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Verhandlung am LandgerichtIndem er sich tot stellte, rettete der Leverkusener sein Leben

Lesezeit 4 Minuten
Landgericht Köln, Prozessauftakt gegen einen mutmaßlichen Messerstecher Tufan Demir, der einen Mann in Rheindorf am 4.6.2023  mit 26 Messerstichen fast getötet hat.Mit Verteidiger Mustafa Kaplan  Foto: Ralf Krieger

Landgericht Köln, ein Bild vom Prozessauftakt gegen einen mutmaßlichen Messerstecher, der einen Mann in Rheindorf am 4.6.2023 mit 26 Messerstichen fast getötet hat. Mit dem Verteidiger Mustafa Kaplan.

Der Mann, der im Juni 2023 aus heiterem Himmel in Rheindorf mit 26 Messerstichen fast getötet wurde, sagte im Landgericht als Zeuge aus.

Der Hobbyornithologe hatte davon gehört, dass sich in den Gebüschen in der Gegend zwischen der Solinger Straße, der Wupper und der Eisenbahnlinie in Rheindorf ein Vogel aufhalten sollte, den man nur besonders selten vor die Kamera bekommt. Am Abend des 4. Juni 2023 fuhr er mit seinem Fotoapparat auf dem Fahrrad in die Gegend, um sein Glück versuchen, ihn zu fotografieren. Um 20.30 fand er statt des Vogels fast den Tod, denn während der 44-jährige Leverkusener ins Gebüsch fotografierte, näherte sich auf einem Feldweg der Täter, der 38-jährige Frechener Sinan D. (Name geändert).

Der habe ihn erst nach Zigaretten gefragt, sagt der Fotograf, wie in einem Smalltalk, gar nicht unfreundlich oder aggressiv, habe der noch gesagt: „Was machst du denn da?“ „Ich wollte ihm das erklären und ihm Bilder auf der Kamera zeigen“, dann hätten Ausdruck und Körperhaltung des Fremden ohne jede Vorwarnung Aggression angezeigt. „Komm her, du“, habe er gesagt.

Der Angreifer stach zu, ohne auf eine Antwort zu warten

In Panik geriet der Leverkusener nicht, er fasste im Gegenteil einen klaren Gedanken: „Ich dachte, es geht ihm um meine Wertsachen, die Kamera“, er bot ihm an, er könne sie haben. Aber dafür interessierte sich der Angreifer offenbar nicht. Fast in der gleichen Sekunde habe er mit einem Messer auf den Fotografen eingestochen. Erst der zweite Stich traf den Hals des überraschten Fotografen, zum Glück wohl nicht die Schlagader, dafür die Luftröhre. Beim Atmen sei die Luft aus der Wunde gepfiffen, wie man das von einem Luftröhrenschnitt kenne, erinnert sich der Leverkusener.

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Ich habe mich tot gestellt, was man in so einer Situation so macht
Der Zeuge und Geschädigte

Während der Angegriffene die Hand schützend vors Gesicht hielt, machte der Angreifer weiter. Noch fünfmal stieß er das Messer in den Oberkörper des Leverkuseners, dann ging der zu Boden. Der Angreifer kam hinterher: Der habe einfach weitergemacht, den am Boden Liegenden stach er noch zehn bis 15 Mal in den Körper, verletzte auch einen Lungenflügel.

Er habe dahin gestochen, wo er hinkam, sagte der Zeuge, das Gesicht habe er mit den Armen geschützt, die Arme seien unverletzt geblieben. „Ich habe das alles bewusst mitbekommen“, sagt der Fotograf. Er schildert diesen unglaublichen Moment im Gerichtssaal klar, er wirkt aufgeräumt. Dass er sich in akuter Todesgefahr befand, sei ihm vollkommen klar gewesen: „Er wollte mich töten.“ Dann handelte der Leverkusen wohl instinktiv: „Ich habe mich tot gestellt, was man in so einer Situation so macht.“ Noch fünfmal soll der Angreifer danach noch auf den Mann am Boden eingestochen haben, dann habe sich der Angreifer entfernt, nicht eilig.

Die Wertsachen interessierten den Angreifer nicht. Auch das Handy in der Hosentasche des Verletzten nahm er nicht an sich – und das rettete das Leben des Mannes, der im Feld lag und aus 26 Wunden blutete.

Leverkusen: Ganz knapp entkam der Fotograf dem Tod

Der Fotograf blieb bei Bewusstsein: Die Zeit, bis die ersten Polizistinnen nach 20 Minuten bei ihm waren, muss ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen sein. „Ich wurde abgestochen“, dieser Satz wurde bei der Notrufleitstelle dokumentiert. Zu erklären, wo er im Feld lag, sei nicht einfach gewesen. Die Frau in der Leitstelle habe ihn die ganze Zeit wach gehalten und ihm den Hinweis gegeben, die Wunden fest zuzuhalten. Als die Polizistinnen und später der Notarzt vor Ort waren, verlor er das Bewusstsein. Vier Tage lag er im Koma. Er erlitt sogar einen Herzstillstand und wurde wiederbelebt. In der Folgezeit: Alpträume, einmal sei er aus dem Bett gefallen, als er eine Flucht geträumt habe.

Dank psychologischer Hilfe gehe es ihm heute gut: „Das ist verwunderlich für alle.“ Der Mann geht heute sogar wieder seinem Hobby Vogelbeobachtung mit der Kamera nach, wenn auch ein ungutes Gefühl geblieben sei. Und er müsse sich seither ständig umschauen. Der Angreifer konnte zwar schnell gefasst werden, der Haftrichter ließ Sinan D. aber am Folgetag frei. Erst am 24. Oktober 2023 erließ ein Richter einen neuen Haftbefehl. Danach dauerte es fast fünf Monate, bis der Deutschtürke wieder in Untersuchungshaft genommen werden konnte. Das, sagt der Mann, der den Angriff fast nicht überlebt hat, sei für ihn extrem belastend gewesen.

Ob er sich gefragt habe, warum der Angriff überhaupt geschehen sei, will Richterin Sabine Grobecker von dem Leverkusener wissen. Natürlich habe er sich Gedanken gemacht: „Bei ihm kann nur was nicht in Ordnung sein. Ich habe ja nicht mal versucht, mich zu verteidigen.“