Rheinbach – Noch ein Jahr später ist Verwaltungsleiter Reiner Lützen von der Solidarität und Hilfsbereitschaft wildfremder Menschen begeistert, die der Rheinbacher Pfarrei St. Martin nach der Flutkatastrophe als freiwillige Helfer zur Seite standen. „Damals hat sich die vielgescholtene Ellenbogengesellschaft von ihrer allerbesten Seite gezeigt.“
Die spannende Frage sei es aber, wie lange diese Solidarität anhalte und ob der Schwung nicht auf Dauer verebbe. „Ich würde mir wünschen, dass uns das anders miteinander Umgehen auf Dauer erhalten bleibt.“
So seien ehrenamtliche Helfer aus der Gemeinde Dahme im Spreewald drei Monate lang ununterbrochen in wöchentlich wechselnden Teams angereist und hätten den Hauptteil der Abrissarbeiten erledigt. Ihr Bürgermeister Jörg Jenoch habe sogar noch Geld dazu gespendet. Der Kontakt sei über Rheinbachs Altbürgermeister Stefan Raetz zustande gekommen, der einmal mehr seine guten Kontakte in alle Regionen Deutschlands habe spielen lassen. „Das war für uns wie ein Sechser im Lotto“, weiß Lützen.
Mehr als 20 Gebäude im Besitz der Rheinbacher Pfarrei St. Martin wurden durch die Starkregenkatastrophe beschädigt, hinzu kommen noch einmal etwa zehn Gebäude in den katholischen Kirchengemeinden Meckenheim und Swisttal, von denen einige leicht, andere aber total beschädigt sind. „Wildfremde Menschen haben einfach mit angepackt – es war unheimlich toll zu sehen“, erinnert sich Pfarrer Bernhard Dobelke zurück.
Unterstützung vom Erzbistum Köln
Das Erzbistum Köln habe sich sehr schnell sehr großzügig gezeigt und die Wiederaufbaumaßnahmen nach Kräften sowohl materiell wie auch personell unterstützt. So wurde Günter Spittel als Baukoordinator eingestellt, der sich um den kompletten Wiederaufbau der kirchlichen Gebäude in Rheinbach, Swisttal und Meckenheim kümmern soll und letztlich vom Erzbistum bezahlt werde.
Die kirchlichen Bauregeln gälten ohnehin nicht für den Wiederaufbau. Was der Architekt sage, werde umgesetzt, ganz ohne große Bürokratie, freute sich Dobelke. Kardinal Rainer Maria Woelki sei selbst schon am 20. Juli nach Rheinbach gekommen und habe persönlich bei den Aufräumarbeiten Hand angelegt. Am 27. Juli habe der Erzbischof die Gläubigen mit einem Pontifikalamt in der Pfarrkirche St. Martin getröstet und auch dort klargemacht: „Ihr Flutopfer seid uns wichtig und werde nicht vergessen!“ Dennoch hätten er und Lützen oft das Gefühl gehabt: „Es geht einfach nicht weiter.“ Zumal immer wieder Handwerker und Material fehlten.
Orgel bleibt eingelagert, Jugendzentrum Live teilweise wieder nutzbar
Gerade in historischen Gebäuden wie Kirchen seien oftmals denkmalschutzrechtliche Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen. Historische Kunstgegenstände wie aus Holz geschnitzte Figuren seien ebenso empfindlich wie Gemälde oder Kirchenorgeln. „Denn allzu schnell hat sich Schimmel auf den Oberflächen gebildet, der dann wieder mit erheblichem Aufwand fachgerecht beseitigt werden muss.“
So sei die Orgel aus der Pfarrkirche in Flerzheim von einer Fachfirma aus Kevelaer ausgebaut und komplett gereinigt worden. Das Instrument werde vorübergehend dort eingelagert, um komplett auszutrocknen, und werde auch erst wieder eingebaut, wenn alle Arbeiten im Innenraum der Kirche, die Staub aufwirbeln, erledigt seien. „Sonst können wir sie gleich wieder reinigen lassen.“
Obwohl viele kirchliche Gebäude von der Flut betroffen seien, müsse nach wie vor keine Hochzeit, keine Taufe und keine Beerdigung ausfallen, versprach Pfarrer Bernhard Dobelke. Er wies aber zugleich auch auf die sozialen Auswirkungen der Flutkatastrophe hin: „Alle reden immer nur über die Gebäude, aber was macht das mit den Menschen, die sich hier immer getroffen haben?“
Jugendarbeit suchte lange nach neuer Bleibe
So musste die offene Jugendarbeit im Jugendzentrum Live St. Martin fast ein Jahr lang eine andere Bleibe suchen, denn Keller und Erdgeschoss waren total zerstört. Der Wiederaufbau werde jedoch aufgrund des komplexen Gebäudes noch viel Zeit in Anspruch nehmen, erklärt Günter Spittel, der Baukoordinator der Pfarrei St. Martin. Zumal bei der Wiederherstellung der Heizungsanlage auch nachhaltiger als bisher gedacht werde und eine Wärmepumpe eingebaut werden solle, die Gas nur noch als Unterstützung benötige.
Vielleicht sei sogar eine Wärmepumpe mit Fotovoltaik-Versorgung möglich, dass müsse noch geprüft werden. „Wir tun beim Wiederaufbau in Sachen Nachhaltigkeit, was wir können“, verspricht Dobelke.
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Seit Mai ist immerhin das erste Obergeschoss und der Garten des Live St. Martin wieder nutzbar. Er hoffe, dass das Jugendzentrum in der ersten Jahreshälfte 2023 wieder vollständig für die offene Jugendarbeit zur Verfügung stehe. Auch in Oberdrees sei die Jugendarbeit mittlerweile wieder aufgenommen worden, in einer provisorischen Bleibe im Pfarrsälchen stehe den Jugendlichen ein gemütlicher Raum zur Verfügung, bis der eigentliche Jugendraum unter der Sporthalle wieder nutzbar ist. Noch heute sei die Flutkatastrophe bei den regelmäßigen Treffen ein großes Gesprächsthema, bei dem jeder seine ganz eigene Geschichte und Erlebnisse zu erzählen habe.
Zahlreiche Einzelanträge „sind gewaltige Aufgabe“
Glücklicherweise können die Kirchengemeinden das Geld für die Wiederaufbaumaßnahmen vorstrecken, weil sie in den vergangenen Jahren gut gewirtschaftet haben. Doch am Ende werde aller Voraussicht nach der Großteil über den Wiederaufbaufonds des Bundes refinanziert.
Allerdings sei es noch eine gewaltige Aufgabe, die zahlreichen Einzelanträge auf den Weg zu bringen, doch dabei helfe die erzbischöfliche Rendantur. „Und wir lernen bei jedem Antrag ein bisschen was dazu.“ Dobelke sagte voraus: „Wir werden noch einige Jahre mit dem Thema zu tun haben. Wenn wir alle Baustellen in ein oder zwei Jahren abgeschlossen haben, können wir zufrieden sein. Und der Papierkram wird dann mindestens ein Jahr länger dauern.“