Rösrath – Herbert Braune schüttelt den Kopf: „Ich lebe seit 63 Jahren hier, aber das habe ich noch nicht erlebt“, sagt der 84-Jährige und schaut von seinem Häuschen direkt neben der Autobahn 3 hinüber zur Brücke, auf der der Pestalozziweg über einen der am meist befahrenen Autobahnabschnitte Deutschlands führt.
Unter der Brücke: gähnende Leere. Und das schon seit mehr als zwölf Stunden. So lange ist die sechsspurige Autobahn bereits wegen eines Salzsäure-Lecks in einem Tanklastzug auf der Raststätte Königsforst-West gesperrt. Auf der Brücke des Pestalozziwegs über die A3: staunende Nachbarn und weitere Rösrather.
Ein Verletzter bei Salzsäure-Bergung
Ein Feuerwehrmann wurde beim Salzsäure-Einsatz verletzt
Trotz größter Vorsicht, Sicherungsmaßnahmen, Spezialanzügen und weiträumiger Absperrung – ein Feuerwehrmann aus Köln sei beim Einsatz rund um das Umpumpen des leckgeschlagenen Tanklastzugs verletzt worden, bestätigte Kölns Feuerwehrsprecher Ulrich Laschet am Wochenende nach Abschluss des Einsatzes auf der A3-Raststätte Königsforst-West bei Rösrath.
„Der Kamerad hatte kurz Hautkontakt mit kontaminiertem Material und ist ins Krankenhaus gebracht worden, das er aber nach ambulanter Behandlung wieder verlassen konnte,“ so Laschet. (wg)
So ging der Einsatz zu Ende
Bis in den Freitagabend hatten sich das Umpumpen der 24 Tonnen offenbar verunreinigter Salzsäure aus dem spanischen Tanklastzug in ein anderes Spezialfahrzeug hingezogen.
Gegen 22 Uhr war am Freitagabend zunächst die A3 in Richtung Köln wieder für den Verkehr freigegeben worden, die Fahrstreifen in Richtung Frankfurt gab die Polizei am Samstagmorgen gegen 4.25 Uhr wieder frei. Gegen 4 Uhr hatte auch die Feuerwehr die Einsatzstelle laut Feuerwehrsprecher Laschet an die Polizei übergeben.
Der havarierte spanische Tanklastzug ist nach der Reinigung von einem Spezialabschleppunternehmen auf ein Sicherstellungsgelände nach Köln-Ossendorf gebracht worden. Dort sollen die Ermittlungen der Polizei zur Ursache für das Leck fortgesetzt werden. Auch die genaue Zusammensetzung des geladenen Salzsäuregemischs soll dabei ermittelt werden.
Wie berichtet war der ausgelaufene Stoff deutlich aggressiver gewesen als es von der laut Ladepapieren und Ladekennzeichnung angegebenen 30-prozentigen Salzsäure zu erwarten gewesen wäre. Die Ermittlungen dauern laut Polizei noch an. (wg)
„Kein Auto auf der A3? Das gab’s doch seit den 70er Jahren nicht mehr. Damals, als es diese autofreien Sonntage gab“, sagt ein Anlieger aus der nahen Beienburger Straße. Hinter ihm auf der Brücke über die Autobahn allerdings geht es für die Autos mit Kennzeichen von Nürnberg bis Kiel nur im Schneckentempo voran – Stoßstange an Stoßstange. Stau.
Herbert Braune kennt dieses Bild: „Immer wenn hier auf der A3 was passiert und ein längerer Stau ist, fahren die Leute in Lohmar ab und versuchen’s über Land.“ Wenn dann die Hauptverkehrsadern durch Rösrath überlastet sind, versuchen viele weiter auf „Schleichwege“ durchs Gewerbegebiet Scharrenbroich und die Randbezirke der Wahner Heide auszuweichen.
„Dann habe ich sie hier vor der Haustür stehen“, sagt Braune – und lächelt. Er nimmt’s gelassen. Auch als er hört, dass im Rösrather Zentrum gar nichts mehr geht. „Ich muss gleich in den Ort, aber dann nehme ich eben das Fahrrad“, sagt der 84-Jährige. Vorher aber geht er selbst nochmal auf die Brücke. „Das muss ich mir doch nochmal angucken“, sagt er und schaut in Richtung Köln. Am Horizont ist der Fernsehturm Colonius zu sehen. Davor nur eine gähnend leere Autobahn. „Ne, das sieht man sonst wirklich nicht“, sagt er.
Schließlich sind Feuerwehrleute aus Rösrath und Kürten schon mehrfach mit Luftmessfahrzeugen vorbeigekommen, haben auch direkt bei Braune am Häuschen die Luft überprüft. Ohne Befund. Nur den Waldweg „Plantage“ gegenüber, der bis hinter die Raststätte Königsforst-West führt und dann weiter in die Wahner Heide, hat die Polizei zwischenzeitlich abgesperrt.
„Wir sind doch gut beschützt“, sagt eine Frau mit Fahrrad mit Blick auf das Blaulicht der Einsatzfahrzeuge. Per Warn-App hat die Feuerwehr unterdessen bereits den gesamten Morgen über die Rösrather Bevölkerung aufgerufen, Fenster und Türen geschlossen zu halten. „Sicher ist sicher“, sagt Rösraths Feuerwehrsprecher Björn Roth. Schließlich könne sich eine solche Lage auch einmal schnell ändern.
Feuerwehr Rösrath hatte alle Gerätehäuser besetzt
Am Freitagmorgen war die Rösrather Feuerwehr in den Wald unweit der Raststätte gerufen worden, weil dort ein Passant im Nebel gesichtet worden war. Gefunden wurde allerdings niemand.
Die Verantwortlichen hatten danach sämtliche Feuerwehrhäuser im Stadtgebiet besetzen lassen, um im Einsatzfall schneller ausrücken zu können, weil auch die ehrenamtlichen Feuerwehrleute wegen der verstopften Straßen nur noch schwer zu den Gerätehäusern durchkamen.
„So ein Verkehrschaos wie am Freitag hat Rösrath schon lange nicht mehr erlebt“, ist sich ein Passant sicher, der am Samstag auf der Pestalozziweg-Brücke steht und zur A3 hinuntersieht. Dort pulsiert der Verkehr wieder in beide Richtungen – als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben.