Das Aus für die Merkur-Pläne und der Zwist um die Markthalle werfen in Waldbröl Schatten auf 2023. Dem stehen aber andere Projekte entgegen.
Bilanz 2023In der Stadt Waldbröl folgt großen Schrecken nun viel Optimismus
Fast und viel zu schnell könnte man glauben, 2023 sei in Waldbröl nichts passiert: Brach liegt noch immer das frühere Merkur-Gelände in der Mitte der Stadt, auf dem Marktplatz erinnert auch heute die Ruine der Markthalle an den verheerenden Brand im April 2022. Doch dem ist natürlich nicht so, der vermeintliche Stillstand täuscht.
Aber war das vergangene Jahr für die Marktstadt ein gutes oder ein schlechtes? Als Waldbrölerinnen und Waldbröler im Mai an einer etwa 200 Meter langen Tafel Platz nehmen, um nach mehr als zweijähriger Bauzeit die fertige Kaiserstraße zu feiern, da sind alle Sorgen rechts und links der nun „einbahnigen“ Einkaufsmeile erst mal vergessen. Und auch Landesverkehrsminister Oliver Krischer ist beeindruckt von dieser schmucken, komfortablen Tempo-30-Zone mitten in der Stadt.
An deren Rand und in deren Nachbarschaft sollen, so heißt es noch im Frühsommer 2021, bis spätestens 2024 drei stattliche Gebäude entstehen, die ein Hotel beherbergen, neuen Geschäften Ladenlokale bieten, Platz für neue Gastronomie schaffen, nicht zuletzt auch neuen Wohnraum ausbreiten und vor allem vergessen machen, dass aus dem in den 1970er Jahre als Vorzeige-Wohnprojekt verstandenen Merkur-Komplex ein echter Schandfleck im Herzen der Marktstadt geworden war.
Nach dem Absprung der Investorengruppe steht Waldbröl unter Schock
Damals, im April 2021, stellt Volker Müller, Geschäftsführer der Gummersbacher Investorengemeinschaft KPBAG, seine Pläne für die neue Mitte vor. Im August vergangenen Jahres dann aber der große Schock: Die Gemeinschaft springt ab. Müller lässt die Stadt und Bürgermeisterin Larissa Weber wissen, dass ein Bauvorhaben dieser Größe aufgrund der rasant gestiegenen Kosten und der Zinsen nicht mehr umsetzbar sei. Und auch der Hotelpächter und die Bauherren der an der Bahnhofstraße geplanten Immobilien ziehen sich zurück.
Ein dickes Ende für die Stadt, die zuvor bereits, nämlich im Juli, hat einstecken müssen: Ein politisches Patt führt dazu, dass die Ruine der Markthalle eine Ruine bleibt. Denn für den von der Verwaltung favorisierten Entwurf eines Neubaus findet sich zunächst keine Mehrheit. Es gibt Zoff, die Fronten zwischen Politik und Verwaltung sind verhärtet, man macht sich Vorwürfe. Im Oktober aber gibt’s dann doch noch grünes Licht für die Ideen aus dem Kölner Architekturbüro Form A und damit für die favorisierte Skizze. Das bedeutet aber auch, dass dieses insgesamt fast sechs Millionen Euro teure Großprojekt für ein weiteres Jahr in der Warteschleife kreist.
Rückschläge bescheren der Stadt Waldbröl wertvolle Zeit
Die Stadt muss sich vorwerfen lassen, in Sachen Markthalle nicht offen und transparent kommuniziert zu haben: Zu sehen bekommt alle drei Entwürfe allein ein Arbeitskreis. Als nicht mal zwei Tage später bereits die zuständigen Fachausschüsse entscheiden sollen, wird keine dieser Skizzen auf die Leinwand geworfen. Nicht-beteiligte Ausschussmitglieder und auch die Öffentlichkeit bleiben also außen vor. Anders ist dies erst, als die Politik den zweiten Anlauf nimmt.
In einer Bilanz für das Jahr 2023 muss man diese beiden Ereignisse, das vorläufige Merkur-Aus und das Gerangel um die Markthalle, der schlechten Seite zuschlagen. Aber das ist zu kurz gedacht: Denn das Ergebnis ist Zeit – und längst ist Zeit ein Luxusgut. Sie bietet der Stadt und der Politik nun die Chance, sich auf neue Begebenheiten einzurichten, Projekte anzupassen, zu überdenken, neu aufzustellen, neu auszurichten. Nicht zu vergessen ist: Vor Corona und allen weiteren Krisen war die Welt eine andere.
Waldbröler Kontaktkreis möchte die Marktstadt arm an Hindernissen machen
Auch darf der Schatten dieser Ereignisse nicht von all dem ablenken, was auf die gute Seite gehört – da ist eben die Kaiserstraße. Und da sind etwa die Rossenbacher, die sich seit Juni mit unermüdlichem Einsatz einen Dorfplatz bauen. Da sind die Mitglieder des MS-Kontaktkreises, die seit November in der Stadt unterwegs sind, um aufzuarbeiten und zu dokumentieren, wie freundlich die Stadt zu Menschen mit Einschränkungen ist und wo dringend etwas zu tun ist, damit diese Menschen und Waldbröler Gäste mit Handicap ebenfalls klarkommen.
Und da ist auch die große Baustelle im Hermesdorfer Gewerbegebiet „Im Langenbacher Siefen“: Auf fast 6300 Quadratmeter großem Grundstück erhält der Löschzug Thierseifen der Waldbröler Wehr ein modernes Gerätehaus – das erste von drei solchen Gebäuden, gebaut wird bis 2027 auch in Heide und Geilenkausen.
Millionenschwere Bauprojekte aus privater Hand für die Stadt Waldbröl
Ebenfalls bauen will der Frankfurter Investor Thomas Baumann: Für den Stadtteil Eichen plant er einen riesigen Pflegecampus mit unterschiedlichen Wohnmodellen, Pflege-Einrichtungen und einer Kindertagesstätte, im November wird der Name des Betreibers, die Emida-Residenzen Holding-GmbH, bekannt und dass allein in die Pflege rund 28 Millionen Euro investiert werden sollen. In Isengarten möchte zudem der Waldbröler Pflegedienst Phileo seinen Standort deutlich erweitern, das kündigt Betreiber Viktor Koop im Juni an. Für beide Vorhaben gibt es von der Politik grünes Licht. Und im September eröffnet mit der „Hauderei“ an der Hochstraße ein neues Café, das eine Genossenschaft aus engagierten Waldbrölerinnen und Waldbrölern führt.
Fast fertig ist unterdessen die von Grund auf sanierte Heidberghalle und der Rollsportpark an der Niederhofer Klus erhält im August den letzten Schliff, im kommenden März oder April soll das 820.000 Euro schwere Vorhaben endlich Wirklichkeit werden. Und auf den Weg gebracht ist auch die Sanierung des Wiedenhofparks und dessen Umbau zu einem Lernort unter freiem Himmel. „Wind im Nutscheid“ ist derweil der Name einer in Windeck gegründeten Initiativgruppe, die im August ihre Pläne vorstellt, kahle Flächen auf dem Nutscheid-Höhenzug auch in Waldbröl für die Windkraft zu nutzen und den Strom über eine Bürgergenossenschaft zu verkaufen – das kommt in der Marktstadt überraschend gut an.
Frischen Wind versprechen auch zwei jüngere Leute, die etwas bewegen wollen: Zum einen möchte Martin Finke (39) als Geschäftsführer der „Wir für Waldbröl“-GmbH die wertvolle Arbeit seines Vorgängers Theo Schüller (66) fortsetzen – der, niemals geht man so ganz, als Fachmann für Touristik in einem Minijob weitermacht. Zum anderen zeigt die Ingenieurin Alessia Kraus (30) aus Wiehl im November der Politik mit ihrer Bachelor-Arbeit, wie aus dem schmuddeligen Busbahnhof an der Brölbahnstraße mit recht kleinem Aufwand eine Mobilstation der Zukunft werden kann.
Auch wenn es ob der großen Rückschläge zunächst aussehen mag: Schlecht war 2023 für Waldbröl also keinesfalls. Denn jenen beiden Schatten stehen viele, viele Schlaglichter, große und kleine, gegenüber. Sie machen Lust auf 2024.