AboAbonnieren

„Apps erreichen nur 15 Prozent“Katastrophenschutz prüft neues SMS-Warnsystem Cell

Lesezeit 3 Minuten
Nina Kattwarn App Symbol

Nordrhein-Westfalen setzt bislang auf die Notfall-Apps „NINA“ und „KATWARN“ (Symbolbild)

Berlin/Düsseldorf – Nach der verheerenden Hochwasser-Katastrophe mit mehr als 150 Toten gerät Deutschland zunehmend unter Druck, sein nationales Alarmsystem zu reformieren und möglichst auf Unwetter-Warnungen per SMS an die Bevölkerung in Gefahrengebieten auszudehnen. Bisher setzt die Bundesrepublik auf mobile Apps, die für die Warnung vor den Überflutungen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen nicht ausreichten. Das beklagen Kritiker als unzureichend.

Diese Apps erreichten nur 15 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, sagte die Europaabgeordnete der Grünen, Jutta Paulus, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Redaktionsnetzwerk Deutschland/RND).

Einführung des Warnsystems Cell Broadcast wird geprüft

Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, lässt derzeit die Einführung des Warnsystems Cell Broadcast prüfen. „Mein Ziel ist es, über eine Machbarkeitsstudie festzustellen, ob eine Einführung von Cell Broadcasting sinnvoll und realisierbar ist“, sagte er dem RND. Mit einem Ergebnis sei im Herbst zu rechnen. Mit Cell Broadcast werden in einem bestimmten Areal automatisiert SMS an gefährdete Bürgerinnen und Bürger verschickt, ohne dass deren Mobilfunknummern den Behörden vorliegen müssen.

Schuster betonte: „Ich sehe keine Argumente, die komplett dagegen sprechen. Es gilt aber, eine Reihe von Themen durchzusprechen. Denn bisher bietet kein Mobilfunkanbieter das System an. Und es ist teuer.“ Allein für die Startinvestitionen würden die Kosten auf 20 bis 40 Millionen Euro geschätzt. Auch an datenschutzrechtliche Aspekte sei dabei zu denken.

Vom Bundesdatenschutzbeauftragten gibt es auch schon grünes Licht für das Cell Broadcasting. Es gebe keine grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Bedenken dagegen, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. „Tatsächlich wäre diese Lösung sogar sehr datenschutzfreundlich, weil sie keine Daten sammelt, sondern nur wie ein Radiosender Informationen verschickt.“

Viele Länder setzen bereits auf Cell-System

Die Linken-Bundestagsabgeordnete und Netzpolitikerin Anke Domscheit-Berg gehört zu den Befürworterinnen eines Cell-Broadcast-Systems. Es sei „eine gute Möglichkeit, viele Menschen mit einer Warnung zu erreichen, die sich zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Funkzelle befinden“, sagte sie dem RND. Viele Länder, auch EU-Mitglieder wie die Niederlande und Rumänien, setzten das System bereits ein, „weil man damit Menschen warnen kann, ohne dass sie eine spezifische App installiert haben müssen, auch wenn sie ihr Handy auf stumm geschaltet haben.“

Die Warnnachrichten würden auch mit einem sehr unterscheidbaren, auffälligen Ton übermittelt und seien nicht so unauffällig wie die meisten Push-Nachrichten von Warnapps. Domscheit-Berg sieht noch einen weiteren Vorteil: „Cell Broadcast funktioniert über einen eigenen Kanal, es kann also nicht zu fehlenden Zustellungen wegen Netzüberlastung kommen.“

Kombination von Warn-Kanälen gefordert

Deutschland müsse ohnehin bis Mitte 2022 nach einer Vorgabe der EU ein nationales Warnsystem einrichten, wonach alle Menschen in einer bestimmten Region – auch Touristen – erreicht werden, sagte die Linken-Politikerin. Ohne Cell Broadcasting sei das kaum erreichbar. Ob die Anforderungen der EU rechtzeitig erfüllt werden könnten, sei allerdings fraglich.

Das könnte Sie auch interessieren:

Jutta Paulus, Europaabgeordnete der Grünen aus Rheinland-Pfalz, kritisierte die Bundesregierung für ihre bisherige Fokussierung auf Warnapps. „Das seitens der EU favorisierte Cell-Broadcast-Warnsystem, wie die USA und Japan es seit Jahren erfolgreich nutzen, wurde von der deutschen Bundesregierung abgelehnt“, sagte Paulus dem RND.

Das sei unverständlich. „Wir brauchen eine Kombination unterschiedlicher Warnkanäle im Katastrophenfall“, so Paulus. Die deutschen Warnapps seien zuverlässig, aber nur 15 Prozent der Bürgerinnen und Bürger hätten sie installiert. „Im Fall eines Internetausfalls oder eines Hackerangriffs werden sie nutzlos“, sagte Paulus.

Der Forderung nach einer Umorientierung im Katastrophen-Warnsystem schloss sich am Dienstag mit Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auch ein Mitglied der Bundesregierung an. „Ich bin dafür, dass wir diese Push-Nachrichten auch über die Mobilfunkanbieter beim Bürger ankommen lassen“, sagte Scheuer bei „Bild live“. Bisher sei dies immer an fehlendem politischem Willen „an mancher Stelle“ gescheitert.