Pflichtschulungen und Fortbildungen gehören zum Präventionskonzept des Evangelischen Kirchenkreises An der Agger gegen sexualisierte Gewalt.
Sexualisierte GewaltIn Oberberg trägt die Präventionsarbeit bereits Früchte
Die Umarmung mag herzlich gemeint sein, das Schulterklopfen lobend: Doch ist eine solche Geste überhaupt willkommen? Verletzt sie bereits die Grenze des persönlichen Wohlbefindens? Auch solche Berührungen im Alltag sind ein großes Thema, wenn der Evangelische Kirchenkreis An der Agger zu Schulungen einlädt, um sowohl hauptberuflich Tätige als auch ehrenamtlich Engagierte dafür zu sensibilisieren, was in Ordnung ist und was eben nicht. Diese Schulungen sind Pflicht – und sie sind Teil eines Schutzkonzepts gegen sexualisierte Gewalt, das der Kirchenkreis 2021 nach gesetzlichem Auftrag erstellt hat und seither fortwährend überarbeitet.
Fast 2200 Menschen arbeiten in Oberberg bei der Evangelischen Kirche, sowohl im Hauptberuf als auch im Ehrenamt
Rund 650 Menschen haben ihren Arbeitsplatz beim Kirchenkreis oder in den 22 Gemeinden, diese haben zudem eigene Konzepte entwickelt. Die Zahl der Ehrenamtlichen beziffert Sprecherin Judith Thies auf etwa 1500. „Allein im vergangenen Jahr haben mehr als 570 Oberbergerinnen und Oberberger diese Präventionsschulungen absolviert“, sagt Thies. Sechs, bald acht Beraterinnen und Berater führen sie aus, beheimatet ist die zuständige Fachstelle unter dem Dach des „Hauses für Alle“, der Beratungsstelle für Erziehungs-, Familien-, Ehe- und Lebensfragen in Waldbröl-Isengarten.
„Dass die Schulungen Früchte tragen, merken wir nicht zuletzt daran, dass sich die Teilnehmenden später auch im Privaten, in der Schule etwa oder im Verein, damit beschäftigen und Gelerntes anwenden“, berichtet Melina Kyranoudis, eine der Schulungsleiterinnen.
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In Waldbröl lernen die Teilnehmenden nicht nur die Grenzen anderer Menschen kennen, sondern auch die eigenen
So geht es in diesen Kursen ebenso um Grenzverletzungen, eben die ungewollte Umarmung oder das Schulterklopfen, wie um Übergriffe und schließlich auch Straftaten, die mit einer Anzeige enden können. Kyranoudis: „Tut jemand etwas mit Absicht, also mit vollem Bewusstsein, und obwohl er vielleicht weiß, dass sein Gegenüber genau das nicht möchte, dann sprechen wir von einem Übergriff.“ Doch gehe es nicht nur darum, die Grenzen anderer einzuschätzen und zu respektieren, sondern auch die eigenen kennenzulernen.
Neben den Basisschulungen gibt es aufbauende Intensivkurse und Schulungen für Beschäftigte mit Personalverantwortung, Presbyterinnen und Presbyter etwa. Und jede Schulung muss nach einer gewissen Frist von drei oder fünf Jahren dann wiederholt werden. Als zusätzlichen Arbeitsauftrag will Dunja Kutzschbach, Leiterin des „Hauses für Alle“, dies nicht verstanden wissen: „Kirche soll ein sicherer Ort sein, an dem der Umgang ein achtsamer ist.“
Jeder Vorfall sexualisierter Gewalt ist meldepflichtig. Wird ein Fall bekannt, so rät der Kirchenkreis dazu, zunächst eine unabhängige, von der Kirche distanzierte Vertrauensstelle aufzusuchen, in Oberberg ist das der Gummersbacher Verein „nina + nico“. Auch landen solche Fälle beim Interventionsteam des Kirchenkreises, dem auch Kutzschbach angehört. Bei schwerer wiegenden Vorfällen wird dann die Meldestelle der Evangelischen Kirche im Rheinland eingeschaltet.
„Betroffene dagegen wenden sich oft an die Telefonseelsorge, um erst mal ein anonymes Gespräch über das Erlebte zu führen“, schildert Kutzschbach, meist schäme sich der Betroffene und suche die Schuld für das Geschehen bei sich selbst. „Aus dieser Ecke müssen wir die Menschen herausholen.“
Auch im Kirchenkreis An der Agger hat es Übergriffe gegeben
Fast 1000 Seiten stark ist die Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche, die am Donnerstag in Hannover vorgestellt worden ist. Darin aufgearbeitet hat der Forschungsverbund „ForuM“ mehr als 9000 Fälle in den Jahren von 1946 bis 2020 – darunter auch Fälle aus dem Evangelischen Kirchenkreis An der Agger in der Zeit bis 2018.
„Die Zahl dieser Fälle liegt im niedrigen, einstelligen Bereich“, sagt Superintendent Michael Braun. „Sie sind sowohl strafrechtlich von den Behörden als auch disziplinarisch von uns aufgearbeitet und der Landeskirche vorgelegt worden.“ Alle Vorfälle seien tatsächliche, nicht-verbale Übergriffe, ergänzt der Superintendent.
Er selbst habe Akten gewälzt, um weitere Fälle aufzuspüren, da von einer höheren Dunkelziffer auszugehen sei. „Jeder Fall ist ein Fall zu viel, da zeigen wir klare Kante“, betont Braun. Vor dem Hintergrund der Studie hoffe er, dass sich weitere Betroffene melden. Auch er stehe als Ansprechpartner für sie bereit.