Auf der Sophienhöhe finden seltene Tierarten Lebensraum. Eine Entdeckungstour mit Gregor Eßer, Leiter der Forschungsstelle Rekultivierung.
Nach der BraunkohleIn der Sophienhöhe am Tagebau Hambach erwacht die Natur wieder zum Leben
Der Flussregenpfeifer versetzt uns. Dabei hat Gregor Eßer eigens ein Spektiv mitgebracht, um mir den scheuen Vogel zu zeigen. Doch auch durch das leistungsstarke Fernrohr ist er nicht zu entdecken. Der Leiter der Forschungsstelle Rekultivierung ist mit mir auf der Sophienhöhe unterwegs, auf der Suche nach seltenen Tierarten, die in der von Menschenhand geschaffenen Landschaft neuen Lebensraum gefunden haben.
Eines stellt Eßer gleich energisch klar: „Wir schaffen hier kein Öko-Disneyland.“ Will heißen: Hier geht es nicht darum, irgendwelche möglicherweise spektakulären neuen Arten anzusiedeln. Sondern es sollen die Tiere und Pflanzen gedeihen, die im Rheinland heimisch sind oder waren.
RWE Power hat 2018 seine Biodiversitätsstrategie für das Rheinische Braunkohlenrevier festgelegt. Auf der riesigen Abraumhalde des Tagebaus Hambach wächst eine neue Landschaft heran – „ein Hotspot der Artenvielfalt“, wie Gregor Eßer sagt.
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Totholzkonzept als Keimzelle für das Leben
Eine Keimzelle vielfältigen Lebens ist tatsächlich tot. Wie Totempfähle ragen an vielen Stellen kahle Baumstümpfe in die Höhe. Die sind als abgesägte Stämme auf der Sophienhöhe aufgestellt worden, sicher im Boden verankert. Ausgewählt mit einem Totholzkäferexperten, festgeschrieben im Totholzkonzept. Gregor Eßer zeigt die Gänge der Käferlarven unter der Rinde, die Vögeln als Nahrung dienen.
Hoch oben am Stamm haben Spechte ihre Höhlen gezimmert. Dort finden auch Fledermäuse Unterschlupf. Eßer: „Wir haben die Totbäume untersucht und kartiert, kein einziger ist unbewohnt.“ Der ökologische Wert der abgestorbenen Bäume ist so groß, dass an manchen Stellen „geringelt“ wird: Dann wird ringförmig ein Streifen Rinde abgeschält, um die Nährstoffzufuhr zu kappen und den Baum langsam absterben zu lassen.
Die Pappel, die vor allem im Südrevier vor Jahrzehnten das Bild der Rekultivierung geprägt hat, findet sich auch auf der Sophienhöhe, allerdings in anderer Funktion. „Früher hat man Klopapier daraus gemacht, heute dient sie uns als Ammenbaum.“ Unter den schnell wachsenden Pappeln finden die Gehölze, die den Standort langfristig besiedeln sollen, Schutz und Nahrung. Schutz vor allzu viel Sonnenlicht, Nahrung aus dem verrottenden Pappellaub.
Am Eisvogelsee braucht der Fachmann kein Spektiv, um genau zu spezifizieren, was der Laie schlicht als fünf Enten bezeichnet hätte: „Drei Reiherenten und zwei Zwergtaucher.“ Die beiden sind tatsächlich klein und verschwinden oft unter der Wasseroberfläche. Wenn sie sich nicht gerade lautstark streiten. Der Namensgeber des Sees tut allerdings das, was die seltenen Tiere bei unserer Exkursion bevorzugt tun: Er macht sich rar.
Die Haselmaus ist nicht in ihrem Nest anzutreffen
Genau wie die Haselmaus. Gregor Eßer schaut behutsam in einen der Kästen, die – anders als Nisthilfen für Vögel – relativ weit unten an den Bäumen hängen. Tatsächlich hat dort eines der Tierchen ein Nest aus Blättern gebaut, zu Hause ist es allerdings nicht. Übrigens ist die Haselmaus keine Maus, sondern gehört wie ihr etwas größerer Vetter, der Siebenschläfer, zu den Bilchen. Nicht umsonst ist sie mit ihren riesigen Augen und dem Puschelschwanz als Maskottchen Sophie bei Führungen dabei.
„Standortvielfalt schafft Artenvielfalt.“ Das ist Gregor Eßers Motto, um nicht zu sagen sein Mantra. Mit Sachkenntnis und Leidenschaft schildert er, wie die unterschiedlichen Lebensbedingungen ganz verschiedene Tier- und Pflanzenarten anlocken. „Beim Abkippen fällt die Entscheidung über das künftige Biotop.“ Wo lehmhaltiges Material aufgebracht wird, entstehen Seen und kleine Teiche.
Karger Sandberg: Artenvielfalt braucht keine üppige Vegetation
Und dann zeigt Eßer eine seiner Lieblingsstellen: einen kargen Sandberg, Hügel an Hügel, mit einigen eher kümmerlichen Kiefern bewachsen. „Sie sind zu früh dran“, sagt er mir. „Sie müssen in ein paar Wochen wiederkommen. Dann singt hier die Heidelerche, der Uhu streift übers Gelände, und der Sand ist schwarz von Solitärbienen.“
Da gerät der Rekultivierungsfachmann ins Schwärmen. Immerhin sind im Sand schon jede Menge kleine Löcher zu entdecken, die eben jene einzeln lebenden Wildbienen gegraben haben. Artenvielfalt, das lehrt dieses Beispiel, muss keineswegs immer mit üppiger Vegetation einhergehen.
Eigentlich sollen sich auf der Sophienhöhe ja von selbst Arten ansiedeln, deren Lebensraum ansonsten knapp wird. Oft klappt das gut, beispielsweise bei den 21 Orchideenarten, die mittlerweile in der Rekultivierung gedeihen. Dass immer mehr Nilgänse, invasiv und ziemlich aggressiv im Verdrängen anderer Vögel, an den Seen brüten, lässt sich allerdings nicht verhindern.
Das Muffelwild allerdings ist nicht von allein eingewandert: Die Wildschafe, im Mittelmeerraum beheimatet, stammen aus einem Gatter. Auf dem Weg zur Goldenen Aue kommen wir ins Philosophieren. Ist die Sophienhöhe mit ihrer vielfältigen, faszinierenden Natur eine Art Wiedergutmachung für die schreckliche Wunde, die der Bergbau der Landschaft geschlagen hat? Eßer muss darüber nicht nachdenken: „Unbedingt! Die Folgen des Braunkohleabbaus kleinzureden, wäre verlogen.“
Durch Mähgut werden in der Aue neue Vegetationen herangezogen
Die Goldenen Aue wirkt an diesem stürmischen Morgen keineswegs golden, sie versprüht eher grauen Nordseecharme. In einer großen Mulde hat sich ein Gewässer ausbildet, an dem besagter Flussregenpfeifer auftauchen sollte. Die flach ansteigenden Ufer sind noch kahl, bedeckt nur mit einer dünnen Schicht toter Pflanzen. Doch das hat seine Richtigkeit, wie Gregor Eßer erklärt: „Wir haben die Genehmigung, bestimmte Rheinwiesen zu mähen, wenn die Pflanzen dort verblüht sind“.
Das Mähgut werde dann dort verteilt, wo sich eine ähnliche (Ufer-)Vegetation bilden soll, als den trockenen Blumen und Gräser rieseln die Samen heraus. Mit dem gleichen Verfahren werden an anderer Stelle auf der Sophienhöhe Heideflächen herangezogen.
Es gibt viele Details zu entdecken in der schönen neuen Welt aus Menschenhand. Den Springfrosch beispielsweise, die Gelbbauchunke und sogar die Schlingnatter. Wir haben immerhin ein Reh gesehen – von Weitem – und ein kleines Wildschwein, das tiefenentspannt vor uns über den Weg trollte.
Gregor Eßer hat recht: Ich muss noch mal wiederkommen. Wenn die Heidelerche singt. Dann klappt es vielleicht auch mit dem Flussregenläufer.