Das Schicksal der Manheimer Kirche am Tagebau Hambach ist ungewiss. Politik und Kunsthistoriker haben trotzdem große Pläne für ihre Zukunft.
Eines der letzten GebäudeWas aus der alten Kirche am Tagebau Hambach in Kerpen-Manheim wird
Wie im Dornröschenschlaf liege sie da, die alte Kirche. Der Vergleich der Grünen-Landtagsabgeordneten Antje Grothus hinkt ein wenig. Die Realität ist nämlich weit weniger romantisch. Die mannsgroßen Fensterlöcher sind mit Holzbrettern verrammelt. Ein riesiger Zementblock versperrt die Tür. Pflanzen sprengen den gepflasterten Boden um die Kirche auf. Nur eine Gemeinsamkeit haben die Kirche und das Schloss im Märchen: Beide sollen aus ihrem Schlaf erwachen und den Menschen wieder offen stehen.
Jahrelang hat sich die Buirerin Grothus für den Erhalt des Hambacher Forstes eingesetzt. Heute steht sie nur wenige Kilometer weiter in dem Ort, der mal Manheim war – und kämpft für die Kirche. Sie ist eines der letzten Gebäude in dem Ort am Tagebau Hambach. „Ich will die Transformation des Reviers auch kulturell begleiten“, sagt Grothus. „Die Kirche könnte ein Ort sein, der Identität stiftet.“ Damit meint sie: ein Tagungshaus, ein Kletterturm, eine Jugendherberge. Vielleicht ein Museum.
Die Braunkohle prägte Kerpen
Von einem Museum träumt auch Susanne Harke-Schmidt. Für die Kerpener Stadtarchivarin geht es dabei weniger um Märchen. Es geht um Geschichte. „Ein Braunkohle-Dokumentationszentrum gehört nicht nach Garzweiler, sondern nach Kerpen“, sagt sie. Argumente hat sie reichlich: 350 Jahre lang hat die Braunkohle Kerpen geprägt – so lange wie kaum eine andere Stadt im Rheinischen Revier.
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Die Kohle brachte den Kerpenern Reichtum, kostete viele aber auch ihre Heimat. 9000 Menschen, fast ein Viertel aller im Rheinischen Revier Umgesiedelten, sind oder waren Kerpener. „In Manheim ist Braunkohle-Geschichte geschrieben worden. Die Kirche St. Albanus und Leonhardus ist deshalb der perfekte Standort für ein Museum“, sagt Harke-Schmidt. Nicht nur als Stadtarchivarin ist das ihr Ziel. Harke-Schmidt ist Vorsitzende der Kerpener Heimatfreunde. Und deren Vereinsmitglieder waren 2020 die ersten, die sich für den Erhalt der Kirche und ein Museum einsetzten.
Mainzer Kunsthistoriker schwärmt von der Kirche
Mittlerweile haben sie auch Dieter Spürck, den Kerpener Bürgermeister, auf ihrer Seite. In einem Brief an den Landschaftsverband Rheinland schreibt Spürck: Die Kirche bilde den Abschluss des geplanten Hambach-Loop-Radweges. Sie könne eines der Ankerzentren einer dezentralen touristischen Infrastruktur im Revier werden. Etwa als Außenstelle des Freilichtmuseums Kommern. Auch architektonisch hat das Gebäude seinen Reiz.
Die kleine neugotische Kirche hat deshalb das Interesse des Mainzer Kunsthistorikers Wolfgang Brönner geweckt. Aktuell widmet er sich der Kirche in einer Studie über den Kirchenbau im Historismus. Von außen wirke die Kirche einschiffig, das Querhaus schmal, schreibt Brönner in der Studie. „Die weite Vierung wird in einem traditionellen Kreuzbau versteckt.“ Das bedeutet: Die Kirche sieht von außen deutlich kleiner aus als sie tatsächlich ist. Deutschlandweit gibt es nicht viele Gotteshäuser mit dieser Eigenschaft.
Manheimer fordern Abriss
Doch nicht alle sind begeistert von der Idee, die alte Kirche zu erhalten. Gegner des Plans sind die Menschen, die mit ihr aufgewachsen sind. „Der überwiegende Teil der Manheimer äußert Bedenken“, berichtet Lonie Lambertz, Ortsvorsteherin von Manheim-neu. Sie erinnere die Menschen nur an Dinge, an die sie sich nicht gern erinnern würden. „An die alte Heimat und an den langen Konflikt um den Hambacher Forst zum Beispiel.“ Lange hätten die Manheimer im Rat für eine Entschädigung gekämpft. „Und die haben wir in Form einer Kapelle auch bekommen.“
Lambertz steht nicht eindeutig auf einer Seite. Den Erhalt der Kirche sieht sie aber eher kritisch. „Es kommt darauf an, was aus der alten Kirche werden soll, wie hoch die Kosten sind und wer sie am Ende trägt.“ Alles Fragen, die noch offen seien.
Die Kapelle im neuen Manheim ist noch weniger märchengleich als die verfallene Kirche im alten. Sie besteht aus drei Betonklötzen, die aus einem mehrere Hundert Quadratmeter großen Plastersteinplatz ragen. Pfarrer Ludger Möers ist das egal. Es gebe Leute, die sagen, dass die Kirche hässlich und düster sei, sagt Möers. „Wie ein Gefängnis. Aber das stimmt nicht.“ Möers schwärmt vom Lichteinfall durch das Dachfenster, von der Akustik. „Die ist so gut wie in einem Kammermusiksaal.“
Die Kirche in Morschenich brannte ab
Erinnerungen an die alte Kirche gibt es überall in der Kapelle: An den Wänden hängen das Chorfenster-Triptychon und das Jesus-Kreuz. Das 150 Jahre alte Taufbecken und eine Holzfigur des heiligen Josef stehen neben der Eingangstür. Andere Heiligenfiguren lagern in der Sakristei. „Wenn Fachleute kommen, loben sie die Symbiose aus Tradition und Moderne“, sagt Möers. Vieles aus der alten Kirche hat aber mittlerweile das Land verlassen: Die Orgel spielt jetzt in Frankreich, das Mobiliar ging nach Polen.
Von der alten Kirche will Möers nichts mehr wissen. „Da ist doch nichts mehr. Es gibt keine Heizung, kein Strom, kein Wasser.“ Das Dach sei marode. „An anderen Gebäuden in Manheim haben die Leute doch auch kein Interesse. Sie hängen sich an ein Symbol. Die Vergangenheit war schön. Aber sie jetzt vorbei.“
Grothus will wie die Heimatfreunde an der Vergangenheit festhalten. Die Kerpener Grünen-Fraktion hat bereits einen Stiftungsantrag gestellt. Das Land müsse die Kirche aber auch in die Leitentscheidung zum Braunkohleausstieg aufnehmen, fordert sie. „Möglichst schnell. Tag für Tag leidet die Gebäudesubstanz.“ Sonst wacht die Kirche aus ihrem Dornröschenschlaf irgendwann nicht mehr auf. Genauso wie ihr Pendant in Morschenich. Von der dortigen Kirche ist seit einem Brand im April nur noch eine Ruine übrig.