Pulheim – „Regungslos, bewegungslos. Ich möchte weglaufen, schreien, mich befreien. Es ist anstrengend, schmerzt im Inneren. Ein Brennen des Körpers und der Seele.“ Claudia, deren richtigen Namen wir nicht nennen, sitzt auf dem roten Sofa im Atelier vor Manfred Jasmund. Der innere Dämon ist ganz nah, während sie stockend von ihrer Depression berichtet. Eine lähmende Krankheit, die ihr das Gefühl gibt, in sich selbst gefangen zu sein. „Das ist das Schlimmste“, sagt sie. „Die Leere und der oft vergebliche Kampf, ins »Freie« zu gelangen.“ Manfred Jasmund nickt.
Er ist Fotograf, kein Psychologe. Aber er kennt dieses Gefühl, diese Angst, die einst auch seine Seele zutiefst verletzt hat. Erst nach einem Burnout fand er die Kraft, sein Leben umzukrempeln. Er wurde vom Versicherungsmakler zum Fotografen und konnte sich letztlich von seinem inneren Dämon befreien. Vor zwei Jahren fühlte er sich stark genug, mit dem Projekt „Faces of Depression“ zu starten. Das Fotoprojekt ist ein wahrer Grenzgang vor und hinter der Kamera. Denn die Emotionen, Ängste und Tränen auf seinen Bildern sind echt.
Das spürt man, die authentischen Fotos erschüttern und wühlen auf. „Ich löse die Depression bewusst und vorsätzlich aus“, erklärt der Fotograf. „Der Auslöser ist meist Musik. Bestimmte Lieder berühren tief die Herzen der Porträtierten und lassen Verzweiflung, Angst und ohnmächtige Wut hinter der Fassade nach außen treten.“
„Triptychon der verletzten Seele“ nennt Manfred Jasmund seine Fotoserie. Denn alle 16 Projekt-Teilnehmer porträtiert er dreimal. Zu Beginn des Shootings so, wie sie nach außen erscheinen. Stark, souverän, die Fassade als Schutz. Das zweite Foto macht er im Zustand der tiefen Depression. Das dritte, künstlerisch bearbeitet, gibt der jeweiligen Ausprägung der Depression ein Gesicht.
Diese Fotos gleichen oft Albträumen in ihrer ausweglosen Verzweiflung. Bei Claudia ist es ein stummer Schrei. Dargestellt mit durchsichtiger Folie, in die sie eingewickelt ist und die sie lähmt und handlungsunfähig macht. Bei André ist es eine Mauer, auf der „Loser“, Verlierer, steht, vor der er zusammenbricht. „Wenn die Betroffenen mir von ihrer Depression erzählen, kriege ich meist einen kalten Schauer und sehe vor mir das dritte Bild“, erklärt Manfred Jasmund. Mal entstand das Foto untergetaucht im See, mal mit einem echten blutenden Herzen in der Hand. Höchstens zwei Stunden darf das Shooting dauern, dann sind beide erschöpft, die Porträtierten und auch der Fotograf.
Für Manfred Jasmund ist das Projekt „Faces of Depression“, das mittlerweile bei Facebook mehr als 750 000 Menschen erreicht hat und von Prominenten wie Peter Brings, Henning Krautmacher und Doc Esser unterstützt wird, eine Herzensangelegenheit. Er wirbt damit für mehr Verständnis für die Krankheit und Achtsamkeit gegenüber depressiven Menschen. „Ich habe das Gefühl, das Projekt kann sogar Leben retten“, vermutet er. „Die Porträtierten spüren ihre Stärke und merken, dass sie nicht allein mit ihrer Krankheit sind und die Möglichkeit haben, sich der Familie und den Freunden zu öffnen.“
Das Projekt „Faces of Drepression“ sollte eigentlich eine Wanderausstellung werden. Doch Corona-bedingt erstellte Manfred Jasmund ein Video mit den Fotos der Betroffenen. Noch immer bekommt er Anfragen für weitere Shootings. „Mir tat das Projekt gut“, sagt Claudia. „Die Fotos geben mir Kraft, mich meinem inneren Dämon zu stellen.“