Erftstadt-Blessem – Die Entwarnung kam am Montagvormittag. Da war das Loch im Vordamm an der Blessemer Kiesgrube wieder verschlossen. Viele Anwohner hatten da eine unruhige Nacht hinter sich, in der die schlimmen Erinnerungen an die Flutkatastrophe wieder wach geworden waren.
Abends war die Feuerwehr durch die Straßen gefahren und hatte darüber informiert, dass der Vordamm gebrochen war. Der Hauptdamm war unterspült, es lief wieder Wasser in die Grube. Auch wenn es hieß, es bestehe keine akute Gefahr, machten sich die Bürger Sorgen. Viele hatten Angst, sie müssten zum zweiten Mal ihre Häuser verlassen auf der Flucht vor Hochwasser. Die Szenerie mit flackerndem Blaulicht in der Dunkelheit wirkte bedrohlich.
Blessemerin: „Ich habe Angst – und was für eine Angst“
„Ich habe Angst – und was für eine Angst“, sagte eine 60-jährige Blessemerin: „Wir wurden beim großen Hochwasser nicht vorgewarnt und konnten, als das Wasser kam, dann nur noch flüchten.“ In den Morgenstunden des 15. Juli war der Damm an der Erft gebrochen, der Fluss hatte die Kiesgrube geflutet und damit die Katastrophe im Ort ausgelöst: Als sich das Wasser in die Böschung fraß, riss es mehrere Gebäude in die Tiefe.
Der Erftverband hatte später die Erft zurück in ihr Bett geschickt und zwei Dämme aufgeschüttet. Doch die anhaltenden Regenfälle der vergangenen Tage waren offenbar zu viel für das Provisorium. An einer – ebenfalls provisorischen – Brücke hatte sich am Nachmittag Treibgut aufgestaut, dann war der Vordamm gebrochen. So schildert es Dr. Bernd Bucher, Vorstand des Erftverbandes. Der Vordamm verläuft an der Erft, der Hauptdamm in rund 50 Metern Entfernung daneben, dichter am Ort Blessem. Der Zwischenraum ist derzeit eine Hohlform, wie die Fachleute sagen, also eine Mulde.
Durch diese Mulde floss das Wasser Richtung Hauptdamm und unterspülte ihn. „Er ist noch nicht optimal angelegt, sondern ein Provisorium“, sagt Bucher. Ansonsten wäre unten eine Dichtung eingezogen. So konnte Wasser unter dem Damm durchkriechen und in die Kiesgrube laufen.
Erftverband soll Damm regelmäßig kontrolliert haben
Der Erftverband habe den Damm regelmäßig kontrolliert, vorher aber kein Treibgut entdeckt. Der Wasserstand in der Erft sei höher gestiegen, als es angekündigt gewesen sei. Flussaufwärts hatte es seit Tagen ausgiebig geregnet. Baufirmen, unterstützt von Feuerwehr und THW, hätten die Nacht durch gearbeitet, sodass am Morgen die Lücke im Damm geschlossen worden sei. Zwischen Vor- und Hauptdamm stehe auch kein Wasser mehr.
In der Nacht allerdings war die Situation für die Blessemer unklar – und beängstigend. Die Mitteilung der Stadt, die auf deren Homepage stand und auch über Facebook und per Handzettel verbreitet wurde, beruhigte nicht unbedingt. Über die Warnapp Nina wurde ebenfalls gewarnt.
Anwohner in Erftstadt-Blessem werden unruhig
Die Feuerwehr machte nicht nur Durchsagen, sondern hatte an mehreren Stellen im Ort Informationspunkte eingerichtet, an denen die Bürger Fragen stellen konnten. Zudem lief das städtische Bürgertelefon auf dem Handy eines Feuerwehrmannes auf. Und das klingelte ununterbrochen.
Als die Lautsprecherwagen durch die Straßen fuhren, rissen die Leute besorgt die Fenster auf. Dann drängten viele ins Freie, an den Straßenecken standen Gruppen, in denen besorgt und erregt diskutiert wurde. „Was ist, wenn sich die Lage in der Nacht noch verschärft?“, fragte Sven Popken. Und Klaus Genschel sagte: „Ich bin sehr verunsichert über die aktuellen Meldungen. Die Situation wurde im Juli ja total unterschätzt.“
Dass jede Menge Polizisten unterwegs waren, irritierte zusätzlich. Es wurde gerätselt, ob der Ort wieder abgesperrt würde.
„Wer plant einen Damm, der nach ein paar Regentagen durchlässig wird?“
Thorsten Wolfskohl war zum Infopunkt gekommen, vor allem, weil er seinen älteren Nachbarn die Lage erklären wollte. „Angst habe ich nicht“, sagte er. „Allerdings sollte erklärt werden, was ein Vor- und was genau ein Hauptdamm ist.“ Jürgen Koch war besorgt: „Die machen ja sicherlich nicht umsonst jetzt so eine Panik.“
Dirk Schmitz fragte kritisch: „Wer plant einen solchen Damm, der nach ein paar Regentagen durchlässig wird?“ Die Verantwortlichen machten auf ihn den Eindruck, als seien sie nicht in der Lage, die Probleme zu lösen und Blessem zu sichern: „Das ist nicht nur ein Gefühl, sondern eine Tatsache, wie wir jetzt erleben.“
Am Abend hatte die Stadt die Wohnungen im früheren Stallgebäude auf dem Gelände der Burg Blessem vorsichtshalber versiegeln lassen. Die sind derzeit nicht bewohnt, allerdings sind zeitweise Aufräumarbeiten im Gange. Am Montagvormittag konnte dort weitergearbeitet werden.
Unklar ist, wann die Stadt Erftstadt erfahren hat, dass der Damm am Nachmittag gebrochen ist, und ob sie die Bürger früher hätte warnen können. Die Verwaltung konnte diese Fragen gestern bis Redaktionsschluss nicht beantworten.