AboAbonnieren

NRW-Ministerin Sylvia Löhrmann„Der Braunkohle-Ausstieg muss in den Koalitionsvertrag“

Lesezeit 4 Minuten
Braunkohle

Tagebau Garzweiler

Frau Ministerin, das Jahr 2017 mit Wahlen im Bund und in NRW naht. Hat Winfried Kretschmann es den Grünen nun vorgemacht: Es zählt die Person mehr als das Programm?

Das ist ja kein Entweder-Oder. Wir brauchen ein gutes Programm, und wenn Personen diese Ziele und Inhalte glaubwürdig vertreten – umso besser.

Sylvia Löhrmann

Das wird natürlich noch verstärkt durch die unübersichtliche politische Gemengelage. Das gilt für alle Parteien. Aber klar ist auch: Unsere Wähler, unser Klientel schaut schon noch einmal besonders auf unsere Inhalte. Die Grünen sind eine Programmpartei.

Mit oder ohne Doppelspitze, die ihr Wahlsieger Kretschmann nun eine „Schönwetterveranstaltung“nennt?

Im Bund ist die Doppelspitze gesetzt. Aber der Blick in die Landesverbände zeigt, das Bild ist nicht schwarz-weiß, sondern bunt – und das ist gut so. Klar aber ist auch, an der Quotierung wird nicht gerüttelt.

Die Bundesvorsitzende Simone Peter hat gefordert, die Grünen müssten in neue Wählergruppen vorstoßen. Welche meint sie da?

Wir haben interessante Zugänge zu Selbstständigen, zu kleinen Start-ups. Wir haben gute Beziehungen zu Handwerksbetrieben, die die Energiewende mitgestalten. Und wir haben eine starke Verankerung in kirchlichen Milieus, wo ich auch noch Wachstumspotenzial ausmache. Gerade in der Flüchtlingsfrage schauen diese Kreise sehr genau, welche Partei da human, glaubwürdig und verantwortlich agiert.

Thema Sicherheit und Vorstandswahlen

Auf dem Parteitag der NRW-Grünen am Wochenende in Neuss ist die innere Sicherheit ein Schwerpunkt der Beratungen. In einem Leitantrag fordert die Partei hohe Hürden für die Ausrüstung der Polizei mit Schulterkameras. Sven Lehmann und Mona Neubaur wollen als Parteivorsitzende bestätigt werden. In jüngsten Wählerumfragen hatte sich die AfD vor die Grünen auf Platz 3 geschoben. Rot-Grün bekäme demnach keine Mehrheit in NRW. Sylvia Löhrmann (59) ist seit 1985 Mitglied der Grünen. Die Englisch- und Deutschlehrerin ist seit 2010 Schulministerin. (ksta)

Generell scheint die Entwicklung doch genau in die andere Richtung zu gehen: Nationalismus, Egoismus, Fremdenfeindlichkeit … 

Auch hier lohnt sich der Blick in die Details. Es gibt nicht nur die Proteste, es gibt auch große Hilfe. Unsere Aufgabe als Politiker besteht darin, diesen guten Willen, die Hilfsbereitschaft, in Strukturen zu lenken und zu festigen. Natürlich gibt es die genannten Problemlagen, aber wir können doch auf immer komplexeren Lösungswegen nicht in Populismen oder Symboldebatten verfallen. Konkret zum Beispiel auf die Flüchtlingskrise gemünzt, sagen wir Grüne: mehr Merkel, weniger Seehofer. Demokratie ist anstrengender und komplizierter geworden.

Diese komplizierte Welt könnten Sie ja als Spitzenkandidatin der NRW-Grünen 2017 erklären. Interesse?

Ich bin stellvertretende Ministerpräsidentin, Ministerin, Mitglied des Grünen-Parteirats – in aller Bescheidenheit, ich werde in der NRW- und Bundestagswahl eine wichtige Rolle spielen. Und ich werde mit all meiner Kraft, Energie und Leidenschaft dafür kämpfen, dass wir gute Ergebnisse erzielen, da können Sie sicher sein.

Noch mal: Löhrmann wird Spitzenkandidatin?

Netter Versuch: Die Listenaufstellung findet im September auf einem Parteitag statt.

Die NRW-Grünen verschließen sich keinem Koalitionspartner – mal abgesehen von der AfD?

Immer diese Farbenspiele. Erstens: Keine Ausschließeritis – das ist in NRW schon länger unser Credo. Und zweitens: Hätten Sie vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gedacht, Schwarz-Rot-Grün würden eine Regierung bilden? Zuerst kommen die Wahlen, dann die Sondierungen, dann die Koalitionsbildung, alles entlang unserer Inhalte. Regierungshandeln ist nicht abstrakt, sondern konkret. Und in NRW ist ja auch Rot-Grün wieder möglich.

Wobei die Wirtschaftsbilanz ihrer Regierung nicht gerade Jubelstürme entfacht. Was dabei auffällt: Rot-Grün sucht die Schuld vor allem bei anderen, etwa beim schwächeren Wachstum in China oder kommt mit dem Dauerargument Strukturwandel …

Bitte differenzierter. Wir haben gute Entwicklungen auf den Weg gebracht: Nehmen Sie die Umwelt- und Gesundheitswirtschaft. Auch im Bereich des Digitalen sind wir im Ländervergleich ganz ordentlich aufgestellt, wie uns der Chef der Telekom-Stiftung und EU-Kommissar Öttinger bestätigen. Natürlich ist die Strukturschwäche, das Festhalten an alten Industrien, ein Bremsklotz für die Entwicklung in anderen Bereichen. Das ist ein Arbeitsfeld, das wir intensiv beackern werden.

Das ist aber doch nicht neu?

Nein, natürlich nicht, wirtschaftliche Entwicklungsprozesse orientieren sich doch nicht an Legislaturperioden. Wir haben ja Dinge angestoßen, etwa in der Umweltwirtschaft. Im Wahlkampf wird der Strukturwandel weiter einen breiten Raum einnehmen. Wir müssen die Weichen stärker Richtung Zukunft stellen. Das heißt: sozialpolitisch abgefederter und zwischen allen Beteiligten abgestimmter Ausstieg aus der nicht mehr zukunftsfähigen Braunkohle-Technologie – so, wie das auch bei der Steinkohle gelungen ist.

Und das heißt für einen möglichen Regierungspartner der NRW-Grünen …

… dass der Ausstieg aus der Braunkohle Baustein eines Koalitionsvertrages sein muss.

Das Gespräch führten Thomas Geisen und Fabian Klask