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Missbrauch in Oberberg„In Waldbröl muss es ein Netzwerk gegeben haben“

Lesezeit 5 Minuten
Der alt-katholische Geistliche Michael Schenk stammt aus Waldbröl und gehört zu den Opfern sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche. Hier sitzt er an einem Rondell vor seinem Therapie- und Exerzitien-Hof Aim Karem in Ruppichteroth-Stranzenbach.

Michael Schenk aus Waldbröl gehört zu den Opfern sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche. Er will seinen Fall jetzt eigenständig bearbeiten – und damit auch beenden.

Bei der Aufarbeitung des Missbrauchs an ihm als Kind will Michael Schenk (55) aus Waldbröl nicht länger auf das Erzbistum Köln warten.

Der Geduldsfaden ist gerissen, bei der Aufarbeitung des Missbrauchs an ihm als Kind will der Pfarrer Michael Schenk nicht länger auf das Kölner Erzbistum warten. Das Aufarbeiten möchte der heute 55-Jährige nun selbst in die Hand nehmen – um mit der Vergangenheit abzuschließen, um endlich Ruhe zu finden.

Und mehr noch: Der Waldbröler möchte ein offenes Ohr haben für Oberbergerinnen und Oberberger, denen Ähnliches oder dasselbe widerfahren ist – „eben Menschen, die sich kraftlos, die sich ohnmächtig fühlen“. Denn Schenk ist überzeugt: „In Waldbröl muss es damals ein Netzwerk gegeben haben.“ Das sagt er mit Blick auf mindestens vier katholische, inzwischen verstorbene Geistliche, deren Taten erst in der jüngeren Vergangenheit bekannt und danach auch vom Erzbistum bestätigt worden sind.

Ihre Dienstzeiten in der Pfarre St. Michael überschneiden sich oder folgen zumindest dicht aufeinander in den Jahren ab 1965. Im Dezember 2020 ließ das Erzbistum dort und in anderen möglicherweise ebenfalls betroffenen Gemeinden in Oberberg ein Proclamandum, einen öffentlichen Aufruf, verlesen: Opfer sexueller Gewalt wurden darin aufgefordert sich zu melden.

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In Ruppichteroth hat Michael Schenk eine neue Heimat gefunden

Dass es viele Opfer mehr gegeben hat, steht für Schenk fest. Nachdem er seinen Fall öffentlich gemacht hat und nach den Berichten in dieser Zeitung hätten einige Männer und andere Zeitzeugen den Kontakt zu ihm gesucht. 2008 ist Schenk zum alt-katholischen Glauben konvertiert, heute führt er in der Ruppichterother Ortschaft Stranzenbach den Therapie- und Exerzitienhof Ain Karem.

Viele Hinweise aus diesen Gesprächen hätten ihm geholfen, jene Zeit und ihre Umstände zu rekonstruieren. „Aber es fehlt jenen Menschen oft der Mut, damit in die Öffentlichkeit zu gehen“, weiß der Pfarrer. „Oder aber sie haben mit dieser Vergangenheit für sich abgeschlossen.“ Er selbst könne das nicht: „Durch diese Gespräche ist mir endlich bewusst geworden, wer der dritte Geistliche ist, der sich an mir vergangen hat.“ Die intensive Therapie habe zuvor bewirkt, dass er sich zunächst an die Silhouette des Mannes erinnert habe – „als sei gerade die Augenbinde verrutscht, die ich immer tragen musste“. Als es geschieht, ist der Junge zwischen drei und sechs Jahre alt.

Waldbröler hat inzwischen alle mutmaßlichen Täter dem Erzbistum Köln benannt

Zuvor hatte Schenk zwei der Täter benannt und deren Namen dem Erzbistum mitgeteilt, im Februar vergangenen Jahres habe er auch den dritten genannt. „Doch seither ist nichts geschehen. Noch immer warte ich auf Antwort dazu aus Köln.“ Man habe ihm indes klargemacht, dass er die Sache auf sich beruhen lassen solle, „für das erlittene Leid“ habe er doch bereits eine Zahlung von 11.000 Euro erhalten. „So nennt es das Erzbistum. Und da hat es mir dann endgültig gereicht.“ Jetzt will Schenk anderen bei der Aufarbeitung helfen.

Unterstützung erhält er von der Initiative „Leuchtzeichen“. Diese hat sich im Juni 2021 in Köln gegründet mit dem Ziel, Opfern sexualisierter Gewalt im kirchlichen Umfeld Hilfe zu bieten, ohne aber die katholische Kirche einzubinden. „Wir sind absolut unabhängig“, betont Maria Mesrian, Vorsitzende des Trägervereins „Um-Steuern! Robin Sisterhood“. „Wir können das leisten, was die Kirche nicht leisten kann.“ Will sagen: Wer in der Kirche Gewalt erfahren hat, der kann nicht offen darüber sprechen, „wenn etwa an der Wand ein riesiges Kreuz hängt“. Seit vergangenem September habe es mehr als 50 Beratungskontakte gegeben, sagt Mesrian.

Der späte Wunsch nach einer Aufklärung ist nicht ungewöhnlich

Dass Menschen erst spät – ab einem Alter von etwa 40 Jahren oder auch in einem ähnlichen Alter wie Michael Schenk – die Hilfe der Fachberaterinnen und Fachberater suchten, sei nicht ungewöhnlich. „Ganz im Gegenteil: Es gibt Ereignisse und Erlebnisse, die dann als Trigger wirken.“ Das könne zum Beispiel ein Unfall, aber auch eine schöne Erfahrung sein, etwa die Gründung einer eigenen Familie. Mesrian: „Wir verstehen uns als Lotsen in eine engmaschige Betreuung, in eine Therapie etwa oder auch eine juristische Auseinandersetzung.“ Dabei gelte das Peer-to-Peer-Prinzip, die Begegnung stets auf Augenhöhe.

Das ist auch Michael Schenk eine Herzenssache. Er will Betroffenen zunächst helfen, das Vergangene zu rekonstruieren. Wenn es gewünscht werde, könne er für die Gespräche auf seinem Hof oder im eigenen Heim Fachleute hinzuziehen, natürlich werde Leuchtzeichen ebenso eingebunden. „Vor allem geht es mir um Menschen, die sich kraftlos fühlen, denen eben der Mut zu diesem Schritt fehlt“, erklärt er und denkt an Gespräche, die er in den vergangenen Wochen und Monaten geführt hat.

Dabei sei immer wieder der Name jenes dritten Geistlichen gefallen, dessen Zuneigung zu jüngeren Messdienern und etwas älteren Pfadfindern in Waldbröl durchaus bekannt gewesen sei, der Ferienfreizeiten organisiert habe und sich den Jugendlichen sehr nahbar, als Kumpel, als Männerfreund gezeigt habe. „Vor Jahren hat sich eine Gruppe gefunden, die sogar eine nach diesem Mann benannte Straße entwidmen lassen wollte“, erinnert sich der Waldbröler an eine damals „verdeckte Initiative“. „Doch das ist im Sande verlaufen.“ Im Februar 2022 habe er – gemeinsam mit einem ebenfalls Betroffenen – diesen Namen dem Erzbistum mitgeteilt.

In der Zeit der Therapie und der Aufarbeitung hatte der Geistliche zwei der Männer, die sich an ihm vergangenen haben sollen, für sich identifiziert und die Namen bekanntgemacht. Einer von ihnen stammt aus Waldbröls Nachbargemeinde Morsbach, ein abgetrennter Finger war das entscheidende Indiz für Schenk. Bis heute habe er aber seine eigene Akte beim Erzbistum nicht einsehen dürfen. „Man sagte mir, da müssten gewisse Informationen aus Gründen des Datenschutzes noch geschwärzt werden – und das in meinem eigenen Fall.“


Wer mit Michael Schenk in Kontakt treten möchte, der erreicht ihn ab Donnerstag, 10. August, unter 0178/5 01 14 35. Dort ist zunächst ein Anrufbeantworter geschaltet.