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UrteilLeverkusener ist „gefährlich für die Allgemeinheit“

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Landgericht Köln mit Straßenschild Am Justizzentrum.

Am Kölner Landgericht wurde am Freitag das Urteil über einen schwer psychisch kranken Mann gesprochen.

Der 60-Jährige leidet seit Jahrzehnten unter einer Psychose. Zuletzt griff er immer wieder harmlose Passanten an.

Mal nahm er eine Verkäuferin bei Rossmann in den Schwitzkasten, mal attackierte er eine Angestellte bei Aldi, nachdem sie es nicht durchgehen lassen wollte, dass er die Dose Bier einfach so mitnahm. Dann traf es eine Frau, die mit dem Hund unterwegs war und eine am Marktstand. Dort flog ein Glas, in dem eben noch Fischsuppe war. Keine Frage: Der 60 Jahre alte Mann ist ein unangenehmer Zeitgenosse, ein „Krawallbruder“. 14 Taten, die sich zwischen Februar 2022 und März 2023 zugetragen hatten, musste die 14. Große Strafkammer des Kölner Landgerichts nun bewerten.

„Wir haben versucht, uns ein umfassendes Bild zu machen“, sagt am Freitag Ralph Ernst, der Vorsitzende Richter. Dazu gehört, dass der Mann zuletzt offenbar immer mehr abgerutscht war. Der Tod seiner Mutter muss ihn noch labiler gemacht und seine Wohnung schlimm ausgesehen haben. Der Vermieter habe da nicht mehr mitspielen wollen, weiß der Richter. Wäre der 60-Jährige auch noch obdachlos geworden – für ihn eine schlechte Perspektive, aber auch für die Allgemeinheit. Davon ist das Gericht überzeugt, nachdem im Prozess Frank Sandlos vom forensischen Institut Essen seine Einschätzung in den Strafprozess wegen gefährlicher und versuchter Körperverletzung eingebracht hatte.

Seit Jahrzehnten schizophren

Paranoide Schizophrenie lautet die Diagnose, und das seit den 80er Jahren. Der Angeklagte hatte zwischendurch harte Drogen konsumiert, war in einem Substitutionsprogramm. „Diese Sucht haben Sie in den Griff bekommen“, so Richter Ernst anerkennend. Aber bis heute trinkt der Mann regelmäßig. Und wenn er irgendwo an Amphetamine, Kokain der Cannabis kommt, greift er zu. Weiterhin. Das, so hatte der psychiatrische Gutachter erklärt, mache es fast unmöglich, den Mann mit Medikamenten so einzustellen, dass er Andere nicht gefährdet. Leute, „die nur ihren Job machen“, betont Ernst.

Eine Frau, die unversehens angegriffen wurde, als sie mit ihrem Hund raus war, habe noch heute Angst, daran erinnert der Richter. Obwohl sie weiß, dass ihr Angreifer längst in einer geschlossenen Klinik ist. „Das sind keine Bagatelldelikte“, so Ernst. Kein Zweifel besteht aber daran, dass der Beschuldigte sich wegen seiner schweren Krankheit nicht unter Kontrolle hatte, als er Mitmenschen scheinbar wahllos attackierte.

„Alles Lügen“, hieß es zu den Vorwürfen

Dass er Vieles komplett anders sieht, war zu Beginn des Prozesses in Köln klar geworden: „Alles Lügen“, das war sein Kommentar zu den 14 Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Konfrontiert mit Zeugenaussagen und Video-Aufzeichnungen von Aldi und Rossmann relativierte sich das. Aber es blieb eine ganz eigene Sicht der Dinge – was offenkundig an seiner Krankheit liegt. Mit der hat er sich vielleicht nicht komplett arrangiert. Aber inzwischen „fühle ich mich gut in der Klinik“, das ist die Haltung des 60-Jährigen.

Und er hat Hoffnung, dass es wieder besser wird, wenn er zunächst dort bleibt. So wie zwischen Februar 2022 und März vorigen Jahres kann es jedenfalls nicht weitergehen, das weiß er: Als Ralph Ernst zusammenfasst, „Sie sind für die Allgemeinheit gefährlich gewesen“, nickt der Angeklagte.

Deshalb bleibt er bis auf Weiteres in einer geschlossen psychiatrischen Klinik. Dort, so die Hoffnung, kann er so stabilisiert werden, dass er mit Betreuung normal weiterleben kann. „Vier, fünf Jahre“ werde das wohl dauern, gibt Richter Ernst die Prognose des Gutachters wieder. Tatsächlich wird jedes Jahr überprüft, ob die Unterbringung noch angemessen ist. Klar ist aber auch, so Ernst: „Sie werden Ihr Leben lang Tabletten nehmen müssen.“