„Unser Wasser“So entsteht Deutschlands zweitgrößter See in Rhein-Erft

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Bei Bergheim-Glesch soll die Rheinwassertransportleitung die Erft unterqueren, wie RWE-Projektleiter Axel Ritter erläutert.

Bei Bergheim-Glesch soll die Rheinwassertransportleitung die Erft unterqueren, wie RWE-Projektleiter Axel Ritter erläutert.

Die Erft hat schon viel hinter sich. Die größte Veränderung steht ihr aber erst nach dem Braunkohlebergbau bevor. Dann entsteht in ihrer Nähe Deutschlands zweitgrößter See.

„Schön bist Du, Erft, wenn's junge Tageslicht erscheint“, so schrieb ein unbekannter Dichter im vergangenen Jahrhundert in seinem Gedicht „Kindesgruß an den Erftfluß“. Trotz oder gerade wegen ihrer wechselvollen Geschichte soll sie auch künftig schön bleiben. Das haben sich die heutigen Planer fest vorgenommen.

Viele Umbettungen musste die Erft, die mit dem Rhein heute dem Kreis seinen Namen gibt, seit der Zeit um das Jahr 1860 schon über sich ergehen lassen. Die Kanalisierung vor mehr als 150 Jahren diente dazu, das Wasser, das vom Oberlauf mit seinen Bleiwerken mit zu viel Blei versetzt war, von den Weiden fernzuhalten. Gleiches galt für das Sumpffieber. Mehrere Verlegungen erforderte die Ausbreitung der Braunkohletagebaue im vergangenen Jahrhundert und in jüngerer Vergangenheit die Renaturierung etwa bei Kenten und Bedburg.

Acht Kubikmeter Sümpfungswasser fließen bei Kenten in die Erft

Wenn die Bagger im Tagebau am Ende dieses Jahrzehnts ihr Mammutwerk nach mehr als 50 Jahren beenden werden, stehen weitere Veränderungen an, die auch den Gillbach und indirekt den Rhein betreffen werden. Die spannende Zukunft des Gillbachs soll in einer späteren Folge dieser Serie Thema sein.

Die Erft, ursprünglich bis zu vier Kubikmeter Wasser führend, wird in Höhe von Bergheim-Kenten mit rund sechs bis acht Kubikmeter Sümpfungswasser aus dem Tagebau Hambach gespeist. Die Einleitung wird nach 2030 nur langsam abnehmen, da der Grundwasserspiegel unter dem jeweils aktuellen Spiegel des künftigen Hambachsees gehalten werden muss, damit es nicht durch die Böschungen in den See eindringt, was diese destabilisieren würde.

„Bis 2030 wollen wir, obwohl uns durch den vorgezogenen Kohleausstieg 15 Jahre fehlen, die meisten Projekte an der Erft, immerhin 40 Kilometer, erledigt haben“, sagt Dietmar Jansen, Bereichsleiter für Gewässer beim Erftverband. Dazu zählen Abschnitte bei Kapellen und Grevenbroich, aber auch vor Bergheim-Glesch, wo die Umgestaltung des Flussbetts schon 2027 fertig sein soll, und die Bedburg-Kasterer Mühlenerft, die bis 2029 an der Reihe ist. „Dann haben wir viel erreicht und sind für die Zukunft gerüstet“, sagt Jansen.

Bei Dormagen entsteht eine Rheinwasserleitung

„Das gelingt aber nur, wenn alle mitziehen“, mahnt Jansen. Schließlich sei die Entwicklung nicht nur Sache des Erftverbands, sondern der gesamten Region. Die Erft soll sich nach Planung des Erftverbands selbst entwickeln und ihren Korridor nutzen als „komplexen und vielfältige Lebensraum im Wasser und in den Auen“. Die Erft soll zudem ein „attraktives grün-blaues Band der Naherholung“ bleiben, da sie dazu neben der Eifelrur im Rheinischen Revier „das größte Potenzial“ habe.

Der Rhein als großer Bruder der Erft im virtuellen Wasserverbund soll in Dormagen zur Ader gelassen werden, um über Rohrleitungen die Tagebaue Garzweiler und Hambach zu fluten. Geschätzte 40 Jahre lang soll der Strom je nach Pegelstand bis zu 18 Kubikmeter pro Sekunde an das Revier abgeben, 14 nach Hambach, vier nach Garzweiler. Daraus soll neben dem Garzweiler See der Hambacher See entstehen, der nach Wasserkubikmetern zweitgrößte Deutschlands.

Fast 400 Meter tief, 3,6 Milliarden Kubikmeter Wasser fassend – nur der Bodensee ist größer. Die Wasserfläche ist auf 4200 Hektar, entsprechend knapp 600 Fußballfelder, vorgesehen. Der Möhnesee, bislang Spitzenreiter in Nordrhein-Westfalen und deutschlandweit auf Rang 34, kommt lediglich auf fast 1100 Hektar. Gemessen an der Wasserfläche wird der Hambacher See auf Rang sieben liegen, nach Bodensee, Müritz, Chiemsee, Schweriner, Starnberger und Ammersee.

Zwei Jahre lang wird der Speedway am Terra Nova gesperrt

Die Erft, die bei Neuss in den Rhein mündet, trifft zwecks Seebefüllung für 40 Jahre dann schon weit vor der Mündung, nämlich zwischen Bergheim-Glesch und Bedburg-Blerichen, auf den Rhein. Die beiden Rohre zum Tagebau Hambach sollen hier die Erft unterqueren, die nach Garzweiler hinter dem Kraftwerk Frimmersdorf. Der Gillbach wird bei Widdeshoven unterquert. „Die Rohrleitungen werden unterpresst“, erläutert RWE-Ingenieur und Planungsleiter Axel Ritter.

Schon Anfang nächsten Jahres soll es losgehen, die Vorbereitungen möglichst schon Ende dieses Jahres. Der Speedway und einige Zuwegungen werden dazu für zwei Jahre gesperrt, Umleitungen für Radler eingerichtet. Zwischen der Erftbrücke und dem Abschlagwehr werden nach Einrichtung von großen Baugruben hüben und drüben vier Meter unter der Erft-Sohle rund drei Meter durchmessende Stahlrohre durch das Erdreich unter Erft und Grevenbroicher Straße (Kreisstraße 19) in einem Zug getrieben. Da hinein werden dann die 2,20 Meter großen Wasserrohre geschoben.

Das System der Druckrohrleitungen ist auf der 45 Kilometer langen Strecke insgesamt rund 100 Kilometer lang und muss 2030 fertig sein. Start ist in Dormagen-Rheinfeld. Dort werden bis um 2070 etwa 321 Millionen Kubikmeter Rheinwasser entnommen. „30 Unterquerungen sind geplant unter Straßen, Schienen, Waldgebieten, Flüssen und Bächen, wie Erft, Gillbach, Gohrer Graben und Köttelbach“, berichtet Ritter. Die benötigten rund 10 000 Stahlrohre – jedes ist 1,20 Meter lang und wiegt 15 Tonnen – werden in der Türkei und in Algerien gefertigt und nach und nach per Schiff und Bahn ins Revier gebracht. „Wir mussten weltweit ausschreiben, da sich in Deutschland und Europa kein Anbieter fand“, sagt Ritter.

Das letzte Stück führt von Glesch in Höhe der Landesstraße 361 zum Tagebau und wird als erstes gebaut. „Nach Abschluss der Bauarbeiten auf dem Speedway Mitte 2027 werden wir diesen wieder herstellen, mindestens so schön, wie er jetzt ist“, verspricht der Projektleiter, der nicht verhehlt, dass das Projekt nicht zuletzt durch die Verkürzung der Tagebaulaufzeit um 15 Jahre hochambitioniert ist.