Düsseldorf – Sorgenvolle Premiere für Nordrhein-Westfalens neue NRW-„Superministerin” im Landtag: Wirtschafts- und Energieministerin Mona Neubaur hat bei ihrer allerersten Plenarrede am Donnerstag die Menschen in Nordrhein-Westfalen wegen der Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine auf härtere Zeiten eingeschworen.
Kaum 24 Stunden nach ihrer Ernennung warnte die neue Ministerin vor einer Verschärfung der Gaskrise und einer Versechsfachung der Gaspreise. „Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen, die sich in unserem Land in jüngerer Zeit ergeben hat.” Es gehe um die „Sicherstellung der zuverlässigen und bezahlbaren Energieversorgung”. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe die starke Energieabhängigkeit von Russland „schonungslos offengelegt”.
Die Lage derzeit sei „ernst, aber stabil”, sagte Neubaur, die wie immer in Schwarz gekleidet war. Zum aktuellen Zeitpunkt sei die Gasversorgung gesichert. Gleichwohl verenge sich die energiepolitische Situation wegen der sukzessiven Reduktion der Gasflüsse aus Russland weiter. Neubaur sagte, sie teile die Befürchtung, dass als Konsequenz die Aktivierung der Notfallstufe notwendig werden könne. Nach der drastischen Verringerung der Gaslieferungen aus Russland hatte die Bundesregierung die Alarmstufe im Notfallplan Gas ausgerufen. Der Notfallplan hat drei Stufen: Die Alarmstufe ist die zweite. Die dritte wäre die Notfallstufe.
Seit Beginn des Ukraine-Krieges Ende Februar gilt die Versorgung Europas mit Gas aus Russland als gefährdet. Die Energiepreise sind bereits stark gestiegen. Nach Worten Neubaurs muss für einen finanziellen Ausgleich für Verbraucher und Unternehmen gesorgt werden. Angesichts der „Zumutungen” für die Menschen müsse zügig ein „fairer Lastenausgleich” geschaffen werden - auch um die Energieversorger vor Liquiditätsproblemen und daraus drohender Insolvenz zu bewahren.
Die Drosselung der russischen Gaslieferungen bringt derweil den Energieversorger Uniper in Bedrängnis. Die Bundesregierung befindet sich nach Darstellung des Wirtschaftsministeriums mit dem Unternehmen in Gesprächen über Stabilisierungsmaßnahmen. NRW arbeitet nach Worten Neubaurs zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium im Krisenteam Gas mit. Seit 4. April tage zudem das regionale Krisenteam NRW wöchentlich. Der inländische Gasverbrauch müsse reduziert werden, um die Gasspeicher zu füllen, sagte Neubaur. Der CDU-Abgeordnete Christian Untrieser verwies darauf, dass seit dem 13. Juni die AG „Gaseinsparpotenziale NRW” an Maßnahmen arbeite.
Während Neubaur im Düsseldorfer Landtag redete, warnte Grünen- Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in München vor einem vollständigen Ausbleiben russischer Gaslieferungen durch die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream. Es drohe ab dem 11. Juli „eine Blockade von Nord Stream 1 insgesamt”, sagte er bei einem „Nachhaltigkeitsgipfel” der „Süddeutschen Zeitung”. Deswegen könne es im Winter wirklich problematisch werden. Die Gasversorgung über den Sommer sei gewährleistet.
Die SPD im Landtag warnte mit konkreten Zahlen vor den Folgen der Krise für das Industrieland NRW. 440.000 Menschen seien hierzulande in energieintensiven Unternehmen beschäftigt, auf die wiederum 40 Prozent des Gasverbrauchs im Land zurückgehe. Die Notfallstufe sehe vor, dass vorrangig ein Großteil dieser Unternehmen vom Netz abgeklemmt werde, um die Versorgung der Privathaushalte und kritischer Infrastruktur zu sichern. Der SPD-Abgeordnete Alexander Vogt forderte einen Plan von der neuen schwarz-grünen Landesregierung, der „nicht nur die Besserverdienenden in den Blick” nehme. Sein SPD-Kollege André Stinka sagte: „Die notwendigen Gaseeinsparungen werden alle Menschen treffen.”
FDP-Fraktionschef Henning Höne sagte, die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas sei auch das Ergebnis von 16 Jahren Außen- und Energiepolitik der früheren Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Eine Studie gehe für einen Vier-Personen-Haushalt, der mit Gas heize, von jährlichen Kostensteigerungen bis zu 2900 Euro für Gas und bis zu 800 Euro für Strom aus. Die aus der Regierung abgewählte FDP ist im Landtag nun in der Opposition.
Nach Worten Hönes steht Grünen-Ministerin Neubaur vor einem Spagat. Die Grünen würden sich nun zu Versorgungssicherheit inklusive Kohle bekennen. 2018 habe die Ökopartei mit Neubaur noch zu einem Parteitag im Braunkohlerevier eingeladen. Zugleich sprach sich Höne für eine längere Laufzeit der Atomkraftwerke aus. „Ein Weniger an Gas in der Stromerzeugung kann natürlich durch ein Mehr an Kernenergie ausgeglichen werden.”
Der FDP-Abgeordnete Dietmar Brockes wies auf den Konflikt um das vom Abbaggern bedrohte Dorf Lützerath im Braunkohlerevier hin - ein mögliches Problem auch für die jetzt mitregierenden Grünen. Die Grünen „streuen den Menschen Sand in die Augen”, sagte Brockes. Die Kohle unter dem Dorf Lützerath werde gebraucht, wenn Kohlekraftwerke aus der Sicherheitsbereitschaft genommen würden. Neubaur müsse ihren Standpunkt zu Lützerath klarmachen.
Im Koalitionsvertrag sichern CDU und Grüne Versorgungssicherheit zu. Bis zum Kohleausstieg werde die Braunkohle zur Versorgungssicherheit angesichts des Ukrainekrieges ihren Beitrag leisten. Mit einer „zeitnahen” neuen Leitentscheidung sollen die Menschen im Braunkohlerevier Klarheit bekommen. Zwar sollen fünf Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts erhalten bleiben. Dazu zählt aber nicht Lützerath am Tagebau Garzweiler.
Der AfD-Abgeordnete Christian Loose hatte eine ganz andere Idee: Er forderte Verhandlungen mit Russland. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin solle vorgeschlagen werden, die Gaspipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, wenn er einem Waffenstillstand zustimme.
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