Ein Discounter im Kaufhof, Handyläden, immer mehr Nagelstudios, aber auch Neueröffnungen: Wohin entwickelt sich Siegburgs Innenstadt?
Sinkende LadenmietenWie viele Nagelstudios verträgt Siegburgs Innenstadt?
Es gibt Menschen, die betrachten die Tedi-Reklame am Kaufhof mit Besorgnis, andere, darunter der Bürgermeister, sagen: Besser ein Discounter als gähnend leere Schaufenster. Nicht nur in der Kaiserstraße, an etlichen Ecken verändert sich die City, laut Diskussionen in den sozialen Medien nicht überall zu ihrem Vorteil. Was ist dran an der Kritik? Beispiel Nagelstudios: Davon gibt es allein in der Fußgängerzone acht - im Umkreis von nur 300 Metern.
Grell blinkende Leuchtreklamen, ganzjährig Sternenketten in den auffällig beklebten Schaufenstern, die Farbe Pink ist vorherrschend. Orte für den kleinen Luxus, die in Krisenzeiten verstärkt Zulauf erfahren, das haben Sozialwissenschaftler erforscht. Für Frauen, die sich größere Ausgaben, wie Reisen, nicht mehr gönnen möchten oder können. Doch wie viele Nagelstudios verträgt Siegburg?
Die Stadt Siegburg kann den Branchenmix nicht beeinflussen
Frage an den Leiter des städtischen Amtes für Umwelt und Wirtschaft, Ole Erdmann. Der sieht „ein Kommen und Gehen“ in mehreren Bereichen: Imbissbuden, Handyläden und, ja, zuletzt vor allem in der Schönheitsbranche, wozu auch die Haarentferner und Faltenglätter in den Beautysalons gehören und die Barbershops für den Herrn. Genaue Zahlen, die den Wandel objektiv belegen würden, kann er nicht nennen: „Wir führen keine Statistik.“
Vielleicht verständlich, denn die Stadt kann den Branchenmix nicht beeinflussen. Das sei Sache des Marktes und der Vermieter. Ein Trend ist laut Erdmann aber fassbar: der stetige Rückgang der Verkaufsflächen. Zuvor habe es aber jahrelang einen starken Zuwachs gegeben in Siegburg: von 2009 bis 2020 um ganze 40 Prozent. Das kehre sich nun um. Zunächst angestoßen durch den Online-Handel, dann kam Corona, dann der Ukraine-Krieg mit seinen Folgen, unter anderem explodierende Energiepreise.
Das würden auch die Immobilienbesitzer in der Innenstadt spüren. Die fetten Jahre seien vorbei: „Die Ladenmieten sinken“, weiß Erdmann, der dadurch mehr Leerstände als die üblichen zehn Prozent befürchtet. „Manch einer lässt sein Erdgeschoss lieber ein Jahr ungenutzt in der Hoffnung auf eine Preiserholung.“ Auf der anderen Seite gebe es weniger Gründer, das Risiko einer Selbständigkeit scheine zu groß.
Weniger Handel, mehr Dienstleistung, die Entwicklung hat jenseits der Fußgängerzone in der oberen Kaiserstraße begonnen, wo sich die Friseure ballen, wo Hausmeisterdienste, Arbeitsvermittler und seit Kurzem sogar Handwerker frühere Ladenlokale nutzen. Ein paar wurden auch zu Wohnzwecken umgebaut. In der Zeithstraße und der Holzgasse ist ein ähnlicher Trend erkennbar. Und im neuen Kaiser-Carré ist die AOK einer der Ankermieter.
Die Entwicklungen sieht der Vorsitzende des Verkehrsvereins Siegburg, Sissi Vassiliadis, als Anpassung an neue Bedürfnisse. „Die zunehmende Zahl an Nagelstudios mag ungewöhnlich erscheinen, zeigt aber, dass hier eine klare Nachfrage besteht, auf die der Markt reagiert. Diese Studios befinden sich meist in Randlagen und stehen nicht in direkter Konkurrenz zu den klassischen Einzelhandelsflächen.“ Der Verkehrsverein sei stolz auf den Mix in Siegburg: „Rund um unseren Markt, der als kulturelles Herzstück dient, finden sich Fachgeschäfte, Cafés und Restaurants.“ Diese Vielfalt ziehe Menschen mit unterschiedlichen Interessen an und belebe die Innenstadt.
Siegburg mit seinen kleinteiligen Geschäften stehe noch recht gut da im Vergleich mit den Nachbarstädten, sagt Amtsleiter Erdmann und verweist auf Bestnoten in einer IHK-Umfrage. Was kann die Stadt tun fürs Einkaufserlebnis? Die Verwaltung sei in dauernden Gesprächen mit Händlern, darunter auch große Filialisten. Das „Sofortprogramm Innenstadt“ allerdings habe wenig gebracht außer viel Arbeit.
Bei dem vom Land NRW finanzierten Programm ging es um Leerstände: Vermieter sollten auf einen Teil der Einnahmen verzichten und Gründer einen Mietzuschuss erhalten. Nur drei Vermieter hätten Interesse gezeigt, lediglich ein Vertrag sei zustande gekommen, nach mehreren Monaten Beratungt und Vermittlung, so Erdmann. Das Familiencafé „Glücksmomentum“ in der Scheerengasse gilt immerhin als Erfolgsgeschichte: Zwischenzeitlich wurde ein regulärer Mietvertrag geschlossen.
Andere Vermieter stellten ihre Ladenlokale Künstlern für eine Zwischennutzung zur Verfügung, „sehr lobenswert“, so Erdmann, besser bunte Bilder als kahle Räume. Die weiteren Aussichten für Siegburg? Wechselhaft. Kleinere und größere Umzüge sind vollzogen (Reformhaus Goll, Wäsche Berg) oder stehen bevor (C&A). Neue Gastro- und Freizeit-Konzepte (Parmesan-Pasta und Mini-Mietautos) füllen Lücken. Ein Sorgenkind ist die Brauhof-Passage.
Für das Schuhhaus Landgraf in 1a-Lage am Markt ist noch kein Nachmieter gefunden. Und demnächst sorgt die Stadt selbst für Leerstand. Angemietete Flächen, zum Beispiel in der Holzgasse und am Nogenter Platz, wird die Verwaltung nach vollendeter Rathaussanierung verlassen.
Zwei Jahre Baustelle in der Fußgängerzone
Siegburg plant kleine, schnell umzusetzende Attraktivitätsmaßnahmen, wie eine neue Beschilderung für Holzgasse und Kaiserstraße und ein Passantenleitsystem. Stelen, die die Stadtgeschichte thematisieren, finden sich unter anderem am ICE-Bahnhof und an der Siegessäule. Und künftig am Eingang des Mühlenquartiers an der Ecke Marktplatz/Grießgasse, kündigt Amtsleiter Ole Erdmann an. Neben historischen Fotos weist der Infopunkt auf Besonderheiten des am Rande liegenden Innenstadtviertels mit kleinen Werkstätten und Läden hin. Die Holzgasse solle im Zuge der Kanalsanierung schöner, komfortabler und sicherer werden, so Erdmann: „Aber zunächst müssen wir den Anliegern zwei Jahre Baustelle zumuten.“