Gelsenkirchen – Wer Jim Knopf und sein Freund Lukas sind, weiß von den potenziellen Lokführeranwärtern an diesem Tag niemand. Die Nachfrage nach den beiden Helden der Kinderliteratur, die jahrzehntelang kleine Jungs vom Lokführerberuf haben träumen lassen, löst nur Achselzucken aus.
Kein Wunder: Die rund ein Dutzend Männer, die zum Infotag für Triebfahrzeugführer nach Gelsenkirchen gekommen sind, stammen aus Syrien, einzelne aus dem Irak und Marokko. Sie gehören zur nun verstärkt ins Visier genommenen arabischsprachigen Zielgruppe: Sie sollen helfen die Fachkräftelücke zu füllen, die bereits klafft und die noch größer werden dürfte.
Angebot und Nachfrage
Zwar hat die Branche laut Bündnis „Allianz pro Schiene“ zuletzt bundesweit so viele Lokführer dazugewonnen wie selten. Doch gebe es keinen Beruf bei dem Angebot und Nachfrage soweit auseinandergingen: Auf 100 offene Lokführerstellen kommen derzeit nur 23 Bewerber.
Die Situation hat in NRW sogar die Konkurrenz enger zusammenrücken lassen: Zehn Eisenbahnunternehmen, darunter alle großen im Nahverkehr, entwickeln als Gemeinschaftsinitiative „Fokus Bahn NRW“ Strategien zur Rekrutierung und Ausbildung.
Quereinsteiger
„700 Lokführer werden in den kommenden fünf Jahren im NRW-Nahverkehr gesucht“, sagt Initiativen-Sprecherin Barbara Tünnemann. Die Hoffnung ruht nun auf Quereinsteigern, etwa Frauen die nach der Elternzeit wieder arbeiten möchten. Oder eben auf arbeitssuchenden Migranten und Flüchtlingen.
Auch andere Verkehrsunternehmen werben längst um diese Gruppe: Die Deutsche Bahn hat in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben mehr als 400 Plätze zur Qualifikation von Geflüchteten angeboten - bislang vor allem im gewerblich-technischen Bereich, zum Beispiel als Gleisbauer oder Mechatroniker.
Kurse für Lokführer
Lokführerkurse für Flüchtlinge seien für 2020 in Planung. Die Kölner Verkehrsbetriebe beispielsweise haben gerade erst neun Männer in einem Kurs nur für Geflüchtete zum Busfahrer ausgebildet und direkt fest eingestellt. In Baden-Württemberg ist bereits ein vom Land gefördertes Lokführerprogramm für Flüchtlinge gestartet.
„Fokus Bahn NRW“ zieht nach und will gemeinsam mit dem Bildungsträger SBH West einen Kurs nur für Quereinsteiger auflegen, die aus Syrien oder arabischsprachigen Ländern stammen. „Wenn das Erfolg hat, geht es natürlich weiter“, sagt Tünnemann. Ein vorangestellter Spezial-Sprachkurs soll die wohl größte Hürde für die Bewerber abbauen: „Eisenbahner-Deutsch ist voll von Fachbegriffen, die selbst für Muttersprachler schwierig sind“, sagt Claudia Strobel.
Die Voraussetzungen
Die Projektverantwortliche bei SBH West spricht an diesem Infotag vor den Interessenten. Strobel müht sich, den „Beruf mit sicherer Zukunft“ in ein attraktives Licht zu rücken ohne den Weg dorthin und die Tätigkeit wie einen Spaziergang wirken zu lassen. Rund 400 Eisenbahnunternehmen gebe es bundesweit, „unnötig zu sagen, dass die alle ganz, ganz dringlich auf der Suche nach Lokführern sind“, sagt sie an ihre Zuhörer gerichtet.
Ein Job mit hoher Verantwortung warte, einer der nach 15-monatiger Ausbildung und anspruchsvollen Prüfungen eine sichere und gut bezahlte Anstellung verspreche. Belastbarkeit, Teamgeist und Schichtdienstbereitschaft jedoch vorausgesetzt.
Viele Interessierte
Die Interessenten hören aufmerksam zu, stellen ihrem Landsmann, der als langjähriger Lokführer von seinen Erfahrungen berichtet, viele Fragen. Zahlreiche der Männer im Raum sind bereits vor einigen Jahren gekommen und haben seither beruflich nicht richtig Fuß fassen können.
Der 30-Jährige Muohsien Alhamada will endlich sicheres Geld verdienen, nachdem er immer wieder für Leiharbeitsfirmen zum Mindestlohn tätig war. „In Syrien habe ich fast vier Jahre Landwirtschaft studiert. Doch hier muss ich noch mal ganz von vorne anfangen“, sagt er. „Ich möchte meiner Familie hier ein sicheres Leben ermöglichen“, ist ein weiterer viel gehörter Satz an diesem Vormittag.
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Die meisten Anwärter haben in ihren Heimatländern bereits Berufe gelernt und ausgeübt - manche jahrelang, berichtet „Fokus Bahn NRW“-Sprecherin Tünnemann. Doch weil sie Zeugnisse zurücklassen mussten, Sprachkenntnisse fehlen oder die Qualifizierungen nicht anerkannt werden, orientieren sie sich um.
Hazem Mousli zum Beispiel hat 15 Jahre für die Hilfsorganisation „Roter Halbmond“ als Manager gearbeitet. „Ein Mitarbeiter im Jobcenter hat mir gesagt: „Denken Sie nicht, dass Sie hier als Manager arbeiten können““. Nun hofft er auf eine Chance als Lokführer. Sein Landsmann Firass Alshami, gelernter Optiker und Hörgeräte-Akustiker sagt: „Ich bin gerne unterwegs. Da wäre Lokführer doch eine interessante Perspektive.“ (dpa/lnw)