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Kompetenz­gerangel und ShoweffekteBaerbocks holpriger Start in die Weltpolitik

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Annalena Baerbock im Januar in Warschau.

Einen ersten kleinen Lapsus hat sich Annalena Baerbock schon geleistet. Vor einer Seine-Brücke ließ die neue deutsche Außen­ministerin spontan ihre Wagen­kolonne halten, um sich allein vor dem Eiffelturm stehend fotografieren zu lassen: ich in Paris.Geschenkt. Man kann so eine anfängerhafte Tapsigkeit sogar sympathisch finden.

Immerhin ging die erste Chefin in der langen Geschichte des deutschen Auswärtigen Amts frisch ans Werk. In Warschau setzte sie gegen die dortige eisige Stimmung kluge Zeichen der Freundlichkeit. In Liverpool, am Rande der G-7-Runde, traf Baerbock zur ersten Zweierbegegnung mit ihrem US-Amtskollegen Antony Blinken zusammen, der ihr herzlich zum Start gratulierte. Und sie traf auf gleich zwei Kolleginnen, die ebenfalls neu sind auf dieser Flughöhe: die Britin Liz Truss und die Kanadierin Melanie Joly.

Widersprüchliche Zeichen aus der Regierung

Das Problem ist nicht der Neuanfang als solcher. Schwierig wird es aber, wenn die deutsche Außenpolitik auf Dauer so widersprüchliche Zeichen setzt wie in den ersten Ampeltagen: Nach außen lieferte Berlins neue Koalition hastig inszenierte Showeffekte, im Inneren zeigte sie sich zugleich zerstritten.

Während Baerbock zu ihren ersten Auslands­terminen aufbrach, spielte SPD-Fraktions­chef Rolf Mützenich im Deutschland­funk eine verblüffend hässliche Begleitmusik. Deutschlands Außenpolitik, betonte er, werde „insbesondere im Kanzleramt gesteuert“. Erstaunt vernahm das Fach­publikum im In- und Ausland eine Herabsetzung der Außen­ministerin gleich auf den ersten Metern, vorgenommen vom Vorsitzenden der größten Regierungs­fraktion.

Angespanntheit in Berlin

Bundeskanzler Olaf Scholz muss nun im Nachgang tatsächlich als Chefdiplomat tätig werden: innerhalb der eigenen Koalition. Ein glänzender Start in Richtung Weltbühne geht anders.Wo liegt die Ursache für diese extreme Angespanntheit in Berlin, wenn es um Außenpolitik geht?

Wer tiefer pflügt, wird sie in einer Unaufrichtig­keit finden, die man nicht nur diesem oder jenem Politiker zuweisen kann und auch nicht dieser oder jener Partei. Ganz Deutschland hat sich schon allzu lange die Decke über den Kopf gezogen, den Rest der Welt ausgeblendet.

Kein Wahlkampf mehr

Im Wahlkampf hörte man zur Außenpolitik vor allem fromme Wünsche. Natürlich wäre es schön, wenn die gesamte Menschheit in Frieden und Freiheit zueinander­finden und dann gemeinsam das Klima schützen würde. Doch ganz so weit sind wir noch nicht.

Dummerweise stellen Russland und China gerade der gesamten westlichen Welt die Machtfrage, mit einer Aggressivität, die viele nicht für möglich gehalten hatten. Dringend gesucht wird daher eine real­politische Neudefinition deutscher Außenpolitik. Dass die nötigen Debatten noch nicht geführt wurden, steigert jetzt in der Berliner Dreierkoalition naturgemäß die Spannung. Denn eine klare Linie gibt es bislang nicht mal innerhalb von SPD, FDP und Grünen.

Wirklichkeit beginnt

Immerhin beginnt jetzt die - beklemmende - Betrachtung der Wirklichkeit. Wladimir Putin hat mehr Soldaten und moderne militärische Macht­mittel denn je an der Grenze zur Ukraine zusammen­gezogen, manche Russland-Experten fürchten einen Einmarsch Ende Januar. In den USA macht unterdessen die Albtraum­vorstellung die Runde, Chinas Staatschef Xi Jinping könne sich zeitgleich zur Invasion Taiwans entschließen. Beide Mächte würden, ahnt man, ihre Militär­aktionen bewimpeln als Ordnung schaffende Maßnahmen, denen man sich im Sinne des Weltfriedens lieber nicht in den Weg stellen möge.

Genau dies aber müssen europäische und amerikanische Diplomaten jetzt tun. Denn es geht um nichts Geringeres als die Frage, ob die Freiheit noch eine Chance hat auf dieser Welt. EU und USA müssen sich unterhaken, ihr gemeinsames globales Gewicht auf die Waage werfen und präzise die Preise beschreiben, die Moskau und Peking zu bezahlen hätten. Zwei autokratische Führer müssen im Zaum gehalten werden, durch intelligentes Containment.

Weltfriede sehr stark bedroht

Genau dies aber müssen europäische und amerikanische Diplomaten jetzt tun. Denn es geht um nichts Geringeres als die Frage, ob die Freiheit noch eine Chance hat auf dieser Welt. EU und USA müssen sich unterhaken, ihr gemeinsames globales Gewicht auf die Waage werfen und präzise die Preise beschreiben, die Moskau und Peking zu bezahlen hätten. Zwei autokratische Führer müssen im Zaum gehalten werden, durch intelligentes Containment.

Es wäre gut, dies den Deutschen auch mal zu sagen, in aller Klarheit. Wir leben nicht in Bullerbü. Wir leben in einer Phase, in der der Weltfriede stärker bedroht ist als in den vergangenen Jahrzehnten. Dazu passen keine Public-Relations-Rangeleien frisch vereidigter Politiker in Berlin.

Werden die Grünen zum Wegweiser?

Deutschland wird in Kürze Farbe bekennen müssen, vor allem gegenüber Moskau. Aus der SPD heißt es zwar weiterhin, wie einst unter Gerhard Schröder, es könne in Europa keine Friedensordnung ohne Russland geben. Dieser alte Satz ist zwar richtig. Doch leider gilt, was Omid Nouripour, Kandidat für den Bundesvorsitz der Grünen, an diesem Wochenende festhielt: Zu einer europäischen Friedensordnung gehöre „auch guter Wille in Moskau - und der ist gerade nicht sichtbar“.

Zögernd haben die Grünen Bullerbü verlassen. Mit leisem Entsetzen stellen sie jetzt fest, dass jenseits davon nicht nur eine komplizierte, andere Welt kommt, sondern dass dahinter noch etwas viel Bedrohlicheres beginnt, das zuletzt sogar der routinierten Langzeitkanzlerin Angela Merkel zu schaffen machte: unbekanntes Gelände in einer sich gerade grundlegend wandelnden Welt.

Außenpolitik als verantwortungsvolles Feld

Das „Gebundensein durch Verantwortung“, von dem Robert Habeck zu Recht spricht, hat in keinem Feld so große Bedeutung wie in der Außenpolitik. Kanzleramt und Auswärtiges Amt müssen daran arbeiten, gegen die doppelte autoritäre Bedrohung durch Russland und China einen breiten politischen Zusammenhalt herzustellen: in Berlin, in Europa und vor allem über den Atlantik hinweg.

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Die Grünen gewinnen jetzt damit Profil, dass sie zumindest als erste in der Regierung sehr offen reden über die neuen außenpolitischen Herausforderungen und das damit verbundene Dilemma. Vielleicht erweisen sie sich am Ende sogar als Wegweiser für den Rest der rot-gelb-grünen Koalition.