GeneraldebatteMerz setzt Ampel mit Taktik unter Druck – Fauxpas von Göring-Eckardt
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Berlin – Es geht schon holprig los. Es ist nur ein kurzer Moment der Irritation, aber er zeigt, dass Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt nicht in Form ist. Vielleicht sitzt der Grünen-Politikerin die Bundestagssitzung vom 17. März noch in den Knochen, als sie und die Abgeordneten nicht in der Lage waren, angemessen auf den Videoauftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu reagieren. Keine Sitzungsunterbrechung, keine Aussprache.
Am Mittwoch läutet Göring-Eckardt nun die Generalaussprache über den Bundeshaushalt ein. Es ist die Königsdisziplin des Parlaments, über den Etat des Kanzleramts zu debattieren, ohne auf dessen winzigen Anteil von diesmal 0,85 Prozent am Gesamtvolumen von 457,6 Milliarden Euro und neuen Schulden von 99,7 Milliarden Euro einzugehen - dafür aber die Gesamtlage der Bundesregierung zu analysieren und als Opposition den Kanzler in die Mangel zu nehmen. Der größten Oppositionsfraktion gebührt der Aufschlag. Aber wen ruft Göring-Eckardt auf? Den Kanzler.
Die Ampel-Koalition steht neben sich
Die Szene ist symbolisch für die Verfasstheit der Ampel-Koalition. Wegen der drei gleichzeitigen großen Krisen - Putins Krieg gegen die Ukraine, Corona-Pandemie und Klimawandel - stehen SPD, FDP und Grüne immer wieder neben sich. Ihr erst vor wenigen Monaten geschlossener Koalitionsvertrag ist schon überholt.
Göring-Eckardt erteilt schließlich schnell dem Oppositionsführer das Wort. Friedrich Merz gilt als Rede-Talent, aber man weiß inzwischen, dass er es ihm passieren kann, gerade dann zu patzen, wenn es auf eine sehr gute Rede ankommt. Am Mittwoch wirft er der FDP vor, dass vor allem in ihrer Zeit als Regierungspartei von 2009 bis 2013 die Bundeswehr geschrumpft worden sei, für die es jetzt ein im Grundgesetz verankertes 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen geben soll.
Aufschrei bei FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Er nimmt Merz mit dieser Replik hoch: Natürlich habe es nicht daran gelegen, dass die Union 16 Jahre den Verteidigungsminister und die Bundeskanzlerin stellte. Merz bringt die eigenen Truppen nicht in Fahrt, dafür die anderen in Wallung.
Er stellt Bedingungen für eine Zustimmung der Union zur Grundgesetzänderung, auf die die Ampel angewiesen ist, weil dafür eine Zweidrittelmehrheit nötig ist. Die Union will wissen, welche Anschaffungen für die Bundeswehr aus den 100 Milliarden Euro finanziert werden sollen, und über ein „Begleitgremium“ dauerhaft über die Umsetzung mitentscheiden. Außerdem verlangt Merz, in dem Gesetz über das Sondervermögen einen Tilgungsplan zu hinterlegen und das umstrittene Beschaffungswesen der Bundeswehr zu ändern.
Merz: „Wir richten es nicht“
Er will aber auch dafür sorgen, dass die Regierungskoalition alle ihre Abgeordneten für die Verabschiedung des Gesetzes braucht und sich keine einzige Gegenstimme in den eigenen - kritischen - Reihen leisten kann. „Nein, wir richten es nicht“, ruft er. CDU und CSU würden eine Zweidrittelmehrheit nur „auffüllen“. „Aber nicht so, dass dann schon einige von Ihnen hier sagen: Da machen wir nicht mit, die Union wird es ja schon richten.“ Die Unionsfraktion sei nicht die Ersatzbank der Regierung. Scholz nennt es später „völlig in Ordnung“, dass sich die Union einbringe. SPD-Chef Lars Klingbeil twittert: „Wir sollten solche taktischen Spielchen lassen, liebe Union.“
Es sind aber gar keine Spielchen. Die Lage ist bitter ernst. Im Bundestag, in Deutschland, in der Welt. Olaf Scholz geht nach Merz ans Rednerpult. Er sagt dann das, was er schon am 17. März an diesem Ort Selenskyj direkt hätte sagen sollen: „Präsident Selenskyj, die Ukraine kann sich auf unsere Hilfe verlassen.“ Er verweist auf Waffenlieferungen für die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland und verspricht, ständig nachzuschärfen. AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla beklagt, durch die „fehlgeleitete Politik“ der Regierung werde „auch noch Blut an den Händen der deutschen Bürger kleben“.
Scholz wird nicht müde, ein Stoppschild für die von der Ukraine geforderte Flugverbotszone aufzustellen. Es dürfe keine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland geben. Und er betont, trotz des Krieges und der schweren wirtschaftlichen Folgen auch für Deutschland, dass es sich energiepolitisch von Russland abhängig gemacht habe, werde es keine Abstriche beim Klimaschutz oder der Stärkung des Sozialstaats mit fairen Löhnen und einem guten Gesundheitssystem geben.
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch schimpft hingegen über ein „sozialpolitisches Streichorchester“ der Regierung. Für die Aufrüstung der Bundeswehr seien 100 Milliarden Euro da, gleichzeitig wachse jedes fünfte Kind in Armut auf. Und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sei ein „Vermögensverwalter der Superreichen“. Der Haushalt sei wenig Zukunft und kaum Zusammenhalt. „Ihr Haushalt ist ein Segen für die Rüstungsindustrie und eine fette Rechnung für die, die tagtäglich hart dafür arbeiten müssen, dass sie ihr Geld bekommen.“
Scholz richtet sich in seiner Rede aber auch noch direkt an die Bürgerinnen und Bürger und dankt für Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine und Friedensdemonstrationen gegen den russischen Krieg. „Ihr macht das gut“, sagt er. „Weil es zeigt: In der Krise wachsen wir über uns hinaus. Weil es zeigt, wieviel Gutes in unserem Land steckt und weil es zeigt, was wir gemeinsam bewegen können.“
Es sind Herkulesaufgaben, die vor Scholz liegen. Und es war erst seine erste Generaldebatte.