In diesem Jahr schafft die Stadt mit einem Griff in die Rücklage noch einmal den Ausgleich des Haushalts. Aber der Plan birgt Risiken.
StadtratLeverkusen schiebt 500 Millionen Schulden vor sich her – Haushalt verabschiedet
Gerade noch einmal gut gegangen? Das wird sich noch zeigen. Der städtische Haushaltsplan für 2023, laut Eingeständnis des Kämmerers „auf Kante genäht“, ist vom Leverkusener Stadtrat am Montagabend immerhin mit deutlicher Mehrheit verabschiedet worden. 42 Ratsmitglieder stimmten mit Ja, die vier Nein-Stimmen kamen von AfD, Klimaliste, Aufbruch und Linker, die Bürgerliste enthielt sich.
Trotz der breiten Zustimmung gab es einige Kritik zu hören, und die kam nicht nur vom rechten und linken Rand. Schließlich befindet sich die städtische Finanzlage auch nach dem Zusammentreffen mehrerer großer Krisen weiterhin in einem Ausnahmezustand.
Da sind zum einen die „isolierten“ Kosten als Folgen von Corona-Pandemie, Energiekosten und Flüchtlingszustrom. Dieser beiseite geschobene Schuldenberg abseits der Finanzplanung türmt sich mittlerweile auf 500 Millionen Euro auf, die von 2026 an über 50 Jahre hinweg zurückgezahlt werden müssen. Vergessen ist dieser vorerst verdrängte Zugriff auf die Zukunft nicht.
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Anderthalb Stunden Etatreden
Das wurde auch in den elf Haushaltsreden der Fraktions- und Ratsgruppen-Vorsitzenden sowie der Einzelvertreter deutlich. Dass der niedrige Gewerbesteuer-Hebesatz Leverkusen Rekordeinnahmen von gut 200 Millionen Euro in diesem Jahr beschert, begrüßte nicht allein Stefan Hebbel (CDU). Leverkusen habe sich und die Arbeitsplätze in der Stadt damit stabilisiert. „Sonst wäre die Luft jetzt schon verdammt eng.“
In jedem Fall müsse Leverkusen vorsichtiger bei den Ausgaben sein. Das gelte auch für die Personalausgaben. Viele der neuen Stellen seien unstrittig erforderlich, sicher aber nicht alle. Seit der Amtsübernahme durch Oberbürgermeister Uwe Richrath sei die Zahl der städtischen Beschäftigten von knapp 2000 auf über 2800 gestiegen. Andererseits mangele es an qualifiziertem Personal. „Junge Menschen bewerben sich nicht mehr bei uns, wir bewerben uns bei ihnen als Arbeitgeber.“ Das werde besonders in den Kitas deutlich.
Viele Neueinstellungen geplant
„Eine starke Kommune braucht eine starke Verwaltung“, rechtfertigte Milanie Kreutz (SPD) den Mehraufwand an Personal. Neue Aufgaben erforderten eben neue Kräfte. So begrüßte sie besonders die geplante Einstellung von 25 Schulsozialarbeitern. In Sachen Gewerbesteuern forderte sie das Land auf, von negativen Schlüsselzuweisungen bei hohen Gewerbesteuereinnahmen abzusehen.
Das Pro-Kopf-Aufkommen dieser Steuer in Leverkusen sei vergleichbar mit Köln und Düsseldorf. „Leverkusen trägt die Lasten und Risiken der Industrie, dann müssen unsere Bürgerinnen und Bürger auch von den Steuereinnahmen profitieren.“
Dagegen geißelte Keneth Dietrich (Die Linke) den „Unterbietungswettbewerb“ der Kommunen in diesem Sektor als „Steuergeschenke für reiche Aktionäre“, die Politikverdrossenheit beförderten, weil staatliche Leistungen für Bedürftige dafür auf der Strecke blieben. Kritik kam auch von Yannik Noé (AfD) an der zu hohen Steuerlast für alle Bürger infolge einer falschen Ausgabenpolitik der „Altparteien“. Da würden Parteifreunde mit lukrativen, aber ineffektiven Geschäftsführerposten in städtischen Unternehmen belohnt, während die Stadt sich ohne jede Vision mit geschönten Finanzen in die Zukunft treiben lasse.
Stillstand beklagt
„Zu viel Stillstand in dieser Stadt“ beklagte auch Monika Ballin-Meyer-Ahrens (FDP), wobei sie vor allem auf eine schleppende Modernisierung der Verwaltung und die „Trägheit bei Klimaprojekten“ beklagte, wobei ihr Appell für mehr Klimaschutz zu höhnischen Zwischenrufen aus den Reihen der Grünen führte, welche Partei denn beim Klimaschutz auf der Bremse stehe.
Auch in diesen Punkten äußerte sich die FDP-Sprecherin im Rat ganz anders als deren Vertreter im Bund: „Was wir ganz sicher nicht brauchen, ist eine neue Feuerwache auf dem Areal eines Landschaftsschutzgebietes und einen übergroßen oberirdischen Ausbau der Autobahnen, die unsere Stadt zerschneiden.“
Weichenstellungen in Richtung Klimaschutz und Verkehrswende sieht Roswitha Arnold (Grüne) in diesem Jahr ganz oben auf der Aufgabenliste für Rat und Verwaltung. Eine Grünschutzsatzung mit Vorgaben zur Flächenentsiegelung sei vorbereitet und wohl auch mehrheitsfähig, bei der Umgestaltung der Verkehrsräume zum Vorteil für Bus- und Radverkehr müsse es endlich vorangehen. Mehr Tempo sei auch bei der Schaffung neuer Kita-Plätze gefordert.
Für die Bürgerliste forderte Karl Schweiger entschlosseneren Widerstand gegen die Pläne des Bundes für den Autobahnausbau in Leverkusen; „Wenn die Ausschreibung für die zweite Rheinbrücke nicht bis Anfang Mai gestoppt wird, ist die Vorzugsvariante der Autobahn GmbH betoniert: die achtspurige Stelze quer durch Leverkusen, mit einer Bauzeit bis 2040, Lärm und Dreck.“
Markus Pott (Opladen plus) befand, dass Leverkusen mit seinem „Gewerbesteuerexperiment“ unglaubliches Glück gehabt habe. Nun aber müssten auch die in Leverkusen Wohnenden entlastet werden. „Ziel muss sein, die Grundsteuer künftig wieder auf ein Normalmaß zu senken.“
Während Benedikt Rees (Klimaliste) in seiner Haushaltsrede diesmal keinen Vergleich zu Kinderbüchern bemühte, sondern sich in politisch-philosophischen Betrachtungen zu Weltklima, Globalisierung und der Zukunft der Menschheit erging, musste der letzte Redner am Abend weitgehend auf Publikum verzichten. Als Markus Beisicht (Aufbruch) zum Rednerpult schritt, leerte sich der Saal.
Oberbürgermeister Uwe Richrath hatte bei der Worterteilung schon angemerkt, dass er und die Verwaltungsspitze sich nach Beisichts Beleidigungen des ukrainischen Volkes in der Video-Schalte mit der neuen Partnerstadt Nikopol dessen weitere Zumutungen nicht anhören wollten. Und auch die große Mehrheit der Ratsmitglieder verließ den Saal.
Die wenigen Verbliebenen wandten sich, mit wenigen Ausnahmen an den extremen Rändern, von Beisicht ab und kehrten ihm den Rücken zu, während der Rechtsextreme eine Viertelstunde lang unverdrossen gegen die Leverkusener Stadtpolitik wetterte.
Der Leverkusener Haushalt 2023
Im laufenden Jahr rechnet die Stadt Leverkusen mit Einnahmen von 847 Millionen Euro, denen Ausgaben von 863 Millionen gegenüberstehen. Das Defizit kann 2023 noch einmal mit einem Griff in die Rücklagen ausgeglichen werden. In den kommenden Jahren wird es knapp.
Für Investitionen werden neue Kredite über 60 Millionen Euro aufgenommen. Die meisten Mittel gehen in die Sanierung von Schulgebäuden und Kitas.
Sonderausgaben, vor allem in Folge von Corona-Pandemie und Energiekrise, werden in Nebenhaushalten isoliert. Dieser Schuldenberg addiert sich dieses Jahr auf voraussichtlich 500 Millionen Euro. Diese Summe muss von 2026 an in Raten von jährlich 10 Millionen Euro abgestottert werden.
Der Personaletat steigt um 21 Millionen auf 178 Millionen Euro, da 212 Stellen neu geschaffen werden, vorrangig in Kitas und Schulen, Serviceabteilungen der Verwaltung sowie bei Feuerwehr und Ordnungsdienst.
Die Steuersätze der Kommune bleiben in diesem Jahr stabil. Der Hebesatz der Gewerbesteuer liegt weiter bei 250 Prozentpunkten, die Grundsteuer B bei 750 Punkten, die Grundsteuer A (für landwirtschaftlich genutzte Flächen) bei 375 Punkten. (ger)