Oberberg – Mittendrin war Harald Elster als Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes. In der Reihe „Alles was Recht ist“ sprach Frank Klemmer mit ihm über Bierdeckel, die Entschuldigung eines Ministers und ein viel zu schlechtes Image.
Warum hören Sie als Präsident des Steuerberaterverbandes auf?
Insgesamt war ich ein Vierteljahrhundert im Vorstand des Steuerberater-Verbandes Köln, auf Bundesebene zwölf Jahre. Dazu vertrete ich den Verband nicht nur national, sondern auch in Europa. Daneben war ich mehrere Jahre Vizepräsident des Bundesverbandes der Freien Berufe. Irgendwann muss man sagen: Jetzt ist es gut. Ich habe von Anfang an gesagt, wie lange ich das Amt ausüben werde, wenn ich gewählt werde. Diese Zeit geht jetzt in Hannover zu Ende.
Wie hat sich in den Jahrzehnten Ihr Beruf verändert?
Als ich angefangen habe, war der Steuerberaterberuf mehr eine verlängerte Werkbank der Unternehmen. Es wurde Buchhaltung gemacht, es wurden Lohn- und Gehaltsabrechnungen gemacht, Jahresabschlüsse und Steuererklärungen. Damit war man zufrieden und glücklich.
Und heute? Was ist anders?
Heute müssen – und das ist ganz besonders zuletzt durch die Pandemie so gekommen – deutlich mehr Beratungsleistungen erbracht werden. Die Buchhaltung ist nur das Abfallprodukt dessen, was die Unternehmen zur Verfügung stellen. Zur Aufstellung eines Jahresabschlusses sind wir als Organ der Steuerrechtspflege verpflichtet. Aber heute steht die permanente betriebswirtschaftliche Beratung der Unternehmen im Vordergrund. Daneben müssen Anträge auf Überbrückungshilfe, November und Dezemberhilfe, Begleitung bei Kreditanträgen gestellt und bearbeitet werden. Nur mit unserer Begleitung haben viele Unternehmen eine Chance, durch die Pandemie zu kommen.
Harald Elster (68)
wurde in Morsbach geboren. Bis 1985 arbeitete er als kaufmännischer Leiter eines mittelständischen Unternehmens. Seit 1982 ist er Steuerberater, seit 1986 Wirtschaftsprüfer und er hat eine eigene Kanzlei. Seit 2005 ist er in der Sozietät Elster & Dr. Dietrich in Reichshof. Zudem hat er eine Kanzlei in Lüdenscheid.
Seit 2013 war Elster acht Jahre Präsident und vorher vier Jahre lang Vizepräsident des Bundesverbandes. Am Wochenende wird bei einer Delegiertenversammlung aller 16 Landesverbände in Hannover sein Nachfolger gewählt. Zudem war er von 2013 bis 2017 Vizepräsident des Bundesverbandes der Freien Berufe. Im Kölner Verband war er 13 Jahre Präsident, zuvor acht Jahre Vizepräsident, davor vier Jahre Vorstandsmitglied als Bezirksvorsitzender für Oberberg.
Und die Digitalisierung?
Die spielt eine ganz entscheidende Rolle. Es muss viel mehr online abgewickelt werden. Wir greifen auf Bankkonten und auf Finanzamtsdaten elektronisch zu. Das alles war, als ich angefangen habe, natürlich undenkbar. So sind wir auch die Berater der Unternehmen, was die digitale Welt betrifft.
Was ändert das am Beruf?
Es verändert ganz massiv die Qualifizierung in unseren Kanzleien. Auch wir brauchen heute Mitarbeiter, die in der digitalen Welt zu Hause sind. Wir müssen Kanzleien umstellen: weg von der manuellen Arbeit, hin zur digitalen Verarbeitung und Aufbereitung von Daten.
In die Jahrzehnte fällt auch die Idee der Steuererklärung auf dem Bierdeckel. Wie wichtig ist für Steuerberater eine Vereinfachung des Steuerrechts? Oder wäre es geschäftsschädigend, weil viele ihre Steuer dann selbst machen?
Es gibt von mir 94 Vorschläge zur Vereinfachung, die schon bei Wolfgang Schäuble als Finanzminister und auch bei Olaf Scholz vorgelegt wurden. Ja, der Normalbürger und der normale Unternehmer kommen mit dem Steuerrecht nicht zurecht. Sie brauchen auch für kleinste Steuererklärungen Hilfestellungen. Das fängt schon bei Vermietung und Verpachtung an. Oder nehmen Sie die Diskussion über die Besteuerung von Renteneinkünften und das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichtes: Woher soll ein normaler Steuerpflichtiger wissen, mit welchen Werten er in seine Steuererklärung reingeht? Und nicht alles, was man dazu im Internet über Google findet, muss hundertprozentig richtig sein. Die Idee einer Steuererklärung auf einem „Bierdeckel“ hatte von Friedrich Merz mehr einen bildlichen Ansatz. Er wollte zum Ausdruck bringen, dass das Steuerrecht deutlich vereinfacht werden müsste und von Jedermann anwendbar sein sollte.
Warum tut sich der Gesetzgeber so schwer, im Steuerrecht den großen Wurf zu wagen?
(lächelt) Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe neulich mit Ralf Brinkhaus, dem Vorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion und von Hause aus selbst Steuerberater, darüber gesprochen. Auch er sagt: Wir müssen zu einer großen Lösung kommen. Ja, das ist richtig. Aber die gegenseitigen Interessen, wer welchen Bonus bekommt, verhindert das. Natürlich bin auch ich Lobbyist, wenn ich Vereinfachungen fordere, von denen dann aber nur Unternehmen profitieren. Denken Sie an die FDP und den Umsatzsteuersatz für Hoteliers: Ich habe damals in mehreren Gesprächen mit Christian Lindner deutlich darauf hingewiesen, dass das Klientelpolitik ist. Das darf einfach nicht sein. An so etwas scheitert der große Wurf.
Sie sagten, der Steuerberater sei Beobachter und Ratgeber. Wie sehen Sie als Beobachter und Ratgeber die Auswirkungen von Corona in Oberberg?
Wir müssen trennen zwischen Einzelhandel und Gastronomie einerseits, die besonders hart getroffen wurden, und der verarbeitenden Industrie oder dem Handwerk, gerade hier im Oberbergischen, und Freiberuflern wie Mediziner, aber auch uns Steuerberater andererseits. Manche Bereiche in der Industrie wie die Hersteller von Tapeten und die Handwerker haben sogar von der Krise profitiert, weil immer weiter saniert wurde. Wir Steuerberater sind vom Wirtschaftsministerium gefragt worden, ob wir bereit sind, bei der Beantragung der Corona-Hilfen zur Seite zu stehen. Meine Antwort an Minister Peter Altmaier war ein klares Ja. Aber wir bekommen natürlich hautnah mit, was im Einzelhandel und in der Gastronomie passiert. Die leiden massiv unter den Lockdowns. Ein Abholservice kann nie ersetzen, was ein volles Restaurant an Umsatz schafft. Und im Einzelhandel denke ich vor allem an die Bekleidungsbranche: Die haben immer noch die Sommerware vom letzten Jahr auf dem Lager, weil sie die nicht verkauft haben, und die haben die Winterware auf dem Lager, weil sie die auch nicht verkauft haben. Da geht es trotz aller Hilfen an die Existenz. Und es ist viel Bargeld und Vermögen aufgebraucht worden. Diese notwendige und gesamte Unterstützung der Unternehmen belastet den Büroablauf in unseren Büros erheblich. Dies wird aber gerne zum Erhalt der Unternehmen gemacht.
Hat die November- und Dezember-Hilfe nicht geholfen?
Doch, das hat ein bisschen aufgefangen. Ich meine sogar, dass die 75 Prozent zu hoch waren. Wenn ich den Wareneinsatz in der Gastronomie nehme, liegt der fast immer bei 30 Prozent, bei manchen Restaurants sogar bei 50 Prozent. Die Kosten, die gespart wurden, sind also größer als der angenommene Verlust, der ausgeglichen wurde. Insoweit war die Hilfe eine massive Unterstützung in der Krise.
Gibt es für Sie ein Patentrezept im Umgang mit der Krise?
Es lässt sich feststellen, dass die am besten durch die Krise kommen, die ihre Gewinne im Unternehmen haben stehen lassen und nicht an die Anteilseigner ausgekehrt haben. Das stützt ihre Liquidität. Das muss man aber auch können. Das Problem bei den Hilfen im Sommer 2020 war, dass der Unternehmer daraus nicht seinen Lebensunterhalt, seine private Krankenversicherung und seine private Altersvorsorge bezahlen durfte, obwohl er das muss. Dasselbe galt für die Tilgung von Darlehen, die der Unternehmer für Investitionen aufgenommen hatte.
Woran hat es gehakt?
Man muss auch Verständnis haben: Die Hilfsprogramme wurden von jetzt auf gleich entwickelt. Da hat sich schon mal ein Bundesminister nach einer Ministerpräsidentenkonferenz bei mir entschuldigt, weil etwas beschlossen wurde, ohne die Fachabteilung einzubinden. Wenn man weiß, dass an Telefonkonferenzen, bei denen Entscheidungen vorbereitet werden, zwischen 95 und 110 Personen teilnehmen, kann man sich vorstellen, dass das passiert. Ich hatte einen Vizepräsidenten des Verbandes entsandt, er war der einzige Steuerberater. Dann fehlt die Erfahrung aus der Praxis. Dennoch ist es aber sehr schnell gegangen. Deutschland ist das einzige Land, das solche Maßnahmen auf die Beine gestellt hat. Ohne sie wären viele in die Insolvenz gegangen.
Wenn man Sie hört, merkt man, dass Sie gerade noch voll im Geschäft waren. Wie schwer fällt es, Abschied zu nehmen?
Gar nicht so schwer. Ich bin im Jahr etwa 120 bis 150 Mal zwischen Köln/Bonn und Berlin oder anderen deutschen Städten hin- und hergependelt – mit dem Flieger oder der Bahn. (schmunzelt) Würden die Kurzstreckenflüge abgeschafft, hätte das schon dramatisch Konsequenzen für mich gehabt. Ich fahre auch mit dem Zug, aber das ist nicht immer ganz so einfach. Für mich war es immer wichtig, morgens mit der ersten Maschine in Berlin zu sein, mindestens zweimal die Woche, weil früh die ersten Besprechungen im Reichstag, in den Ministerien oder bei anderen Organisationen beginnen. Jede zweite Woche war ich in Brüssel. Das war mir wichtig, denn zum Schluss können Sie nur in persönlichen Gesprächen mit den Verantwortlichen Vertraulichkeit herbeiführen.
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Aber wenn man wie ich 68 ist, ist man schon froh, dass Ganze bald aus der Distanz beobachten zu können. Als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in Reichshof und Lüdenscheid, wo wir Mandate nicht nur bundesweit, sondern auch in Europa und den USA haben, mache ich ja weiter. Ich muss mich aber auch bei meiner Familie und meiner Ehefrau bedanken. Sie hat durch die viele Abwesenheit auf viel verzichten müssen. Auch bei meinem Partner Dr. Dietrich und meinen Mitarbeitern bedanke ich mich für die Unterstützung.
Wenn Sie jemand fragt, warum er Steuerberater werden soll: Was antworten Sie?
Früher hieß es: Du kommst in einen sicheren Beruf und hast immer Arbeit. Ich sehe das anders. Vielleicht weil ich aus der Industrie komme. Ich finde, das Schöne ist, dass wir uns in Entscheidungen der Unternehmen einbringen können – egal ob Investitionen, Personal, Produktentscheidungen oder aktuell in die Umsetzung der Digitalisierung. Wir haben nicht nur eine Verantwortung für den Unternehmer, sondern auch für die Mitarbeiter und das soziale Umfeld.
Das klingt wie ein Manager . . .
Stimmt. Wir sind neben dem Unternehmer ein weiterer Unternehmer. Wir müssen wissen, was in dem Unternehmen passiert. Die Steuer ist also mehr ein Abfallprodukt der Beratungsleistung, die wir erbringen. Ich sage immer: Ich bin der Pastor. Ich weiß als Erster, wenn in einer Unternehmerfamilie irgendwo etwas anzubrennen beginnt.
Das Image ist ein anderes: Steuerberater suchen Schlupflöcher. Ist das fair?
Nein, das ist nicht ganz fair. Wie überall gibt es auch bei uns ein paar schwarze Schafe. Bei Cum-Ex zum Beispiel habe ich immer gesagt: Das ist Steuerhinterziehung. Da war aber auch nur ein einziger Steuerberater beteiligt. Ja, wir sind bisher nicht unter den angesehensten Berufen, anders als zum Beispiel Ärzte. Ich hoffe, dass das durch unsere Unterstützung in der Pandemie besser wird. Denn schließlich stellen wir sicher, dass der Steuerpflichtige seine Rechte gegenüber dem Staat auch bekommt.