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Brandschutz als Vorwand?Verfahren zur Räumung des Hambacher Forsts kommt für Naturschützer zu spät

Lesezeit 5 Minuten
Nordrhein-Westfalen, Kerpen: Aktivisten stehen im Hambacher Forst auf einem Baumhaus.

Nachdem Anfang Oktober 2018 über 80 Baumhäuser abgerissen waren, ordnete das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht einen Rodungsstopp an. (Archivfoto)

Ein Bewohner des Hambacher Forsts hatte 2021 Recht bekommen, die Räumung sei unter einem Vorwand passiert. Jetzt verhandelt das Oberverwaltungsgericht.

Der Hambacher Forst steht für den Kampf gegen den Abbau von Braunkohle im Rheinischen Revier. Im Herbst 2018 ließ das Land in dem Waldgebiet zwischen Aachen und Köln begleitet von einem großen Polizeiaufgebot Baumhäuser abreißen und das Gelände räumen.

Brandschutz und Bauordnungsrecht als Räumungsbegründung

Die juristische Begründung für die Vorbereitung zur Rodung ließ damals aufhorchen: Brandschutz und Bauordnungsrecht. Nach der Klage eines Bewohners beschäftigt sich jetzt das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht mit dem Streit. Am 16. Juni verhandelt der 7. Senat in mündlicher Berufungsverhandlung darüber, ob die Räumung rechtmäßig war.

Rechtfertigen muss sich die Stadt Kerpen, die auf Weisung des Bauministeriums gehandelt hatte. Der Kläger, ein Bewohner der Baumhäuser, war in der ersten Instanz erfolgreich. Das Verwaltungsgericht Köln bezeichnete die Maßnahmen als rechtswidrig. Daraufhin legte die Stadt Berufung am OVG in Münster ein.

Es wäre ein Zeichen gegen die Klüngelei zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und RWE
Andreas Büttgen

Für Andreas Büttgen von den „Buirern für Buir“ kommt das Verfahren zu spät. „Menschen haben keine Möglichkeit mehr, zivilrechtlich gegen die Räumung vorzugehen. Die Frist ist 2021 verstrichen“, erläutert Büttgen. Habe das Berufungsverfahren Erfolg, sei das dennoch ein wichtiges Zeichen. „Es wäre ein Zeichen gegen die Klüngelei zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und RWE. Und es ist ein Schlag ins Gesicht für die damals verantwortlichen Minister Ina Scharrenbach und Herbert Reul.“

Eine Frage bleibe für ihn aber noch offen, sagt Büttgen. „Wenn Kerpen unterliegt und es zivilrechtliche Ansprüche gibt – kann die Stadt das Land in Regress nehmen?“ Schließlich habe die Stadt auf Anweisung der Landesbauministerin gehandelt.

Das Foto zeigt Kerpens Bürgermeister Dieter Spürck.

Kerpens Bürgermeister Dieter Spürck (CDU) führt ein Verfahren, das er eigentlich nicht führen möchte.

Dies allerdings nicht ohne Druck aus der Landesregierung. Eine Ein-Stimmen-Mehrheit aus CDU, BBK (freie Wähler) und AfD hatte gegen die Stimmen von SPD, Grünen, FDP und Linken beschlossen, in Berufung zu gehen, nachdem aus Düsseldorf eine entsprechende Anweisung gekommen war. Begründung des Landes und eines Teils der Kommunalpolitik: Die Stadt müsse in Berufung gehen, um bei eventuellen Schadensersatzklagen von Waldbesetzern Rechtssicherheit zu haben.

Ursprünglich hatte der Rat mit den Stimmen von Grünen, SPD, Linken und der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG) beschlossen, das Verwaltungsgerichtsurteil anzuerkennen. Die CDU, AfD und das Bürger Bündnis Kerpen (BBK) wollten hingegen an der Berufung festhalten, die FDP enthielt sich.

Für Kerpens Bürgermeister Spürck bleibt auch jetzt noch ein bitterer Beigeschmack

Auch jetzt, fünf Jahre nach der Räumung, bleibt bei Kerpens Bürgermeister Dieter Spürck (CDU) ein bitterer Beigeschmack: „Die dem Urteil zu Grunde liegende Rechtsauffassung des VG Köln habe ich auch bereits bei der Weisung zur Räumung gegenüber dem Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung vertreten, musste jedoch auf Grund der bestehenden Gesetzeslage der Weisung des Ministeriums zur Räumung Folge leisten.“ Wiederum auf Weisung des Landes Nordrhein-Westfalen habe er gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes Berufung eingelegt.

Wegen der grundsätzlichen rechtlichen und politischen Bedeutung des Falles begrüße er allerdings die Überprüfung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts durch das OVG in Münster und sehe der mündlichen Verhandlung mit Interesse entgegen. „Die Entscheidung könnte auch über den konkreten Fall hinaus in anderen Rechtsbereichen eine Bedeutung spielen, in welchen Rahmen der Ermessensausübung Behörden rechtliche Spielräume auf ,unkonventionelle Weise’ nutzen.“

Was Spürck unkonventionell nennt, war laut Urteil des VG Köln schlichtweg unzulässig. Das Ministerium hatte sich pauschal und ohne die nötigen Ermittlungen auf Brandschutz und Bauordnung berufen. Rettungswege und Brüstungen der zum Teil mehrstöckigen Baumhäuser seien rein pauschal bewertet worden. „Es hätte sein können, dass nur einzelne Anlagen geräumt werden müssen und nicht pauschal alle“, heißt es in dem Urteil aus dem Jahr 2021.

Verwaltungsgericht sah in Begründung nur einen Vorwand zur Räumung

Das Bauordnungsrecht zum Schutz der Bewohner sei somit nur ein Vorwand gewesen. Die Weisung an die Bezirksregierung Köln und dann weiter an die Stadt Kerpen sei zweckwidrig und damit fehlerhaft gewesen, urteilten die Richter in der Vorinstanz.

Das Verwaltungsgericht zitierte in der Begründung aus Besprechungsnotizen aus dem Ministerium. Schon bei der ersten Besprechung sei klar gewesen, dass alle Anlagen beseitigt werden müssen. Daran habe es keinen Zweifel gegeben. Die Unterstützung aller Anwesenden sei nötig, um Maßnahmen der Polizei zu unterstützen. Dabei sei es nicht um die Bauaufsicht gegangen. Dabei sei es allerdings auch zu einem ersten Streit gekommen. Polizei und Ministerium habe sich für das baurechtliche Vorgehen ausgesprochen, die Bauaufsicht lehnte das ab.

„Die rechtsstaatlich gebotene Offenheit für die Ausübung des bauordnungsrechtlich eröffneten Ermessens ist an keiner Stelle erkennbar“, beklagte das Verwaltungsgericht. Und weiter: Der Schutz der Bewohner durch den Brandschutz sei lediglich als Vehikel benutzt worden. Als Beweis dafür wird die Mail eines Abteilungsleiters an die Bezirksregierung Köln, den Kreis Düren und die Stadt Kerpen aufgeführt.

Oberverwaltungsgericht Münster stoppte die Rodung im Eilverfahren

Darin ging es ausschließlich um die notwendige Eile bei der Rodung wegen eines Verfahrens am OVG Münster und nicht um die Brandgefahr. Im Hambacher Forst hatten bereits im Jahr 2012 Aktivisten die ersten Baumhäuser und den Wald besetzt. Dabei entstanden auch Barrikaden gegen die Polizei. Im Herbst 2018 stand die Rodungsperiode 2019 kurz bevor. Aus Gründen des Artenschutzes darf nur in wenigen Monaten im Jahr gerodet werden.

Die Polizei hatte im Herbst 2018 vom 13. September bis 2. Oktober bei einem ihrer größten Einsätze in Nordrhein-Westfalen überhaupt 86 Baumhäuser von Braunkohlegegnern geräumt. Kurz danach hatte das Oberverwaltungsgericht Münster in einem Eilverfahren einen vorläufigen Rodungsstopp verfügt. Dabei ging es um eine Klage der Umweltschutzorganisation BUND gegen den Hauptbetriebsplan für den Tagebau Hambach.

Die Münsteraner Richter befanden, der Ausgang des Verfahrens sei offen. Es sollten vor Ort keine unumkehrbaren Tatsachen geschaffen werden. Aktivisten haben nach dem Polizeieinsatz wieder mit dem Bau von Baumhäusern im Hambacher Wald begonnen. Die Politik entschied im Kohle-Kompromiss auch, dass der Hambacher Forst erhalten bleiben soll. Die Abbruchkante des Tagebaus endet kurz vor dem Waldsaum. (mit dpa)