Die Zukunft stand schon fest: Ein Großteil der Einwohner von Morschenich wurde bereits umgesiedelt.
Die Häuser waren verrammelt, doch nun die Wende. Das totgeglaubte Dorf soll zum „Ort der Zukunft“ ausgebaut werden.
Kerpen/Morschenich – Vom Morschenicher Ortsschild aus fällt der Blick auf den Kohlebagger, der über die Abbaukante ragt. Wolken sind tief in den Hambacher Tagebau hineingedrückt worden. Doch so langsam lichtet sich der Nebel und die Sonne bricht durch. Auf den Straßen von Morschenich ist kaum jemand unterwegs. Fast alle der gut 500 Einwohner wurden bereits umgesiedelt. Die Türen und Fenster der Häuser sind mit dicken Holzplatten verrammelt. Da wohnt niemand mehr.
Vorige Woche schien das endgültige Todesurteil über Morschenich gefällt worden zu sein, als RWE-Konzernchef Rolf Martin Schmitz sagte, er gehe davon aus, dass Morschenich und Manheim abgebaggert werden müssten. Doch Morschenich bleibt stehen. Der Merzenicher Stadtteil unweit des Hambacher Forsts soll zu einem „Ort der Zukunft“ ausgebaut werden. Das jedenfalls wünscht sich Merzenichs Bürgermeister Georg Gelhausen. Der Tagebau soll dabei sogar die entscheidende Rolle spielen. Daraus könnte etwas werden, denn die Bundesregierung steckt bis 2021 satte 25 Millionen Euro in das Projekt „Bioökonomierevier Rheinland“ rund um Morschenich. Gestern wurde der Förderbescheid feierlich übergeben – symbolträchtig im St.-Lambertus-Schützenhaus im fast menschenleeren Morschenich.
Förderbescheid übergeben
Nur einen Steinwurf entfernt lagern bis zu 50 Braunkohlegegner in einem Garten. Auch sie waren zur Spendenübergabe gekommen. Sie trauen dem Braten noch nicht richtig, wollen offiziell auch nichts sagen. Hinter vorgehaltener Hand erklärt eine Aktivistin das so: „Wir hören immer wieder andere Botschaften. Vertrauen haben wir deshalb nicht.“ Im Lambertussaal versucht Professor Ulrich Schurr, neue Hoffnung zu schaffen.
Sein Ziel ist, dass der Hambacher Forst bald nicht mehr als Symbol für Umweltzerstörung durch die Industrie gesehen wird. Er stellt auf 15 Tafeln die einzelnen „Innovationslabore“ des Förderprojektes vor, mit denen Morschenich und die ganze Region fit für die Zukunft gemacht werden sollen: „Der Hambacher Forst darf kein Wackersdorf 2.0 werden. Er soll in einigen Jahrzehnten einmal ein Symbol für nachhaltiges Wirtschaften sein.“
Das könne durch eine vierteilige Strategie gelingen. Auf den Flächen des Tagebaus und drumherum sollen innovative Formen der Landwirtschaft erprobt werden, hochautomatisiert und digitalisiert – ein Schritt auch zu einer Agrarwende, die Nachhaltigkeit und Wertschöpfung verbrüdern soll.
Zweiter Punkt der Strategie ist die „Ressourcenwende“. Bisher habe man Kohlenstoff als Energieträger aus fossilen Quellen bezogen, nun solle das durch nachwachsende Rohstoffe gelingen, erklärt Schurr. Diese sollen aber nicht nur verbrannt, sondern auch als Rohstoffe für die chemische Industrie an der Rheinschiene eingesetzt werden. So könnten aus Disteln Schmiermittel und aus Grasarten Fasern werden – eine Wertschöpfung.
Vierteilige Strategie soll die Wende bringen
Dritter Angriffspunkt sei die Lebensmittelindustrie, die im Raum Düren und Rhein-Erft weit verbreitet sei. Es gehe darum, die Reststoffe aus den Herstellungsprozessen von Zucker oder von Lebensmitteln für Konserven als Wertstoffe etwa für die chemische Industrie einzusetzen, so Schurr. Vierter und letzter Teil der Modellregion Bioökonomie Rheinland soll eine enge Verzahnung mit der Wirtschaft mit zahlreichen Ausgründungen und Spin-Offs werden, schildert Schurr.
Konkret wird sich Morschenich in den nächsten Monaten in einen hochmodernen Wirtschafts- und Forschungsstandort verwandeln. Bürgermeister Gelhausen schwebt aber noch eine andere Idee vor: „Gemeinsam mit den Bürgern müssen wir überlegen, welche der Gebäude stehenbleiben können.“ Ein Zurück in die alten Häuser gebe es für die vielen bereits umgesiedelten Morschenicher allerdings nicht mehr: „Nein, die neue Dorfgemeinschaft am Umsiedlungsort ist sogar schon stärker als die bisherige.“
Das bedeute, die alten Wohnhäuser müssten weg, jedenfalls die meisten, sagt Georg Gelhausen: „Aber um es mathematisch zu sagen, der kleinste Nenner ist doch, dass wir die Kirche stehenlassen. Dann müssen wir gemeinsam mit den Umsiedlern schauen, welche Häuser wir noch erhalten können. Aber es wäre ja auch möglich, hochmoderne Häuser hier zu errichten, auch zum Wohnen. Ich würde gerne an der internationalen Ausstellung für Bautechnologie mit Morschenich teilnehmen, um zu zeigen, dass aus einem totgeglaubten Ort ein neuer Ort werden kann.“