Leverkusen – Im Juni sind Sie – für viele überraschend – als Nachfolgerin von Eva Lux zur Leverkusener SPD-Vorsitzenden gewählt worden. Kam das auch für Sie ganz plötzlich?
Ja, ursprünglich hatte ich damit gerechnet, als Stellvertreterin zu kandidieren – mit Marco Bellgardt zusammen – dann aber hat Eva Lux doch nicht kandidiert, was ich sehr bedauert habe. Da ihre Entscheidung aber feststand, war meine Bewerbung die logische Konsequenz, weil ich schon mit dem Gedanken gespielt hatte, in zwei Jahren für den Vorsitz zu kandidieren. Eva Lux wollte mich bis dahin in einer Art Übergangsphase vorbereiten und mich einarbeiten. Nun ging das eben schneller. Da ich in meinem Beruf zeitlich relativ flexibel bin und mein Chef Verständnis hat, kann ich ein so zeitaufwendiges Ehrenamt jetzt einrichten. Allerdings sind das noch mal so 40 Wochenstunden on top – ehrenamtlich.
Was war denn überhaupt für Sie der Auslöser, sich parteipolitisch zu engagieren?
Zur Person
Aylin Dogan ist 27 Jahre alt und Rechtsanwältin in Opladen. Sie wurde in Leverkusen geboren, machte ihr Abitur am Landrat-Lucas-Gymnasium in Opladen und studierte Jura in Düsseldorf. Die Tochter eines türkischstämmigen Vaters und einer deutschen Mutter trat 2010 in die SPD ein. Nach ihrer Kandidatur bei der Kommunalwahl 2014 wurde sie Mitglied im Kinder- und Jugendhilfeausschuss. Im Juni wurde sie zur Unterbezirksvorsitzenden der SPD Leverkusen gewählt. (ger)
Das kam über das Studium. Meine Freunde dort waren auch alle in einer Partei, in FDP, CDU und SPD, ganz bunt gemischt. So war Politik bei uns immer ein Thema. Und ich komme aus einem politisch interessierten „SPD-Haushalt“. 2010 bin ich dann in den Ortsverein eingetreten, quasi zur politischen Weiterbildung. Und mit der Kommunalwahl 2014 ging es dann richtig los – soweit mein Studium das nebenher zuließ. Dann hat man mir die Kandidatur als eine Beisitzerin im Unterbezirks-Vorstand vorgeschlagen und fortan war ich „in den Händen der Partei gefangen“.
Sie sind SPD-Vertreterin im Leverkusener Kinder- und Jugendhilfeausschuss. Für den früheren Kanzler Gerhard Schröder war so etwas „Gedöns“.
Das empfinde ich gar nicht so. Ich glaube, dass das gerade die vielen jungen Familien in Leverkusen extrem betrifft. In unseren Sprechstunden erfuhren wir beispielsweise, dass das „offene Konzept“ in den Kindertagesstätten so gar nicht richtig funktioniert. Und fehlende Kita-Plätze überhaupt sind ein Problem, das sehr viele Eltern in dieser Stadt betrifft.
Die SPD hat sich nach den Verlusten in den Landtagswahlen und der Bundestagswahl selbst eine Erneuerung verschrieben. Was halten Sie dabei für das Dringlichste?
Man spricht zwar in der SPD jetzt viel von Veränderung, aber gerade die Besetzung der Spitzenämter im Bund sieht mir nicht sehr nach Veränderung aus. Ich glaube auch, die SPD muss sich stärker für die Wahlkämpfe aufstellen und ihre Kandidaten besser präsentieren. Auch werden manche Themen von der Parteispitze vorgegeben, ohne auf die Basis zu hören, die im Kontakt mit den Bürgern steht und deren akute Sorgen kennt. Beispielsweise der massive Mangel an Kita-Plätzen.
War das Thema „soziale Gerechtigkeit“ im Wahlkampf nicht sogar kontraproduktiv, weil es das unbewältigte SPD-Thema „Agenda 2010“ wieder aufbrachte?
Darauf wurden wir tatsächlich angesprochen. Aber der Slogan „soziale Gerechtigkeit“ warf vor allem das Problem auf, dass die Leute gar nicht wussten, was damit gemeint war. Das war nicht ausreichend definiert.
Der Martin-Schulz-Hype zu Jahresbeginn hat ja auch zu einigen Eintritten vor allem junger Leute in die SPD geführt. Ist davon noch etwas spürbar, konnte etwas von dem Elan gerettet werden?
Ja, wir hatten jetzt im Wahlkampf einige sehr aktive Jusos dabei, die engagiert und aktiv sind und die wir weiter mit einbinden werden. Es heißt in der Bundespartei immer: Die SPD muss jünger und weiblicher werden. Das haben wir hier in Leverkusen ja schon sehr gut geschafft. In Ratsfraktion und Parteivorstand sind sehr junge Leute. Ich glaube, wir leben das in Leverkusen ganz gut vor, was auf Landes- und Bundesebene permanent seit Jahren versucht wird.
Auch unsere Wahlkämpfe funktionieren besser als im Bundesdurchschnitt. Wir haben es geschafft, unsere Direktkandidaten gut zu verkaufen. Und wir wollen es auch schaffen, dass Uwe Richrath der erste Leverkusener Oberbürgermeister wird, der wiedergewählt wird. Da bin ich optimistisch.
Wie gehen Sie damit um, dass eine regelrechte Politikverachtung um sich greift?
Man kann immer nur wieder versuchen, mit den Bürgern in einen Dialog zu treten und ihre Anliegen ernst zu nehmen. Gerade auf kommunaler Ebene kann man dann etwas bewirken und verändern. Beim „offenen Konzept“ in den Kitas hat das zum Beispiel geklappt. Vor einem Jahr hieß es: Das ist hier kein Problem. Doch Eltern und Kita-Leitungen haben uns berichtet, dass es nicht funktioniert. Das haben wir mit einer Elternbefragung zum Thema gemacht.
Nun hat die SPD Leverkusen im Bundestagswahlkampf aber unterschiedliche Positionen zum Autobahnausbau bezogen: Die Ratsfraktion fordert den kurzen Tunnel anstelle der Stelze, Direktkandidat Lauterbach einen langen Tunnel unterm Rhein her. Knirscht es da in Ihrer Partei?
Wir haben darüber natürlich viel diskutiert. Das muss die innerparteiliche Demokratie aushalten, dass man unterschiedliche Meinung vertritt. Partei und Ratsfraktion sind an unseren Parteitagsbeschluss vom Juni 2016 gebunden, der besagt, dass wir uns für den kleinen Tunnel einsetzen. Karl Lauterbach sitzt nicht im Stadtrat, er kann eine andere Meinung vertreten. Ihm geht es ausschließlich um den Gesundheitsaspekt, um das, was er mit seinem Gewissen verantworten kann. Auf unserem nächsten Parteitag Ende November wird das Thema Autobahn aber erneut diskutiert werden.
Wird in Ihrer Partei eigentlich noch genug gestritten? In der Vergangenheit ging es auf SPD-Parteitagen häufig stürmischer zu.
Ich weiß nicht, ob man das immer alles öffentlich austragen muss. Wir werden uns in Arbeitsgruppen mit der Erneuerung der SPD befassen. Da wird dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit schon ordentlich diskutiert. Ich wünsche mir, dass wir mehr Themenparteitage abhalten, auf denen intensiver mit den Mitgliedern diskutiert wird. Im nächsten Jahr zum Beispiel zu Verkehr/Mobilität und zum Thema Bildung.
Was ist denn ihre Erfahrung nach den ersten Monaten als Parteivorsitzende: Lässt sich ein SPD-Unterbezirk führen?
Ja, ganz gut. Mir ist wichtig, dass wir im Vorstand als Team gut zusammenarbeiten. Da gebe ich nicht allein den Ton an. Aber in der Diskussion muss eine Person schon die Leitung übernehmen, damit es ein Ergebnis gibt. Und ich versuche, alle mit einzubinden und an die Arbeit zu bekommen.
Wo sehen Sie sich persönlich als Politikerin in zehn Jahren?
In erster Linie bin ich mal Juristin. Das habe ich ganz bewusst studiert, weil das seit der Grundschule mein Berufswunsch gewesen ist. Mit der Politik das kam alles immer ungeplant. Ich bin nicht in die SPD eingetreten, um im Stadtrat zu sitzen oder Parteivorsitzende zu werden. Ich lass das alles auf mich zukommen und bin bisher damit ganz gut gefahren.