Berlin – SPD-Chef Lars Klingbeil sichert der Ukraine nach der Teilmobilmachung Russlands weitere Hilfe zu. Zugleich macht er im Interview deutlich, dass man die Gefahr eines Dritten Weltkriegs bannen will. Zur Gasumlage äußert er sich kritisch und sagt, sie gehöre jetzt auf den Prüfstand.
Herr Klingbeil, der Staat steigt nun doch bei Uniper ein. Das wird Milliarden kosten. Hätte man das nicht besser gleich machen sollen, statt das Gezerre um die Gasumlage?
Lars Klingbeil: Wir befinden uns in Krisenzeiten. Es gab noch nie eine Bundesregierung, die von Tag eins an so viele schwerwiegende Entscheidungen zu treffen hatte. In einer solchen Situation braucht eine Regierung auch die Kraft, Wege noch einmal zu überdenken und zu korrigieren. Das ist jetzt bei Uniper passiert. Ich unterstütze den Weg, den Robert Habeck hier vorgeschlagen hat. Ich sage aber auch klar: Die Gasumlage gehört damit jetzt auf den Prüfstand.
Wenn die Gasumlage wegfällt, reißt dies ein gigantisches Milliardenloch in die Finanzplanung. Muss dann die Schuldenbremse im kommenden Jahr noch einmal ausgesetzt werden?
Erst einmal vorweg: In der SPD gab es von Anfang an Bedenken, was das Instrument der Gasumlage angeht. Das Ziel dahinter ist und bleibt richtig. Es geht darum, die Gasversorgungsinfrastruktur zu stützen. Uniper muss als wichtiger Lieferant für die Stadtwerke stabilisiert werden. Aber das muss gerecht zugehen. Es hat sich jetzt herausgestellt, dass die Verstaatlichung von Uniper der bessere Weg ist.
Und was ist nun mit der Schuldenbremse?
Für mich steht im Vordergrund, dass diese Regierung alles tut, damit die Preise jetzt runtergehen, damit Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen gut durch diese Zeit gebracht werden. Dafür muss ein Ruck durch die ganze Politik gehen, von der Bundesregierung, über die Opposition und auch die Länder. Der Standort Deutschland droht schweren Schaden zu nehmen, wenn wir nicht schnelle Hilfen für die Wirtschaft liefern. Die Politik muss jetzt gemeinsam Lösungen finden. Ich persönlich führe keine theoretischen Debatten in der Finanzpolitik, für mich geht es jetzt ums Anpacken und Handeln.
Das ändert nichts daran, dass ohne Gasumlage dafür das Geld fehlt.
Es gilt das, was der Kanzler gesagt hat. „You‘ll never walk alone.“ Wir lassen niemanden allein. Niemand zweifelt daran, dass das alles Geld kosten wird. Aber ich sage Ihnen, die Rechnung zahlen wir sowieso. Mir ist es lieber, wir stützen jetzt Unternehmen und finanzieren nicht später Insolvenzen und Arbeitslosigkeit.
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine gibt es eine Debatte, welche und wie viele Waffen der Ukraine geliefert werden müssen. Im Fokus steht immer noch die Frage, ob Deutschland doch Leopard 2 liefert. Sehen Sie die Möglichkeit dazu?
Deutschland hat nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs mit einem jahrzehntelangen Tabu gebrochen: nämlich, dass wir keine Waffen in Kriegsgebiete liefern. Die aktuellen Erfolge der Ukraine haben maßgeblich mit der Unterstützung aus dem westlichen Bündnis zu tun. Die von Deutschland gelieferte Panzerhaubitze 2000 ist eines der erfolgreichsten Waffensysteme, die in der Ukraine eingesetzt werden. Es bleibt bei dem, was wir in diesem Krieg von Anfang an getan haben: Wir werden uns weiter täglich mit unseren Partnern abstimmen, welches die nächsten Schritte sind, um der Ukraine zu helfen.
Wäre es sinnvoll, wenn Olaf Scholz im Bündnis die Initiative ergreift und sich mit den USA darauf einigt, dass die Deutschen Leopard-Panzer und die Amerikaner Abrams-Panzer liefern?
Die Expertinnen und Experten im Bündnis bewerten jeden Tag die Frage, was militärisch sinnvoll ist, was wie schnell geht und was in der Gesamtabwägung der Ukraine hilft.
Das beantwortet unsere Frage nicht.
Deutschland prescht nicht vor, sondern stimmt sich mit den Verbündeten ab. Putin ist ein Kriegsverbrecher, er hat einen brutalen Angriffskrieg gestartet. Die russische Teilmobilmachung zeigt, wie stark Putin unter Druck geraten ist. Wir lassen uns davon nicht beirren. Wir werden weiter konsequent die Ukraine unterstützen. Gleichzeitig ist klar, es gilt einen Dritten Weltkrieg zu verhindern. Das gut abgestimmte Handeln des Westens ist in dieser Situation dafür wichtig. Auch als Signal an Putin, dass die Geschlossenheit im westlichen Bündnis intakt ist und bleibt.
Nehmen Sie in Ihrer Partei, an der Basis eigentlich Zweifel am Sinn der Waffenlieferungen und der Sanktionen wahr?
In einer Partei mit 400.000 Mitgliedern gibt es wie in der gesamten Bevölkerung Verunsicherung und Fragen zum Krieg in der Ukraine. Aber ich erlebe niemanden, der ernsthaft kritisiert, dass wir an der Seite der Ukraine stehen.
Gehen Sie davon aus, dass dieser Krieg noch lange dauern wird?
Ich glaube, dass diese Tage sehr entscheidend sind. Sie zeigen, dass Putin in die Defensive gerät. Seine Großmachtphantasien wird er nicht umsetzen können. Wie lange dieser Krieg geht, kann ich nicht einschätzen. Deutschland wird seinen Weg aus politischem Druck, Sanktionen und Waffenlieferungen im Bündnis weitergehen. Ich finde es notwendig, dass Bundeskanzler Olaf Scholz in der aktuellen Kriegslage auch mit Putin telefoniert und ihm weiter deutlich macht, dass er den Krieg stoppen muss.
Wichtig für die Unterstützung im Land ist, dass das angekündigte Entlastungspaket auch tatsächlich kommt. Bei den Ländern stößt es auf wenig Gegenliebe, weil sie bei der Abmilderung der kalten Progression und anderen Vorhaben mitzahlen müssen. Rechnen Sie damit, dass es trotzdem durch den Bundesrat geht?
Es ist der normale Weg, dass wir im Koalitionsausschuss sagen, was wir wollen, und dass man dann mit den Ländern verhandelt. Ich erlebe gerade eine enorme Blockadehaltung beim bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder oder auch bei den Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Bodo Ramelow. Sie sehen sich als Opposition zur Ampel im Bund. Da kann ich nur in aller Deutlichkeit sagen: Wer jetzt politische Spiele betreibt, der blockiert, dass die Bürgerinnen und Bürgern entlastet werden und dass die Unternehmen Hilfe bekommen. In einer Krisenzeit, wie wir sie haben, ist das brandgefährlich und unverantwortlich.
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Die Länder pochen darauf, dass der Bund die Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Nahverkehr erhöht, wenn sie einen Nachfolger für das Neun-Euro-Ticket mitbezahlen sollen. Ist das nicht berechtigt?
Die Erhöhung der Regionalisierungsmittel ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Und für mich ist klar: Wir brauchen beides. Wir brauchen den günstigen Nahverkehr mit der Nachfolgeregelung für das Neun-Euro-Ticket. Und wir brauchen auch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Das sage ich auch als Abgeordneter aus dem ländlichen Raum. Für die Menschen dort muss es auch die Möglichkeit geben, das günstige Ticket tatsächlich im Alltag zu nutzen.
Ist die Ampel mit ihren inneren Widersprüchen das richtige Bündnis für diese Zeit? Sie haben für Entscheidungen über Entlastungen jeweils lang gebraucht, das Lärmen der einzelnen Koalitionspartner vorab war groß.
Ich habe es während der Koalitionsverhandlungen erlebt, dass dieser gemeinsame Aufbruch möglich ist. Zu diesem Geist müssen wir wieder zurück. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Ampel dazu in der Lage ist.
Am Sonntag wählt Italien. Fürchten Sie nach Schweden den nächsten Schub für Rechtspopulisten in Europa?
Die Gefahr, dass Rechtpopulisten in Italien die Regierung führen, ist real. Ich setze aber auch darauf, dass viele Wählerinnen und Wähler sich auf den letzten Metern anders entscheiden. Dass es bei Wahlen nur noch einen aussichtsreichen demokratischen Mitte-Kandidaten gegen Rechts- und Linkspopulisten gibt, ist leider im Trend in vielen Ländern. In Italien ist das Enrico Letta, der gegen die Neofachistin Giorgia Meloni kämpft. Ich hätte von Friedrich Merz erwartet, dass er sich klar abgrenzt gegen die Rechtspopulisten in Italien. Das ist aber nicht geschehen: Sein EVP-Chef Manfred Weber macht in Italien mit der Berlusconi-Partei und damit mit dem Rechtsbündnis Wahlkampf. Da hätte es von den Konservativen aus Deutschland ein klares Stopp-Schild geben müssen. Die Union darf sich nicht zum Steigbügelhalter der Rechten in Europa machen, so wie wir es gerade bei den Konservativen in Schweden beobachten.