Berlin – Die politische Landschaft in Deutschland ist noch sehr viel mehr im Umbruch, als es das Ende der Ära Merkel und der Start von Ampel-Koalitionsverhandlungen alleine zeigen. Von den – inklusive der CSU – sieben im Bundestag vertretenen Parteien benötigen vier eine neue Parteiführung. Nur die CSU und die FDP werden ihre Spitzen vorerst behalten. Die Linken haben erst im Februar eine neue Doppelspitze gewählt.
Union zeigt seit drei Jahren eindrucksvoll, wie es nicht geht
Wie schwierig, riskant und verlustreich das Besetzen eines Parteichef-Posten sein kann, demonstriert die Union aktuell am eindrucksvollsten. Nach Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet unternimmt sie nun den dritten Versuch, einen Nachfolger für Angela Merkel zu finden.
Angesichts des destruktiven Durcheinanders allein um die Frage, wie man zu einem neuen Parteichef kommt, könnte man auf die Idee kommen, dass es der CDU noch nicht schlecht genug geht, um einfach zur Vernunft zu kommen. So wie die SPD vor zwei Jahren, als sie in den Abgrund blickte und sich dann entschloss, nach Jahren der Grabenkämpfe wieder zusammenzuhalten.
SPD droht in alle Rollenmuster zurückzufallen
So gut die SPD derzeit aufgestellt ist, liegt in der notwendigen Neuaufstellung beim Parteitag Anfang Dezember doch ein Risiko. Wer übernimmt die Partei? Wie wird das Verhältnis der neuen Parteiführung zum wahrscheinlich künftigen Kanzler Olaf Scholz? Ist die Doppelspitze auch ein tragfähiges Modell für eine Kanzler-Partei? Und wie funktioniert eigentlich die Rollenteilung, wonach die Parteiführung im Maschinenraum der SPD die Basis befriedet, während die Ministerinnen und Minister auf dem Sonnendeck regieren?
Die SPD hat ganz gute Chancen, mit dem Schwung des Wahlsiegs, der Aussicht aufs Kanzleramt und einer derzeit großen inneren Zufriedenheit in der Partei die Klippe der Neuaufstellung an der Spitze zu umschiffen. Je schneller die Entscheidungen fallen, desto leichter wird es sein, die notwendige Geschlossenheit für die Koalitionsverhandlungen zu wahren.
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Ein schwieriges und risikoreiches Unterfangen aber bleibt es. Und wenn die Sozialdemokraten erst einmal in der Mühe der Ebene angekommen sind, droht die Gefahr, in alte Rollenmuster zurückzufallen. Denn für das Kanzleramt wird die SPD den Preis zahlen müssen, dass sie FDP und Grünen viele Zugeständnisse macht. Das wiederum ist die klassische Konstellation, in der sich Partei und Regierungsverantwortliche entfremden. Ob es Olaf Scholz da besser gehen wird, als ehedem Gerhard Schröder und Helmut Schmidt, bleibt abzuwarten.
Die FDP steht vor einer inhaltlichen Transformation
Auch bei den Grünen ist Umbruch in Sicht. Die amtierende Parteispitze aus Robert Habeck und Annalena Baerbock möchte ins Kabinett wechseln. Nach den Regeln der Grünen können sie damit die Parteiführung nicht behalten. Auch für die Grünen ist es ein hohes Risiko, dass damit das bisherige Gravitationszentrum der Partei aufbricht. Zumal die Grünen auf Bundesebene seit 16 Jahren nicht mehr regiert haben und sich angekommen im Kabinett dann auch erst einmal strategisch neu aufstellen müssen.
Für FDP-Chef Christian Lindner wird die Kunst darin bestehen, die Verantwortung für den Deal mit SPD und Grünen sichtbar auf mehr Schultern zu verteilen. So lange Lindner ein funktionierendes Ampel-Bündnis mit anführt, bleibt er als Parteichef unangefochten. Für die schwierigen Phasen braucht er mehr Verbündete, die ihm in Krisenlagen den Rücken stärken. Denn sonst könnte die FDP in die Jeder-gegen-Jeden-Zeit der schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013 zurückfallen. Den Liberalen steht zwar keine personelle, aber eine inhaltliche Transformation bevor. Der große Wunsch, im Bundestag, den Platz zwischen AfD und Union abzugeben und künftig zwischen Union und Grünen sitzen zu wollen, ist Symbol dafür.