentralem Ort sowie in den Konzern-Niederlassungen Wuppertal, Berlin und Bitterfeld stattfinden wird. Gut zwei Monate lang sollen alle Sparten von Kunst geboten sowie speziell junge Künstlerinnen und Künstler nach vorne gebracht werden.
Kreativ abseits der Bühne
Und wenn wegen der Pandemie schon nichts auf Bühnen geschehen durfte, so ließ es sich im Erholungshaus doch zumindest hinter den Kulissen kreativ arbeiten: mit Workshops auf Abstand. Mit Videoproben, bei denen Jungstars wie Violinist Sandro Roy oder die Trompeterin Rike Huy experimentierten und musizierten.
Fest steht: Der Schritt weg vom Saison-Konzept revolutionierte mitten im Krisenjahr die Leverkusener Kulturlandschaft. Der Tradition verpflichtete Menschen mögen darüber aufschreien, doch Thomas Helfrich betont: „Wir wollen nur anderen Dingen einen Schwerpunkt geben. Unsere Künstlerförderung lief bislang ja immer so ein bisschen nebenher. Sie war zwar schon gut, hatte aber noch kein richtiges Zuhause.“ Das sei nun anders. „Da wir jetzt nicht mehr in diesem Jahresrhythmus sind, können wir uns stärker auf die Künstlerinnen und Künstler konzentrieren und schauen: Was brauchen sie? Wie können wir sie gezielt einbinden? Wir helfen ihnen dabei, sich als Marke zu platzieren.“ Das sei in Zeiten wie den herrschenden noch wichtiger geworden.
Ein Effekt der Synergie
Biggi Hürtgen nimmt diesen Vorstoß des Mitbewerbes inmitten des Krisenjahrs natürlich auch wahr – und bewertet ihn positiv: „Wir sind ein städtischer Anbieter, der den Auftrag hat, den Menschen ein kontinuierliches Angebot zu unterbreiten. Bayer geht nun einen anderen Weg. Wir stellen die Grundversorgung sicher. Das, was Bayer macht, ist ergänzend und schafft somit eine Synergie.“
Und was wird nun im neuen Jahr? Thomas Helfrich meint zu wissen, wo Kulturschaffende ansetzen müssen: 2021 werde ein Übergangsjahr. Werde noch einmal hart. „Daher ist es wichtig, jetzt schon zu überlegen: Was mache ich 2022? Und wie kann ich all das gut vorbereiten? Es geht jetzt darum, neu zu denken und nicht um die Frage: Wie kann ich mein Programm so wie immer machen – und dann klappt es eben oder nicht.“ So etwas sei fahrlässig. „Natürlich planen auch wir unser „stART“-Festival ja erst einmal normal. Aber: Wir planen es eben in dem Wissen, dass es so, wie es eigentlich sein sollte, wohl nicht wird stattfinden können. Deshalb haben wir einen Plan B. Er ist bereits ausgearbeitet und gibt vor, wie wir in welcher Eskalationsstufe handeln.“ Fazit: Die Kultur steht vor weiteren Herausforderungen. Aber sie ist dank ihrer Verfechter nicht dem Untergang geweiht. Das hat gerade das Corona-Jahr gezeigt.